Südostasien: Autoritäre Regierungsformen sind weltweit zunehmend zu beobachten. Jüngste Beispiele aus dem Globalen Norden sind rechtsgerichtete Regierungen in Ungarn und Polen oder der Wahlsieg Donald Trumps in den USA. Südostasien ist keine Ausnahme von diesem Trend.
Mit General Prayuth Chan-o-cha in Thailand (2014) und Rodrigo Duterte in den Philippinen (2016) reihten sich zwei weitere Machthaber bei den autoritären Führungspersonen der Region ein, die dabei ist, schnell vom demokratischen Weg abzukommen. Sie folgen einer Einstellung von „Recht und Ordnung“, die sich General Prayuths Bemerkung widerspiegelt, dass „eine Besessenheit von Rechtsansprüchen zu Anarchie führen“ könnte. Dutertes zentrale Botschaft ist, dass die Philippinen unter Eliten leiden, die sich zu sehr um westliche Interpretationen von Menschenrechten und westliche Demokratie sorgen. Einige neuere Umfragen bestätigen den autoritären Trend in Südostasien. Der Freedom House Index („Freedom in the World“) 2018 beispielsweise stufte von elf Staaten in Südostasien fünf (Brunei, Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam) als unfrei ein, fünf (Indonesien, Malaysia, Myanmar, Singapur und die Philippinen) als teilweise frei und nur Timor-Leste als frei.
Aufgrund der globalen Tragweite des Neuen Autoritarismus, seiner politischen Bedeutung und hoch umstrittenen Beschaffenheit sind die entstehenden Debatten sehr lebhaft, jedoch auch fragmentiert. Diese Fragmentierung zeigt sich auch in der Vielfalt der Konzepte, derer man sich bedient – darunter vor allem Autoritarismus, Populismus und Faschismus, die – manchmal in Kombinationen oder mit verschiedenen Adjektiven (autoritärer Populismus, populistischer Autoritarismus, Rechtspopulismus, autoritärer Neoliberalismus etc.) – verwendet werden.
Es ist noch nicht lange her, dass Anfang der 2000er die Hoffnungen auf demokratischen Fortschritt hoch waren. Weltweit war die Anzahl demokratischer Staaten seit den 1970er Jahren in einem beständigen Prozess, den man als „dritte Demokratisierungswelle“ (Huntington, 1991, in: The third wave. Democratization in the late twentieth century. Norman: University of Oklahoma Press) bezeichnet, gestiegen und erfasste in den 1990ern auch Asien. Nach dem Ende des Kalten Krieges behauptete Fukuyama (1992, in: The end of history and the last man. New York: Free Press) bekanntermaßen das „Ende der Geschichte“ und den endgültigen Sieg der liberalen Demokratien über den Kommunismus. Der außergewöhnliche Wirtschaftserfolg in den Neuen Tigerstaaten (Thailand, Malaysia, Indonesien und die Philippinen) schien die Bedingungen für demokratische Reformen zu liefern, wie von der Modernisierungstheorie nahegelegt. Mit steigenden Einkommen entwickelte sich eine gebildete städtische Mittelklasse, die als „Träger der Demokratie“ galt.
Tatsächlich folgten auf die frühen Jahre des Wirtschaftsbooms Massenbewegungen, geprägt von den Mittelklassen, die die alten autoritären Regime der Reihe nach ersetzten. Dies begann mit dem Sturz des Marcos-Regimes in den Philippinen durch die People Power-Revolution 1986. 1992 führten Massenproteste in Thailand zum Sturz von General Suchinda. Danach schien sich die Demokratie in Thailand mit der Verfassung von 1997 zu festigen. In Indonesien stürzte die Reformasi-Bewegung 1998 General Suharto als Folge der Wirtschaftskrise 1997; und in Malaysia forderte Anwar Ibrahim Premierminister Mahathir Mohamad heraus.
Dieser Fortschritt wurde jedoch verzögert oder sogar umgekehrt, als die „Dritte Welle“ ihren demokratischen Höhepunkt Mitte der 2000er erreicht hatte (Croissant, 2016, in: Die politischen Systeme Südostasiens. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer VS). In Thailand wurde Premierminister Thaksin Shinawatra während seiner ersten Amtszeit mehr und mehr zum autoritären Populisten: Er unterdrückte politische Gegenmeinungen, führte einen blutigen „Krieg gegen Drogen“ (was Duterte zehn Jahre später nachahmen sollte) und beschwor einen Aufstand im Süden Thailands herauf. 2006 und erneut 2014 putschte das Militär nach Thaksins Wiederwahl und richtete wieder eine Militärdiktatur ein, die inzwischen fünf Jahre andauert. In Kambodscha zerstörte der eiserne Griff des Quasi-Diktatoren Hun Sen jedwede Hoffnung nach Beendigung des Bürgerkrieges eine demokratische Regierung mithilfe der Vereinten Nationen aufzubauen.
In Laos beendete 2012 das Verschwinden(lassen) des Bürgerrechtsvertreters Sombath Somphone allen Anschein einer politischen Öffnung. Darüber hinaus hat Myanmar, der jüngste Kandidat für demokratischen Wandel, internationale Beobachter*innen enttäuscht. Selbst nach der Übernahme einer zivilen Regierung, angeführt von der Nationalen Liga für Demokratie (NLD), schwand die autoritäre Staatsführung in vielerlei Hinsicht nicht, was Fragen über einen „autoritären Rückschlag“ (Buschmann, 2017) aufwarf.
Demzufolge war der politische Ausblick für die Region beim 50. Jubiläum von ASEAN – gefeiert 2017 – eher trüb. Dies sei „besonders der Fall bezüglich Problemfeldern wie Menschenrechten, Demokratie, Grundfreiheiten, Good Governance und Rechtstaatlichkeit“ (Khoo Ying Hooi, 2017). Die weitverbreitete Annahme, dass höheres Wirtschaftswachstum zu einem höheren politischen Freiheitsgrad führen würde, erwies sich auf lange Sicht als falsch. Außerdem ist die Rolle der Mittelklasse umstritten, da die städtischen Mittelschichten in Thailand populäre antidemokratische, fast faschistische Bewegungen unterstützten und die Mittelschichten in den Philippinen außergerichtliche Tötungen von sogenannten „Drogenkonsument*innen“, und damit auch eine populistische vollkommene Missachtung von Menschenrechten, befürworten. Die Frage ist, wie dieser Trend zu einer verzögerten oder gar umgekehrten Demokratisierung verstanden werden kann und was diese Region vom globalen Trend unterscheidet.
Was wir unter Neuen Autoritarismus fassen, kann auf verschiedenen konzeptionellen Ebenen diskutiert werden: Regime, Akteure und Ideologie.
Bereits Jahrzehnte vor der Finanzkrise 2008 entwickelte Poulantzas (1978/2000) das Konzept des autoritären Etatismus, das erstaunlich zeitgemäß scheint. Dieses Konzept erklärt, wie Staaten versuchen, angesichts der Krisentendenzen wirtschaftliches Wachstum aufrecht zu erhalten, was zu „intensiverer Staatskontrolle über jeden sozioökonomischen Lebensbereich, einhergehend mit einem radikalen Niedergang der Institutionen politischer Demokratie und mit der drakonischen, vielfältigen Beschränkung sogenannter ‚formaler‘ Freiheiten“ führt (Poulantzas, 1978/2000, S. 203-204). Während sich dieses Konzept auf die westlichen kapitalistischen Staaten bezog, wird es auch auf abhängige Staaten der Peripherie angewendet. Auch wenn autoritärer Etatismus gewisse faschistische Elemente zeigt, ist er laut Poulantzas nicht mit einer historischen Form von Faschismus gleichzusetzen. Als Folge der „Krise des Krisenmanagements“, die erhöhte Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und soziale Spannungen hervorrief, griffen autoritäre Staaten vermehrt auf nationalistische Ideologien zurück. Manchmal kombinieren sie diese mit religiösen Elementen, um Hegemonie und Unterstützung für ihre neoliberale Umstrukturierung zu erzeugen (Demirović, 2018).
Der Zusammenhang zwischen der Wirtschaftskrise und dem Aufstieg des Autoritarismus scheint sehr etabliert. Was jedoch angefochten wird, ist die Frage, ob den neuen autoritären Regimen eine bestimmte Art von Wirtschaftskonzept zugrunde liege. Eine Seite der Argumentation – die Poulantzas folgt – behauptet, dass neue autoritäre Regime eine weitere Intensivierung des Neoliberalismus bedeuten. Eine andere Position ist, dass neue Regime ein anti-neoliberales Ziel verfolgen – am deutlichsten erkennbar in der neumerkantilistischen Wirtschaftspolitik „XY first“ und – in nicht-westlichen Staaten – in der Bewegung, die sich von der neoliberalen Globalisierung im westlichen Stil abwendet.
Hier kommt die Rolle Chinas zum Tragen. Laut Kneuer und Demmelhuber kann China als eines der neuen „autoritären Gravitationszentren“ der Welt betrachtet werden, was als Vorbild „für die Staaten in geopolitischer Nähe dient und Nachahmung, Lernprozesse oder Policy-Transfers zu effektiven Mitteln der Autokratieförderung macht“ (2016, S. 777). Obwohl China autoritäre Regime nicht aktiv begünstigt, stellt es zumindest indirekte Unterstützung zur Verfügung, indem es wirtschaftlich mit autoritären Regimen involviert ist. Dies könnte auch aus Chinas Streben nach Stabilität in den Ländern folgen, die die Ziele für seine Großinvestitionen sind. Die politischen Folgen können zum Beispiel in Kambodscha beobachtet werden, wo der Langzeit-Premierminister Hun Sen, der auf Chinas volle Unterstützung baut, sich offen von Kambodschas früheren westlichen Geldgebern distanziert hat, indem die größte Oppositionspartei aufgelöst und eine unabhängige Zeitung, die sich in US-amerikanischem Besitz befindet, dichtgemacht wurde.
Es handelt sich bei dem Beitrag um die gekürzte und aktualisierte Fassung von: Einzenberger, R., & Schaffar, W. (2018). The political economy of new authoritarianism in Southeast Asia. Austrian Journal of South-East Asian Studies, 11(1), 1-12.
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