Vietnam/USA: Entschlossene Vietcong Kämpfer, ein US-Kriegsfilm und die Mühen der ‚boat people’ im neuen Land: Alles, was wir über Vietnam zu kennen glauben, stößt im Roman „Der Sympathisant“ aufeinander. Doch die Geschichte ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Es werden Klischees umgekrempelt und niemand ist so, wie er scheint.
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Originalausgabe von Viet Thanh Nguyens Debütroman Der Sympathisant im Jahr 2015, nur Wochen vor dem 40-jährigen Jubiläum des Falls von Saigon, war perfekt gewählt. Das amerikanische Publikum erlebte eine Phase der Selbstreflexion, die die amerikanische Rolle im Vietnamkrieg und seine Auswirkungen auf ‚die amerikanische Psyche’ wieder in den Fokus nahm.
In diesen Diskursraum trat Nguyen mit einem – zumindest für den Mainstream – grundlegend anderen Blick, dem des südvietnamesischen Soldaten. Obwohl sein Roman nicht der erste war, der das tat, erreichte er mit Abstand die breiteste Öffentlichkeit und kann dadurch auch als das synthetisierende Werk der vietnamesisch-amerikanischen Literatur gesehen werden.
Die namenlose Hauptfigur, die gleichzeitig der Erzähler ist, schreibt ihre Lebensgeschichte zunächst als Geständnis während der eigenen Haftzeit auf – gerichtet an den mysteriösen Kommandanten eines Umerziehungslagers. „Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern“ – mit diesem Satz beginnt der Roman und die Thematik der Dualität und der Zugehörigkeit durchdringt fortan die ganze Geschichte. Der Sohn eines französischen Priesters und einer Vietnamesin ist immer der ‚Bastard’, der von seinem Vater nicht anerkannt und wegen seines europäischen Aussehens zur Zielscheibe der Grausamkeiten der vietnamesischen Gleichaltrigen wird.
Vielleicht landet er auch deshalb im Beruf des Spions, sogar dem des Doppelspions. Als ‚Maulwurf’ des Vietcong nistet er sich im Kreis eines südvietnamesischen Polizei-Generals, im Buch nur „der General“ genannt, ein und geht sogar mit ihm ins kalifornische Exil. Dort infiltriert er die vietnamesische Community und berichtet nicht nur dem Vietcong sondern auch der CIA von den revanchistischen Plänen, die dort entstehen. Schließlich landet er selbst in einem „Umerziehungslager“ und muss dort sein Leben als Rechenschaftsbericht und mit Selbstkritik aufschreiben.
Mit analytischer Präzision stellt Nguyen eine Vielfalt vietnamesischer Erfahrungen dar: Die ältere Generation der militärischen Elite fühlt sich in der Masse der unsichtbaren Einwanderer erniedrigt. Sie mühen sich an demütigenden Jobs ab und treffen sich zu nostalgisch getränkten Kulturabenden, wo sie von einer triumphalen Rückkehr ins Heimatland und der Wiederherstellung der früheren Ordnung träumen. Die jüngere Generation, oftmals schon im amerikanischen Bildungssystem sozialisiert, findet die ideologische und sexuelle Freiheit sowie die Kultur der neuen Heimat viel anziehender.
Das Paradebeispiel dafür ist die Tochter des Generals, Lana. Sie glaubt an “Gewaltlosigkeit, Weltfrieden und Yoga, an das revolutionäre Potenzial von Disco sowie an die Vereinten Nationen von Nachtclubs“ und auf ihrer Playlist finden sich Khanh Ly und Billie Holiday problemlos nebeneinander. Oder auch Sonny, der aufstrebende Journalist, der liberale sowie sozialistische Neigungen hat, ohne sich gezwungen zu fühlen, zwischen den gegnerischen Seiten zu wählen. Auch unser Protagonist liebt an den USA den unvergänglichen Optimismus und modernistische Romane, die später bei seinem Bewacher, dem Kommandanten, starke Missbilligung hervorrufen.
Allerdings ist das Leben in den USA auch kein Zuckerschlecken. Nguyen äußert scharfe Kritik an der vereinfachenden und bevormundenden Behandlung von Vietnamesen in den Massenmedien sowie in der akademischen Welt. So berichtet unser Erzähler, wie er einst auf den Philippinen als Berater an einem Kriegsfilm mitwirkte, der deutlich von Francis Ford Coppolas Apocalypse Now inspiriert ist. Nur wegen seiner Überzeugungskraft werden die vietnamesischen Statisten besser bezahlt und dürfen im Film überhaupt Vietnamesisch sprechen. Die Hauptrollen werden auch weiterhin von anderen asiatischen Schauspieler*innen gespielt.
Auch an der Universität ist das Umfeld nur an der Oberfläche fortschrittlicher; hinter mit Orientteppichen bedeckten Wänden und Weichrauchschwaden steckt dieselbe Herablassung. In einem Vorstellungsgespräch wird der Protagonist gebeten, seine orientalischen sowie abendländischen Eigenschaften aufzuschreiben. Später erzählt seine Kollegin, die japanisch-amerikanische Miss Mori, dass sie ständig von ihrem Chef kritisiert wird, weil sie kein Japanisch spricht und “ihre Kultur” nicht erhalten hat.
Der Roman widersetzt sich irgendeiner Einordnung: Trivialliteratur trifft auf philosophische Überlegungen, derber Humor vermischt sich mit surrealistischen, traumhaften Episoden, um letztendlich mit einer schockierenden Sequenz als Psychothriller zu enden. Obgleich man mühelos nach typischen Schwächen eines Debütromanes suchen könnte, werden diese Schwächen von den unbestrittenen Stärken übertroffen. In Bezug auf die Darstellung vietnamesischer Identitäten in der Mainstream-Literatur ist dies ein gewaltig wichtiges Buch.
Rezension zu: Viet Thanh Nguyen. Der Sympathisant. Karl Blessing Verlag, 2017, 528 Seiten
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