2 | 2022

Soziale Medien und Demokratie in Indonesien

© Tracy Le Blanc/Pexels

Indonesien: Hoaxes, gefälschte Nachrichten und Desinformationen in sozialen Medien machen diese digitalen Plattformen zunehmend zu einer Bedrohung für die Demokratie.

„Soziale Medien geben Legionen von Idioten das Recht zu sprechen, die früher nur an der Bar nach einem Glas Wein gesprochen haben, ohne der Gemeinschaft zu schaden. Sie wurden da schnell zum Schweigen gebracht. Und jetzt haben diese Idioten das gleiche Recht zu sprechen wie Nobelpreisträger. Es ist eine Invasion der Narren.“ So äußerte sich – verärgert über so manche Inhalte in den sozialen Medien – der italienische Romanautor und Philosoph Umberto Eco.

Im Zeitalter der sozialen Medien hat sich die Demokratie in vielen Teilen der Welt verschlechtert, anstatt sich zu verbessern. Autoritäre Politiker, von Donald Trump in den USA bis Rodrigo Duterte auf den Philippinen, sind beliebt und werden gefeiert für ihre kontroversen Tiraden. Sensationelle und irrsinnige Ideen verbreiten sich schneller und bekommen mehr Aufmerksamkeit. Die Grundsätze der Demokratie zur Wahrung von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit gehen in einer Flut irrelevanter Informationen unter.

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Post-Truth wird zum Inbegriff der Ära der sozialen Medien. Das zeigte sich als Donald Trump die Präsidentschaftswahlen in den USA gewonnen hatte und auch, als Großbritannien in einem Referendum für Brexit, den Austritt aus der Europäischen Union, zugestimmt hat. Das waren zwei ziemlich schockierende Ereignisse im Jahr 2016, die lange unvorstellbar waren, gerade in den Ländern, die als Vorkämpfer der Demokratie galten. Viele Beobachter und Medienexperten suchten nach einer Erklärung und kamen zu dem Schluss, dass vor allem soziale Medien ’schuld‘ seien.

Soziale Medien als Kanal für Identitätspolitik

Soziale Medien gelten als beliebter Kanal für Identitätspolitik, die eine bestimmte Vorstellung von Volk, Nation oder auch Religion verbreitet, genutzt vor allem von Populisten, die Wahlen mit allen Mitteln gewinnen wollen. Donald Trump gewann auf diese Weise die Präsidentschaftswahlen in den USA 2016, Jair Bolsonaro in Brasilien 2018, Rodrigo Duterte auf den Philippinen 2016, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei 2014, um nur einige zu nennen.

In Indonesien werden die letzten beiden Präsidentschaftswahlen, von Joko Widodo gewonnen, vor allem als ‚brutale‘ Wahlen in Erinnerung bleiben. Eine Untersuchung des indonesischen Presserates zur Nutzung von Twitter bei den Präsidentschaftswahlen 2014 kommt zu dem Schluss, dass der Wahlkampf vor allem von Beschimpfungen und Hassbotschaften geprägt waren.

So wurde die Plattform Twitter vor allem dazu verwendet, fanatische Unterstützungsbekundungen oder grobe Angriffe auf den Präsidentschaftskandidaten zu äußern, ein „demokratischer Dialog“ fand nicht statt. Twitter und andere soziale Medien seien zu Kanälen des Monologs geworden, so der Presserat, gefüllt mit Spott und Beleidigungen statt dem Austausch von Ideen.

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Soziale Medien verwandeln die Nutzer von Konsumenten zu Produzenten von Informationen, von passiven Zuhörern zu aktiven Anbietern von Inhalten. Der hektische Informationsfluss ist wie ein Gespräch auf einem überfüllten Markt, auf dem sich Käufer und Verkäufer nicht einig sind. Jeder hat eine Meinung, egal wie banal sie ist. Die Themen, die die sozialen Medien füllen, sind wie der Gesprächswirbel auf dem Markt, ohne klare Richtung und ohne Nutzen für das öffentliche Interesse.

Mehr Klatsch als Information

Dabei sind Fehlinformationen, Hoaxes oder Fake News eigentlich keine neuen Phänomene. Soziale Medien haben es jedoch leichter gemacht, manipulative Informationen in noch nie da gewesener Art und Weise zu verbreiten. Die Medienlandschaft in Indonesien hat sich dadurch drastisch verändert, Mainstream-Medien und die Presse verlieren ihre Rolle als Information Clearing House. Die virtuelle Welt des Internets wächst zu einem Berg von falschen Informationen und Angaben, und es ist zunehmend schwieriger, richtige und sinnvolle Informationen zu finden.

In den sozialen Medien gibt es mehr Klatsch als Information. Es gibt keine Richtung und keine klaren Regeln. Das so genannte Agenda-Setting und journalistische Prozeduren, früher von traditionellen Massenmedien durch einen Prozess der Prüfung von Kriterien für die Eignung zum Druck oder Ausstrahlung gesetzt und einer gewissen Berufsethik folgend, wird in der Ära der sozialen Medien nicht mehr als nötig angesehen.

Wie kann mit dem Verschwinden vieler traditioneller Mainstream-Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Fernsehprogramme) dem öffentlichen Interesse weiterhin Ausdruck verliehen werden? Wie kann man die Öffentlichkeit dazu einladen, sich auf wesentliche Themen zu konzentrieren und gemeinsame Interessen zu kommunizieren? Welche Strategie sollte entwickelt werden und wie geht man mit diesem scheinbar chaotischen Informationsfluss um? Das ist die Herausforderung des Demokratiemanagements im Zeitalter der sozialen Medien. Es geht um die Stärkung der Demokratie und die Informationskompetenz.

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Suche nach ‚Stimmen‘ statt nach Lärm

Das bedeutet, das Recht auf freie Meinungsäußerung muss gewahrt bleiben, auch wenn der Lärm in den sozialen Medien immer lauter wird. Der Sturm viraler Inhalte in den sozialen Medien ist wie ein ohrenbetäubender Lärm, der ständig summt und sich wiederholt, verstärkt durch das Trommeln der Buzzer („Buzzer“ werden Social Media Akteure genannt, die teilweise bezahlt, teilweise aus eigenem Antrieb und in der Regel in einem Netzwerk mit anderen Accounts agierend, bestimmte politische Positionen, Parteien oder Politiker unterstützen, um ihnen Reichweite und Diskurshoheit zu verschaffen. – d. Red). Aber diesem Sturm müssen wir standhalten. Die Buzzer werden schnell müde, und der Hype um die sozialen Medien wird irgendwann nachlassen. Die breite Öffentlichkeit wird früher oder später diesen ‚Lärm‘ satt haben und stattdessen wieder nach ‚Stimmen’ suchen. Die Öffentlichkeit wird wieder Informationen suchen, die sie benötigt, und nicht nur, die sie hören möchte. Die Öffentlichkeit wird wieder lernen, Informationen aus glaubwürdigen Quellen zu suchen. Und dafür müssen die Medien und Medientätigen bereit sein und Informationsangebote bereitstellen.

Das ‚Informationszeitalter‘ des 20. Jahrhunderts geht zu Ende und das ‚Reputationszeitalter‘ des 21. Jahrhunderts wird kommen: Informationen sind nur dann wertvoll, wenn sie von einer glaubwürdigen Person oder glaubwürdigen Institutionen gefiltert, bewertet und produziert werden. Inmitten der aktuellen Flut von Fehlinformationen und Desinformationen wird irgendwann die Orientierung an Quantität durch Orientierung Qualität und Reputation ersetzt werden.

Machtmonopole – auch von Technologieunternehmen – gefährden Demokratie

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Soziale Medien sind eben nur Plattformen und Arbeitsmittel. Ob ‚gut‘ oder ’nicht gut‘, das hängt schließlich vom Nutzer ab. Werkzeuge, die für das Gute eingesetzt werden, werden auf lange Sicht öffentliches Interesse wecken, und Sympathie und Unterstützung gewinnen. Demokratie beinhaltet immer einen Selbstkorrekturmechanismus. Wir können immer aus unseren Fehlern und Schwächen lernen und uns verbessern.

In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens, eingebettet in einem demokratischen System, haben soziale Medien viele Hoffnungen geweckt. Teile der Öffentlichkeit, die zuvor kein Medium zum Sprechen hatten, konnten an sozialen und politischen Gesprächen teilnehmen. Politische Gespräche wurden damit offener, breiter, weniger hierarchisch. Heute erscheinen soziale Medien in Indonesien eher wie eine hektische und chaotische ‚Unterhaltung‘. Aber früher oder später wird sich diese Situation ändern. Dann werden mehr inklusive und umsichtige Gespräche entstehen mit einem neuen öffentlichen Bewusstsein.

Die Demokratie bleibt mit all ihren Widersprüchen und Mängeln das beste System. Die Prinzipien der Freiheit, der öffentlichen Kontrolle, der Kollegialität und der Nicht-Hierarchie ermöglichen einem demokratischen System, sich selbst zu verbessern. Demokratie ist wichtig für den Aufbau einer starken Zivilgesellschaft, damit sichergestellt werden kann, dass es keinerlei hegemoniale Macht gibt, einschließlich der Übermacht digitaler Technologieunternehmen und Plattformen.

Aus dem Indonesischen übersetzt von: Hendra Pasuhuk

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Der Autor

Lukas Luwarso ist Journalist und Kolumnist und arbeitet mehr als 25 Jahren für verschiedene Medien und Medienprojekte. Er war Vorstandsmitglied des Indonesischen Presserates und geschäftsführender Direktor der South East Asian Press Alliance (SEAPA). 2005-2006 absolvierte er ein Studium über Media Law and Ethics in University of Maryland, USA.

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Lukas Luwarso

Lukas Luwarso ist Journalist und Kolumnist und arbeitet mehr als 25 Jahren für verschiedene Medien und Medienprojekte. Er war Vorstandsmitglied des Indonesischen Presserates und geschäftsführender Direktor der South East Asian Press Alliance (SEAPA). 2005-2006 absolvierte er ein Studium über Media Law and Ethics in University of Maryland, USA.

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