Philippinen/Deutschland: Zahlreiche philippinische Pflegekräfte arbeiten in Deutschland. Wie erleben sie die Corona-Pandemie? Wie halten sie Kontakt zu ihren Familien? Wir haben mit sechs philippinischen Krankenpfleger*innen gesprochen, die in der COVID-19-Versorgung in deutschen Krankenhäusern tätig sind.
Am 20. März 2020 gab die Hessische Krankenhausgesellschaft bekannt, dass ein Rekrutierungsflug für Intensivpflege-Personal aus den Philippinen nach Deutschland stattfinden wird. Mit einer Sondergenehmigung konnten 75 philippinische Krankenpfleger*innen einreisen, um COVID-19-Patient*innen in Hessen zu versorgen. Trotz verstärkter Quarantäne in den Philippinen, der geschlossenen deutschen Grenze und einer europaweiten Einreisebeschränkung wurde eine rasche Einreise genehmigt.
Zugleich wurde in den Philippinen gefordert, den Einsatz von Pflegekräften im Ausland während der aktuellen Not des öffentlichen Gesundheitssystems einzustellen. Zur Zeit der Ankündigung des Rekrutierungsfluges stiegen die Corona-Fälle in den Philippinen rapide an. Im April 2020 wurde ein Deployment-Ban für die Ausreise von Gesundheitspersonal verhängt.
Die Anwerbung war nicht überraschend. Deutschland hatte sich an die Philippinen gewandt, um seinen Pflegekräftemangel, unter anderem durch das Triple-Win Projekt (siehe Kasten) zu beheben. Für die philippinischen Regierung markiert die Unterzeichnung des Abkommens mit Deutschland 2013 das Erschließen eines neuen Markts für pflegerische Tätigkeiten.
Wissenschaftler*innen, internationale Organisationen und Regierungsbehörden haben unterschiedliche Ansichten zur fast 50-jährigen staatlich geförderten Praxis der grenzüberschreitenden Migration philippinischer Arbeitskräfte. Viele bezeichnen den Mechanismus als ‚Nachahmung’ der arbeitsexportierenden Praxis der Länder des globalen Südens. Laut Soziolog*innen wie Anna Romina Guevarra und Robyn Rodriguez betreibt der philippinische Staat einen Arbeitsvermittlungsmechanismus, der in seine Kolonialgeschichte eingebettet ist. Für sie ist das koloniale Arbeitssystem der USA die ‚Blaupause’ für die Schaffung einer Arbeitsexportwirtschaft zur Bevölkerungsverwaltung. Durch die Einrichtung einer öffentlichen Krankenpflege in den Philippinen, wurde eine geeignete (nach US-Standards ausgebildeten Krankenpfleger*innen), billige, geschlechtsspezifische und nach ‚Race’ sortierte Arbeiterschaft geschaffen, die die Bedürfnisse des globalen Markts befriedigt.
Der Export philippinischer Pflegekräfte hat Folgen im philippinischen Gesundheitssystem. Krankenpfleger*innen sind mit Patient*innen überlastet, während es zugleich paradoxerweise Hunderttausende arbeitsloser Pflegekräfte in den Philippinen gibt. In philippinischen Krankenhäusern sind nicht viele Stellen offen. Die Gehälter liegen zudem unter dem Existenz sichernden Familieneinkommen.
Die Corona-Pandemie schafft neue Unsicherheiten. Krankenpfleger*innen sind für die Grundversorgung der Patient*innen verantwortlich. Sie reichen Essen, waschen Kranke und helfen ihnen, sich zu bewegen. So besteht viel körperlicher Kontakt zwischen Krankenpfleger*in und Patient*in. Gegenwärtig machen Pflegekräfte täglich körperliche Erfahrungen mit der Intensität des Coronavirus. Viele treten ihre Arbeit mit Sorge an.
Sie fragen sich: Was, wenn ich infiziert werde? Was, wenn ich das Virus unwissentlich weitergebe? Ist es ein Segen, während einer Pandemie Krankenschwester zu sein? Was, wenn ich sterbe? Aber vielleicht ist es besser zu sterben und das getan zu haben, was zu tun war? Diese Fragen hielten eine der befragten Krankenpfleger*innen fünf Nächte lang wach.
Krankenpfleger*innen wissen: das Ansteckungsrisiko von COVID-19 ist hoch. Die Krankheit ist neu und die Krankenhausmitarbeiter*innen haben nur begrenzte Informationen über das Virus. Sie treffen die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen, die von ihrem Krankenhaus-Management vorgeschrieben werden. Das Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung (PSA) auf COVID-19 Stationen ist für medizinisches Personal verpflichtend. Das erhöhte Infektionsrisiko ist ein ständiger Begleiter. So muss jedes Detail beim Tragen der Schutzausrüstungen beachtet werden. Die Arbeit ist emotional wie körperlich anstrengend, da das Tragen der PSA während der Arbeit den Körper aufwärmt.
Krankenpfleger*innen erhalten Unterstützung vom Krankenhaus, in dem sie arbeiten. Zum Beispiel werden großzügig Essen und Essensgutscheine bereitgestellt. Eine Gefahrenzulage gibt es jedoch nicht. Das Krankenhaus bietet Videoanweisungen zum richtigen Tragen der PSA an. Die tägliche Bereitstellung von Masken, Desinfektion, Ausrüstung und der Zugang zu regelmäßigen Tests sind vorhanden. Diese Grundvoraussetzungen helfen den Pfleger*innen, weniger Angst zu haben, während sie sich um die Patient*innen kümmern.
Ein weiterer Aspekt der Prekarität hängt damit zusammen, dass die philippinischen Pfleger*innen Migrant*innen sind. Komplexe Pflegeverhältnisse verbinden die Einzelpersonen und Familien zwischen verschiedenen Gesellschaften. Durch die weltweite Ausbreitung des Coronavirus werden die Gefahren der Fürsorge aus der Ferne noch größer. Was bedeutet es, sich zu kümmern, wenn Familienmitglieder, die über nationale Grenzen hinweg getrennt leben, alle dem Virus ausgesetzt sind?
Es besteht die Gefahr, weit weg von zu Hause und den Angehörigen zu sterben. Eine befragte Pflegekraft sagte: „Ich unterstütze meine Familie finanziell zu Hause (in den Philippinen). Was ist, wenn ich hier (in Deutschland) sterbe?“ Und was bedeutet es umgekehrt, weit weg von zu Hause zu sein, wenn geliebte Menschen sterben?
Als Krankenpfleger John [1] von seinem positiven Testergebnis erfuhr, geriet er nicht in Panik, aber er hatte viele Fragen: Was soll ich tun? Zu Hause bleiben, mich ins Krankenhaus einweisen lassen? Soll ich (aus meiner Wohnung) ausziehen? Was ist, wenn ich Symptome entwickle? In der zweiten Quarantänewoche entwickelte er Symptome: Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen und den schlimmsten Husten seines Lebens. Er konnte nicht aufstehen, hatte keine Kraft zu kochen, geschweige denn, ein Bad zu nehmen. „Es war die Hölle“, sagt er, „ich erwartete das Schlimmste.“ „Ich behielt meinen Glauben. Ich war buchstäblich allein. Ich steckte in meinem Zimmer fest und konnte nicht raus. Ich konnte meine Freunde nicht sehen, während meine Familie tausend Meilen entfernt ist. Der Kontakt über soziale Medien hat mir sehr geholfen“, erinnert sich John. Verwandte und Freunde waren besorgt und schrieben ihm jeden Tag. Drei Wochen lang war er auf seine Freunde angewiesen, die sich kümmerten, die einkauften und Medikamente besorgten. Es war eine sehr emotionale Erfahrung für ihn, die er mittlerweile auch über soziale Medien teilt, um sein Netzwerk zu inspirieren. Er nutzt seine Geschichte, um den Menschen in seiner Heimatstadt zu sagen, dass sie ruhig bleiben, aber vorsichtig sein sollen.
Krankenpfleger Xavier [1] sagte seiner Mutter in Manila nicht, dass er sich freiwillig in Deutschland als Covid-19-Pflegekraft gemeldet hatte. Er wusste, dass seine Mutter besorgt und wütend wäre. Also sagte er es ihr erst nach einer Woche Arbeit, als er sicher war, dass der doppelte Schutzanzug, das Visier, die Gesichtsmaske und die Handschuhe ausreichen würden, um ihn zu schützen. Als Xavier schließlich seiner Mutter von seiner derzeitigen Arbeitssituation erzählte, konnte sie vor Sorge nicht schlafen. Als er ihr Bilder von sich mit PSA schickte, verglich sie diese mit Bildern im Fernsehen, wo Mitarbeiter des Gesundheitswesens vollständig abgedeckt waren. Sie war noch besorgter. Er musste den Standard in Deutschland erklären, dem er vertraut, und versicherte ihr, dass er sich auf seiner Station sicher fühle. Die Mutter musste es am Ende akzeptieren.
Auch Raffy [1] meldete sich freiwillig zur Arbeit auf der COVID-19-Station. Er glaubt, dass sein Beitrag zur öffentlichen Gesundheit sich auf seine Identität und sein Zugehörigkeitsgefühl auswirkt; zumindest in dem Krankenhaus, indem er arbeitet. Raffy fühlt sich als Mensch stärker, da er die Krise durchgemacht hat. Er fühlt sich auch als Experte für den Umgang mit Verdachtsfällen, da ihn seine Kolleg*innen inzwischen bei Tupfertests um Rat bitten. Vor Corona war er ‚nur’ ein Neuling. Die Pandemie habe ihm die Möglichkeit gegeben, ein wichtiger Bestandteil des Gesundheitssektors zu sein und seine persönliche und berufliche Bestimmung als Pflegekraft zu verwirklichen, so Raffy. Die Arbeit in der Pandemie gäbe ihm ein Gefühl von Stolz, nicht nur als Pflegekraft, sondern auch als philippinischer Migrant, der seiner Gastgesellschaft diene.
Die COVID-19-Pandemie hat die Gemeinschaft der Migrant*innen vor neue Herausforderungen gestellt, insbesondere die ausländischen Pflegekräfte, die direkt für die Gesundheitsversorgung und Behandlung der betroffenen Patient*innen verantwortlich sind. Während sie ihr Leben riskieren, werden sie emotional durch die Situation ihrer Familien in den Philippinen belastet. Dort griff die Pandemie dramatisch um sich und sorgte für einen Spitzenwert der Fälle in Asien.
Zugleich vertrauen die interviewten philippinischen Pflegekräfte in ihre Arbeitsstätten und in die deutsche Regierung. Im Vergleich zu verunsicherten Pflegekräften in einigen europäischen, amerikanischen und philippinischen Krankenhäusern glauben die sechs befragten Pflegekräfte in Deutschland, dass sie gut geschützt und von der Gastregierung unterstützt würden. Als Pflegekräfte glauben sie auch, dass es gute Praktiken und Beispiele gibt, die sie der Pflegegemeinschaft im Ausland mitteilen könnten.
Es sind die Pflegekräfte, die kontinuierlich gegen das Virus kämpfen. Dafür benötigen sie die volle Unterstützung durch staatliche Institutionen. Sie benötigen Schutz, um eine funktionierende Gesundheitsversorgung zu gewährleisten – auch in der Welt nach der Pandemie.
Übersetzung aus dem Englischen von: Jörg Schwieger
[1] Name(n) von der Redaktion geändert
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