1 | 2020, Philippinen,
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Profitgier statt Solidarität

Taifun Yolanda

Verwüstungen nach Super-Taifun Yolanda auf der Insel Sicogon 2013 © FESIFFA

Die Philippinen sind eines der Länder, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. Sechs Jahre nach dem Super-Taifun Yolanda leben noch immer Tausende Menschen in provisorischen Behausungen. Der Wiederaufbau dient großen Unternehmen, die aus der Notsituation der Menschen Nutzen schlagen.

Trotz wachsenden Bewusstseins für die Klimaproblematik haben sich die Zustände in den Staaten, die am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, nicht wesentlich verbessert. Auch die Philippinen zählen zu den am härtesten betroffenen Ländern. Jedes Jahr ziehen rund 19 Taifune durch den Inselstaat. Die Zerstörungen, die vor allem Super-Taifun Yolanda (international bekannt als Haiyan) im November 2013 auf den Philippinen hinterlassen hatte, zeigen die Realität einer verfehlten globalen Klimapolitik und nationalen Sozialpolitik. Yolanda hat nicht nur über 6.000 Filipin@s das Leben gekostet, sondern auch rund vier Millionen Menschen obdachlos gemacht. Wiederaufbauprogramme unterstützten Betroffene beim Bau neuer Häuser und neuer Lebensperspektiven.

Eine der größten Herausforderungen ist dabei die Umsetzung des staatlich geleiteten Programms zum Wiederaufbau von Häusern. Tausende Taifun-Betroffene leben heute noch in provisorischen Behausungen oder Zeltlagern. Im Jahre 2016, sechs Jahre nach Yolanda, hat die zuständige National Housing Authority (NHA) im Rahmen des Programms Reconstruction Assistance on Yolanda (RAY) nur 50% der geplanten 205.128 Häuser fertiggestellt und auch diese in nur mangelhafter Qualität.

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Student*innen verlangen Klimagerechtigkeit auf einer Protestveranstaltung von FESIFFA in Manila © FESIFFA

Landraub statt staatlicher Hilfe

Darüber hinaus wurden zahlreiche Überlebende vom staatlichen Wiederaufbauprogramm ausgeschlossen. Auf der Suche nach Land für die Umsiedlung der Taifun-Überlebenden aus den unsicheren Küstenregionen hat die Regierung viele Kleinbäuer*innen in die Obdachlosigkeit gedrängt. Nach Yolanda (Haiyan) drohte ihnen aufgrund von fehlenden offiziellen Landtiteln eine Zwangsräumung. Zusätzlich wurde ihnen der Anspruch auf staatliche Unterstützungsleistungen zur Rehabilitierung ihrer Landwirtschaft verweigert.

Insbesondere Betroffene mit ungeregelten Landbesitzverhältnissen waren im Zuge von Wiederaufbauprogrammen von Landraub betroffen. Ermöglicht wurde dies vor allem durch die enge staatliche Kooperation mit Unternehmen des Privatsektors: Eine große Anzahl von Yolanda-Überlebenden wurden vom NHA-Wiederaufbauprogramm ausgeschlossen. Stattdessen konnten sich private Unternehmen des Wiederaufbaus ‚annehmen’. Unlautere finanzielle Angebote gegenüber Betroffenen sowie Gewaltandrohungen ermöglichten Landraub und Vertreibung.

Die Insel Sicogon

Ein Beispiel dafür ist die Insel Sicogon in der Provinz Iloilo. Auf der 1.163 Hektar großen Insel Sicogon arbeitet für das Wiederaufbau-Programm des ehemaligen Präsidenten Beningo Aquino III die Regierung mit Unternehmen zusammen. Eines der größten Bau- und Immobilienunternehmen, Ayala Land (kurz: Ayala), übernahm die Verantwortung für den Wiederaufbau. Allerdings zeigt die Situation heute, dass die Notsituation der Menschen dem Unternehmen zur Gewinnmaximierung in Form eines Tourismus-Projektes diente.

Zugleich hat der Umgang mit den Folgen von Yolanda einen langwierigen Landrechtsstreit mit dem privaten Unternehmen Sicogon Development Corporation (kurz SIDECO) verschärft. Im Zuge einer Joint Venture Partnerschaft von SIDECO und Ayala wurden die ungeklärten Landbesitzverhältnisse auf der Insel zu Gunsten von SIDECOs Tourismusprojekt genutzt. Die beiden Unternehmen verhinderten nach dem Taifun Yolanda, dass humanitäre Leistungen wie Baumaterial und Nahrung die Insel erreichten.

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Bootsanfahrt zur Insel Sicogon © Astrud Lea Beringer

Ayala und SIDECO boten den Taifun-Betroffenen nach einem Monat lediglich zwei Optionen an: Entweder nehmen sie eine einmalige Zahlung von 150.000 Pesos (ca. 2.628 Euro) an, verlassen die Insel unverzüglich und kehren nie wieder zurück, oder sie erhalten 5.000 Pesos (ca. 88 Euro) und siedeln auf das Festland um, sobald Ersatzhäuser fertig gestellt würden. Aus Not nahmen über 200 Familien das unfaire Angebot an. Trotz der Notsituation lehnten 784 Familien der lokalen Federation of Sicogon Island Farmers and Fisherfolks Association (FESIFFA) die Angebote der zwei Unternehmen ab.

Sicogons sauberes Quellwasser, fruchtbares Ackerland und reiche Fischgründe bieten den rund 6.000 Inselbewohner*innen der drei Dörfer die notwendige Grundlage für den Erhalt ihrer Subsistenz-Wirtschaft. Der Erwerb von Landtitel(n) ist essenziell, um ihr Recht auf Nahrung, Wasser und Behausung auch weiterhin ausüben zu können. Schon 1919 hat der Oberste Gerichtshof den Sicogoner*innen genügend Platz für ihre Gemeinschaft, i.e. Plaza, Schule, Friedhof und Straßen, zugesprochen. Dies stellte die Grundbedingung für den ehemaligen Landbesitzer dar, den Landtitel für 809 Hektar Land (70% der Insel) erwerben zu können. Doch bis heute wurde der Bescheid von der Regierung sowie von den Unternehmen ignoriert.

Kampf um Landrechte

Anfang der 1980er Jahre wurde dieser Landtitel auf die wohlhabende Sarroza-Familie übertragen. Ihr Versuch durch das Familien-Unternehmen SIDECO, Sicogon in ein beliebtes Tourismusziel zu verwandeln, blieb allerdings erfolglos. Im Zuge der nationalen Landreform von 1988, ließ die zuständige Behörde für Agrarreform rund 335 Hektar von SIDECOs Land als Agrarland ausweisen, welches ab dem Jahre 2004 auf 256 begünstigte Bäuer*innen aufgeteilt werden sollte.

Seit 2004 hat FESIFFA insgesamt vier Mal eine gemeinschaftliche Bewirtschaftung des öffentlichen Waldes (282 Hektar) beantragt. Die ersten drei Anträge von FESIFFA wurden ignoriert. Der Regierungsbeschluss über den letzten Antrag vom September 2019 steht noch aus. Mit dem Einfordern ihrer Landrechte begannen bereits in den 1990er Jahren die Schikanen durch die Sarroza-Familie und ihr Unternehmen, SIDECO. Die Menschenrechtsverletzungen durch das SIDECO-Personal wurden nie strafrechtlich verfolgt.

Gemeinschaftsland in Kapitalistenhand

Die Auswirkungen des verfehlten Taifun-Wiederaufbaus erschwerten FESIFFAs jahrelangen Kampf um die Sicherung ihrer Lebensgrundlage. Durch Ayala erhielt SIDECO die notwendigen finanziellen Mittel und den politischen Einfluss, Sicogon zu einem Paradies für reiche Tourist*innen zu machen. Anstatt den Wiederaufbau gemäß der Vereinbarung zügig voranzutreiben, konzentrierten sich Ayala und SIDECO auf den Ausbau ihres Tourismusprojektes. Ayala und SIDECO beteuern, dass bereits drei Hektar mit 50 Häusern bebaut und erste Gelder für Berufstrainings aufgewendet wurden.

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Ayalas umstrittene Häuser. Sie sind ohne FESIFFAS Einverständnis auf Grundlage der Vereinbarung von 2014 errichtet worden. © Astrud Lea Beringer

FESIFFA versichert hingegen, dass bisher nichts dergleichen mit ihrem Einverständnis geschah. Heute operieren bereits zwei Hotelanlagen. Wo früher Reisfelder waren, entstand ein Flughafen. Der Antrag der zwei Unternehmen auf Landumwidmung der knapp 335 Hektar Agrarland wurde von der Behörde für Agrarreform schon im Februar 2016 genehmigt. Aufgrund der unerfüllten Vereinbarung, reichte FESIFFA im August 2017 einen Widerrufungsantrag ein. Dieser wurde aber im Oktober 2019 von der Regierung abgelehnt.

Noch im März 2019 stellte der Sekretär der nationalen Behörde für Agrarreform auf Drängen von FESIFFA einen Bescheid (Cease and Desist Order) aus , private landowner, der einen vorübergehenden Baustopp für Sicogon veranlasste, bis der Landrechtsdisput geregelt ist. Ebenfalls im März 2019 verklagte FESIFFA acht Regierungsbeamt*innen des Department of Environment and Natural Ressources wegen Korruption und Bestechung.

Denn anstatt den Sicogoner*innen ihre Nutzungsrechte für öffentliches Land zu gewähren, stellte die Behörde im Jahre 2010 Nutzungsrechtszertifikate für öffentliche Landparzellen an Personen aus, denen enge Verbindungen zu Ayala und SIDECO nachgesagt werden. Diese hatten jedoch weder einen festen Wohnsitz auf Sicogon, noch konnten sie einen Besitz von mindestens 30 Jahren auf der Insel nachweisen, was eine Bedingung zum Erwerb der Zertifikate ist. Drei Jahre nachdem die Zertifikate ausgestellt wurden, gab die Umweltbehörde zu, dass diese aufgrund von fehlerhaften Landkarten unrechtmäßig waren. Auf Drängen von FESIFFA leitete die Behörde im Juni 2019 eine Untersuchung der Unregelmäßigkeiten ein. Seither wartet FESIFFA auf einen Bericht.

Unternehmensinteressen bedrohen Recht auf Wasser

Die Sicogoner*innen stellen sich nicht grundsätzlich gegen Tourismus, jedoch gegen einen Tourismus, der ihre Rechte bedroht. Zugang zu Landbesitz ist essenziell für das Recht auf Nahrung der ländlichen Bevölkerung. Die Regierung hat ihre Pflicht versäumt, gemäß dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (WSK), das Recht auf Nahrung der Sicogoner*innen durch eine rasche Umverteilung von privatem und öffentlichen Landbesitzes zu sichern.

Auch das Recht auf Wasser der Sicogoner*innen ist bedroht. Anfang 2019 ließen Ayala und SIDECO trotz fehlender Genehmigung die einzige Trinkwasserquelle im öffentlichen Waldanteil für ihre Hotelanlagen umleiten. Anstatt die Inselbewohner*innen nach dem Taifun Yolanda mit der notwendigen humanitären Hilfe zu versorgen, wurde den Unternehmen der Wiederaufbau und das (Un-)Wohl der Bevölkerung überlassen.

Fischer

Ein Großteil der Inselbewohner*innen leben vom Fischen. Ein Fischer flickt sein Fischernetz in der Nachmittagssonne. © Astrud Lea Beringer

Indessen wurde durch den Taifun Ursula Ende Dezember 2019 auch Sicogon wieder stark verwüstet. Über 1.000 Häuser sowie zahlreiche Fischerboote und Obstbäume wurden zerstört. Insbesondere der durch Ayala vorangetriebene Straßenausbau, der den natürlichen Wasserpfad blockiert, dürfte massiv zu Erdrutschungen und folglich zu den Zerstörungen der Häuser beigetragen haben. Genau wie vor sechs Jahren übernahm nicht der Staat, sondern Ayala die Verantwortung für Nothilfeleistungen an die betroffenen Inselbewohner*innen. Das Unternehmen bot an, zwei Millionen Pesos für den Wiederaufbau zu spenden. FESIFFA lehnte ab und forderte die Unterstützung der verantwortlichen Regierungsbehörde.

Klimagerechtigkeit heißt: Gemeinwohl statt Profitmaximierung

Trotz des täglichen Alptraums kämpfen die Inselbewohner*innen weiter für soziale Gerechtigkeit und dafür, auf Sicogon zu bleiben. Landraub ist ein politisches Problem, getrieben von ökonomischen Interessen. In einem Land, wo das Vertrauen in einen unabhängigen Rechtsstaat gering ausfällt und wo mit Geld politische Entscheidungen beeinflusst werden, hat ein millionenschwerer Immobilienriese wie Ayala leichtes Spiel, die Bewohner*innen einer kleinen Insel zu unterdrücken und zu manipulieren.

Problematisch ist vor allem, dass auf den Philippinen in vielen Fällen ökonomische und politische Eliten identisch sind und dass diese Eliten einen großen und wichtigen Teil der Medienkanäle besitzen. Auch wenn Pressefreiheit auf den Philippinen gesetzlich festgeschrieben ist, so leben Journalist*innen gefährlich, wenn ihre Berichte den Interessen der Eliten widersprechen. Unter diesen Umständen ist es für marginalisierte Bevölkerungsgruppen äußerst schwierig, sich medial Gehör zu verschaffen.

Der Klimawandel und seine Folgen sind ein globales Problem, von dem alle Menschen betroffen sind. Weltweit nehmen Extremwetterereignisse zu, nicht nur in den Ländern des Globalen Südens, sondern auch in Industriestaaten. Es braucht ein stärkeres globales Verantwortungsbewusstsein sowie einen konkreten Handlungswillen auf Seiten der Regierungen und des Privatsektors. Auf lokaler Ebene ist ebenfalls ein starker politischer Wille notwendig, der sich in den Dienst des Gemeinwohls stellt, statt der Profitmaximierung zu frönen.

Die Schwierigkeiten, die sich im Wiederaufbau nach dem Taifun Yolanda gezeigt haben, verdeutlichen, wie unvorbereitet Regierungen auf zukünftige Klimakatastrophen sind. Eine Grundvoraussetzung für klimaresiliente Lebensgrundlagen ist, dass Land- und Siedlungsrechte gesichert werden. Letztlich sollten die Menschen, die von der Klimakrise am meisten betroffenen sind, stärker in die politischen Diskussionen einbezogen werden.

Dieser Artikel ist eine redaktionell bearbeitete und gekürzte Fassung des im Februar 2020 in der Reihe Blickwechsel des Asienhauses erschienen Artikels.

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