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„Abhängigkeit vom Dollar verringern“
Südostasien: Die ASEAN-Staaten stehen in den letzten Jahren vermehrt im Fokus der Weltfinanzpolitik. Über internationale finanzielle Zusammenarbeit und wirtschaftliche Zukunftsstrategien berichtet Kaewkamol “Karen” Pitakdumrongkit im Interview.
Wer sind die wichtigsten Akteur*innen, die ASEAN in finanzieller Hinsicht beeinflussen?
Was die Notfallfinanzierung angeht, verlässt sich die Region immer noch stark auf die US-Notenbank. Während der globalen Finanzkrise 2008/2009 setzten Singapur und Südkorea zum Beispiel auf einen bilateralen Swap (Tauschgeschäft von Verbindlichkeiten) mit der US-Notenbank. Während dieser Krise wurde die Chiang Mai Initiative Multilateralisation (CMIM, multilaterale Währungs-Swap-Vereinbarung zwischen den ASEAN+3-Mitgliedern) nicht aktiviert, obwohl diese für genau solche Situationen geschaffen wurde.
Wie kam es dazu?
Der Anwendungsbereich dieses Mechanismus ist sehr klein, er deckt nur etwa die Größe von drei oder vier kleineren ASEAN-Volkswirtschaften ab. Sowohl Singapur als auch Südkorea konzentrierten sich lieber auf einen bilateralen Swap, den sie durch ihre guten Beziehungen zu den USA leicht umsetzen konnten. Dieser Prozess hat sich negativ auf ASEAN+3 ausgewirkt, das eigentlich in Krisenzeiten helfen sollte, am Ende aber bis heute überhaupt nicht genutzt wurde.
Gibt es Kritik an der Nicht-Nutzung des Mechanismus aus den Mitgliedsstaaten?
Die gibt es sicherlich, aber es gibt auch Gründe für die Nicht-Nutzung. Ein offensichtlicher Grund ist, dass der vom Internationalen Währungfonds (IWF) abgekoppelte Anteil von CMIM nicht sehr hoch war und die CMIM-Mitglieder nur bis zu 40 Prozent ihrer Kreditaufnahmekapazität nutzen können, ohne einen Vertrag mit dem IWF einzugehen.
Außerdem müssen die kreditnehmenden Staaten mit mehreren Kreditgebern verhandeln, wie mit China oder Japan. Dies nimmt in der Regel mehr Zeit in Anspruch als bilaterale Gespräche. Und wenn es um Notliquidität geht, zählt jeder Tag, um die Finanzkrise im eigenen Land zu lindern.
Welche Bereiche sind für eine verstärkte finanzielle Zusammenarbeit wichtig?
Leider kommt der CMIM nicht so schnell voran, wie ich es mir wünschen würde. Aber er kann gestärkt werden, insbesondere durch die Rolle des ASEAN+3 Macroeconomic Research Office (AMRO), das regionale Überwachungsmechanismen bietet, die zu einer besseren Krisenprävention führen können. Zudem besitzt es das Mandat, die ASEAN+3-Finanzminister*innen und Regierungschef *innen im Rahmen des CMIM zu unterstützen.
Im Bereich der ASEAN+3, genauer gesagt unter der Asian Bond Markets Initiative (ABMI), findet zudem die Entwicklung von Anleihemärkten in lokaler Währung statt. Dadurch sollen finanzielle Anfälligkeiten innerhalb der Region verringert werden. Während der asiatischen Finanzkrise der späten 1990er Jahre verließ sich ASEAN sehr auf die Aufnahme von US-Dollar-Krediten aus dem Ausland. Als die lokalen Währungen abgewertet wurden, kumulierte sich die Belastung für die Unternehmen und viele gingen in Konkurs.
Dies soll sich nicht wiederholen, die Region soll sich auf ihre eigenen Währungen verlassen können. Deshalb zielt die Förderung der ABMI darauf ab, die Verwundbarkeit der Region zu verringern und die Abhängigkeit von ausländischen US-Dollar zu reduzieren.
Wie leistungsfähig ist ASEAN+3?
Auch innerhalb von ASEAN+3 gibt es Unstimmigkeiten. China zum Beispiel hat Vorschläge für eine Ausweitung gemeinsamer Finanzmechanismen geäußert, die eine Vielzahl von Schwellenländern, wie Lateinamerika oder Russland, umfassen sollen. Japan und ASEAN lehnten diese Reformen ab. Japan drängt stattdessen sehr stark auf die Stärkung von AMRO. Dies wird von ASEAN abgelehnt, um den Einfluss internationaler Institutionen gering zu halten.
Hinzu kommt, dass China in den letzten Jahren eine Menge finanzieller Währungs- Swaps eingesetzt hat. Der Staat nutzt die staatliche China Exim-Bank, um Währungen mit ASEAN-Ländern zu tauschen. Es scheint mir, dass China seine eigenen bilateralen Beziehungen zu den ASEAN-Ländern nutzt, anstatt auf ASEAN+3 zurückzugreifen.
Wie hat sich die Indo-Pazifik-Strategie der USA bisher auf die Region ausgewirkt?
Seit dem Regierungswechsel in den USA lässt sich sagen, dass Biden besser für die Region ist als Trump. Er ist bereit, Multilateralismus im Handel und anderen Bereichen stark zu machen. Dennoch wird seine Administration wahrscheinlich einen ähnlichen Ansatz gegenüber China verfolgen.
Dass die Beziehungen zu China weiterhin konfrontativ sein werden, ist Trumps Vermächtnis. ASEAN hingegen würde sich damit gar nicht wohl fühlen. Die Region war nicht mehr Schauplatz einer ähnlich großen Rivalität seit dem Kalten Krieg, und der endete immerhin vor dreißig Jahren. Deshalb veröffentlichte ASEAN den ASEAN Outlook on the Indo-Pacific (AOIP) mit der Kernaussage, dass ASEAN eine indo- pazifische Ordnung befürwortet, die auf Regeln basiert sowie inklusiv und offen für alle ist. Die ASEAN-Staaten wollen sich nicht für eine Seite entscheiden müssen.
Wie wirkt sich der Handelskrieg zwischen den USA und China auf ASEAN aus?
Für einige ASEAN-Länder ist er ein Glücksfall, weil viele Firmen aus China in ASEAN-Staaten, insbesondere Vietnam, verlagert werden. Gleichzeitig hat ASEAN den Handelskrieg genau beobachtet, weil man nicht will, dass er auf die Region überschwappt.
Was sind gemeinsame Ziele der USA und der ASEAN?
Es gibt viele Bereiche, in denen die USA und ASEAN mehr zusammenarbeiten können. Das fängt bei der Infrastrukturentwicklung an, in der die USA vor China liegen, vor allem im Dienstleistungsbereich. Es findet eine Verschiebung von der materiellen Infrastruktur, wie Eisenbahnen oder Brücken, hin zu Dienstleistungen, zum Beispiel im IT-Bereich, statt. Die ASEAN-Länder haben ein großes Interesse an der Entwicklung digitaler Wirtschaft, wodurch die USA den Aufstieg Chinas in der Region blockieren könnten.
Wie wird das europäische Engagement innerhalb der ASEAN wahrgenommen?
Eine Sorge, die manche ASEAN-Staaten haben, ist der Ansatz der EU, ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Werten und Menschenrechten zu verbinden. Als zum Beispiel der Militärputsch 2014 die thailändische Regierung stürzte, sanktionierte die EU Thailand und die Militärjunta. Wenn Menschenrechte als eines der Kriterien für zukünftige Kooperationen herangezogen werden, zum Beispiel in einem europäischen Lieferkettengesetz, könnte dies zu Spannungen zwischen der EU und einigen ASEAN-Staaten führen.
Welche Auswirkungen hat die Regionale umfassende Wirtschaftspartnerschaft (RCEP) auf Volkswirtschaften der ASEAN-Staaten?
Das RCEP-Abkommen ist ein sehr unterschätztes Freihandelsabkommen, das der Region eine Menge Vorteile bringt. Erstens beinhaltet es eine einzige Ursprungsregel, auf die sich nun alle RCEP-Mitglieder [ASEAN, China, Japan, Südkorea, Australien, Neuseeland, d.R.] bei der Herstellung von Produkten verlassen können. Das hilft, die regionale Lieferkette zu stärken und birgt mehr Geschäftsmöglichkeiten für die Region. Zum zweiten ergab eine ökonomische Analyse des Peterson-Instituts, dass RCEP der Region im Falle eines anhaltenden Handelskriegs zwischen den USA und China mehr Nutzen bringen wird als ein ‚Business as usual’-Szenario.
Darüber hinaus sind die RCEP-Bedingungen deutlich fortschrittlicher als die anderer ASEAN+1-Freihandelsabkommen (FTAs). Sie enthalten beispielsweise ein Kapitel zum öffentlichen Beschaffungswesen und ihr Investitionskapitel umfasst keine leistungsfordernden Maßnahmen.
Wie können Mitgliedsstaaten ihre eigene Wirtschaftsstrategie im Rahmen von ASEAN umsetzen?
Es gibt ein bestehendes Rahmenwerk, das ASEAN Framework Agreement on Services (AFAS), das im Jahr 2010 bis zu 70% ausländisches Kapital im Gesundheitswesen erlaubte. Innerhalb der ASEAN können Investor*innen bis zu 70% in Anteile von Krankenhäusern oder medizinischen Einrichtungen in anderen ASEAN-Ländern investieren. Dies ist ein riesiger Anteil und verdeutlicht das Ziel der ASEAN-Mitglieder, untereinander zu investieren.
Darüber hinaus besitzt ASEAN ein Mutual Recognition Arrangement, das bestimmte Berufsgruppen in jedem Mitgliedsland anerkennt. So können zum Beispiel Ärzt*innen, Zahnärzt*innen und Krankenhelfer*innen in einem anderen ASEAN-Land ihrer Wahl arbeiten. Das ist ein guter Weg, um den Austausch im Gesundheitswesen in der Region zu fördern.
Sind einige Mitgliedsländer in diesem Bereich aktiver als andere?
Auf jeden Fall. Es gibt beispielsweise drei Hauptakteur*innen des Medizintourismus in der Region: Singapur, Malaysia und Thailand. Bis zu einem gewissen Grad konkurrieren diese drei untereinander um eine Führungsrolle in der medizinischen Versorgung. Aber sie versuchen auch, Expertise in verschiedenen Bereichen aufzubauen. Thailand zum Beispiel hat sich weitgehend auf Kosmetika konzentriert, während Singapur einen guten Sektor für Herz- und Malaysia für Kniechirurgie besitzt.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen von: Simon Kaack
Dieser Text erscheint unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.