2 | 2022, Philippinen,
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Philippinen: Fake News und Desinformation

Philippinen, Fake News, Marcos Jr

Ferdinand Marcos Jr. setzte in seinem Wahlkampf auch auf die Macht der sozialen Medien, um seine Gegner in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. © CC BY-NC-ND 2.0/patrickroque01

Philippinen: Der Sieg von Ferdinand Marcos Jr. im Mai 2022 sei das Resultat jahrelanger Desinformation, so die Analyse der Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa. Die Gefahren von Falschmeldungen und was Journalist*innen dagegen unternehmen, ist Thema dieses Artikels.

“Es ist ein Kampf um Herz und Verstand. Und das Schlachtfeld dieser Wahlen sind die Sozialen Medien”, kommentierte die philippinische Journalistin Ellen Tordesillas den Wahlkampf um die Nachfolge von Präsident Rodrigo Duterte. Im Kontext der Corona-Pandemie, die einen großen Teil des Alltags ins Internet verlagert hat, bekamen Online-Mobilisierungen eine noch größere Bedeutung. Denn wer die Sozialen Medien dominiert, gewinnt. Umso wichtiger sei es, die Wahrheit zu berichten, so Tordesillas.

Soziale Medien geben alten Eliten neue Macht

31 Millionen Menschen haben am 9. Mai 2022 ausgerechnet Ferdinand Marcos Jr. zum neuen Staatsoberhaupt der Philippinen gewählt – 36 Jahre nach der so genannten People Power-Revolution, im Zuge dessen sein gleichnamiger Vater nach 14 Jahren autoritärer Herrschaft gestürzt worden war. “Bongbong”, wie der neue Präsident auch genannt wird, erhielt 59 Prozent der Stimmen. Eindeutig fällt auch der Sieg von Sara Duterte-Carpio im Rennen um die Vizepräsidentschaft aus, ein Amt, das ebenfalls direkt gewählt wird. Die Tochter des scheidenden Präsidenten Duterte erhielt 61 Prozent der Stimmen. Politik ist auf den Philippinen traditionellerweise in der Hand von Familienclans. Unter aktivem Einsatz der Sozialen Medien gelingt es ihnen diese Macht weiterhin zu festigen.

Philippinen, Fake News. Marcos Jr

Ein großer Teil der philippinischen Bevölkerung bezieht ihre Informationen heute vorrangig aus sozialen Medien. © CC BY-ND 2.0/Brian Evans

Bereits vor der Pandemie war die philippinische Bevölkerung für ihre starke Nutzung von Sozialen Medien bekannt. Über 70 Millionen Menschen (von 110 Millionen Einwohner*innen) sind auf Facebook. Abgesehen davon sind Messenger-Dienste wie Facebook-Messenger, WhatsApp und Viber beliebt. Die Menschen kommunizieren über diese Wege mit Familie und Freund*innen, speziell über Landesgrenzen hinweg. (Rund zehn Prozent der arbeitenden Bevölkerung lebt im Ausland). Sie ziehen Soziale Medien aber auch als wichtige Nachrichtenquellen heran. Gerade Messenger-Dienste erlauben ein schnelles, unkompliziertes Weiterleiten von Neuigkeiten und Informationen.

Über 90 Prozent der Personen mit Internetzugang nutzen die erwähnten Kanäle, auf denen sie laut Statistik durchschnittlich über vier Stunden täglich verbringen. Dass gerade Facebook auf den Philippinen eine wichtige Bedeutung erhalten hat, geht auf eine Partnerschaft des Konzerns mit philippinischen Mobilfunkanbietern aus dem Jahr 2013 zurück. Damit bekamen Kund*innen die Möglichkeit, Facebook für einen begrenzten Zeitraum gebührenfrei über ihre Smartphones zu nutzen, ganz nach dem Grundsatz, “die Welt offener und verbundener” zu machen, wie es vonseiten Facebooks hieß.

‘Informationsrevolution’ mit Schattenseiten

Soziale Medien ermöglichen eine globale Kommunikation und machen Nutzer*innen eine unerschöpfliche Fülle an Informationen zugänglich – mit allen Vor- und Nachteilen. Einige Expert*innen heben das Potenzial für Demokratiebewegungen und zivilgesellschaftliches Engagement hervor. Philippinische Menschenrechtsorganisationen nutzen etwa Facebook und Twitter, um für Kampagnen zu mobilisieren, ihre Anliegen zu verbreiten oder Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Doch gleichzeitig ebnen die neuen technischen Möglichkeiten den Weg für eine schnelle Verbreitung von Falschinformationen und zur Manipulation der öffentlichen Meinung. Menschen verharren in ihren Kommunikationsblasen, ihre Informationen werden nach ihren Vorlieben und Interessen gefiltert und können leicht durch politische Akteur*innen missbraucht und Wahlentscheidend beeinflusst werden. Der programmierte Algorithmus der verwendeten Homepages und Apps verhindert den Austausch. Er unterstützt und verstärkt vielmehr die dominierenden Denkweisen.

Bereits im Jahr 2016 konnte Rodrigo Duterte mit seinem Wahlkampfteam das Potenzial von Sozialen Medien für seine Kampagne nutzen. Laut einer Studie der Universität Oxford hatte er im Wahlkampf 200.000 US-Dollar für Soziale Medien ausgegeben. Das Geld floss unter anderem in die Bezahlung von Personen, die Nachrichten in seinem Sinne verbreiteten und gleichzeitig Kritiker*innen attackierten. So genannte Cyber-Truppen nutzten etwa Fake Accounts, um sich gezielt in Online-Debatten einzumischen. Laut den Autor*innen der Oxford-Studie seien diese “Trolle” auch über den Wahlkampf hinaus aktiv geblieben, um gegen politische Gegner*innen und Kritiker*innen Stimmung zu machen. Ihre Mittel: Diskreditierung von unabhängigen Medien, Drohungen gegen Journalist*innen oder das Diffamieren von Aktivist*innen als “Gefahr für die Gesellschaft”.

Der Mehrheit der erwachsenen Internetnutzer*innen (67 Prozent) sei bewusst, dass Fake News im Internet ein Problem darstellte, heißt es in einer Umfrage der Social Weather Station aus dem Jahr 2018. Allerdings zeigt eine Umfrage von Dezember 2017, dass 60 Prozent der Befragten Fake News in ‘traditionellen Medien’ ebenso als Problem betrachten. Die massive Verbreitung von Desinformation in den vergangenen Jahren habe einige Menschen misstrauisch gegenüber traditionellen Informationsquellen gemacht, sagt der Soziologe Jayeel Cornelio im Rahmen einer Diskussion des Nachrichtenportals Rappler. So werden Nachrichtenredaktionen nicht nur von ‘Trollen’ attackiert, sondern auch ‘reale’ Menschen werfen ihnen vor, Fake News zu verbreiten.

Sieg der Desinformation

Philippinen, Fake News, Marcos Jr

Die Macher von VERA Files gehen gezielt gegen Falschmeldungen in den Sozialen Medien vor. © VERA Files

Im Rahmen dieser Informations-Unsicherheit setzte sich ein neues Narrativ über die Geschichte der Philippinen durch: nämlich, dass die Kriegsrechts-Ära von Marcos Sr. (1972-1986) ein ‘goldenes Zeitalter’ gewesen sei, eine Zeit, in der die Philippinen wirtschaftlich florierten und die Menschen glücklich gewesen seien. Kein Wort mehr über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, von der Verfolgung politischer Kritiker*innen und der fehlenden Pressefreiheit. Diese Erzählung ist es, die vom Wahlkampf-Team rund um Bongbong Marcos und Sara Duterte befördert wurde.

Solchen Desinformationskampagnen entgegenzutreten stellt Journalist*innen vor große Herausforderungen, die ohnehin häufig mit persönlichen Angriffen und Drohungen konfrontiert sind. “Wir haben Mühe mit unseren Faktenchecks nachzukommen”, erzählt die Journalistin Ellen Tordesillas. Mit weiteren Kolleg*innen betreibt sie die Investigativ-Plattform VERA Files, auf der Aussagen von Politiker*innen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Damit decken die Macher*innen von VERA Files irreführende Nachrichten auf und veröffentlichen diese auf ihrer Webseite. VERA Files ist mit dieser Arbeit nicht allein, sondern Teil des Netzwerks Tsek.ph, einer Initiative von 34 Akteur*innen aus den Bereichen Medien, Forschung und Zivilgesellschaft. Gegründet wurde Tsek.ph 2019 anlässlich der Parlamentswahlen. Die Dichte an Falschmeldungen habe sich seither weiter erhöht, so Tsek.ph. Während falsche Informationen Bongbong Marcos vorwiegend in ein positives Licht rücken, stellen sie seine politischen Herausforder*innen, wie Leni Robredo, laut Tsek.ph zu 94 Prozent negativ dar.

Die Erzählung des Teams Marcos-Duterte baut darauf auf, dass sich seit der ‘People Power Revolution’ 1986 die Situation der philippinischen Bevölkerung nicht verbessert habe. Soziale Ungleichheit ist nach wie vor eines der größten Probleme auf dem Inselstaat. Auf mehreren Facebook-Seiten ist daher die Aussage zu finden, dass die ‘People Power Revolution’ das “bedauernswerteste Ereignis der gesamten philippinischen Geschichte” sei. Social-Media-Kampagnen sollen vor allem junge Wähler*innen ansprechen – eine entscheidende Bevölkerungsgruppe, denn etwa die Hälfte der Wahlberechtigten sind jünger als 40 Jahre. Ein Umstand, der Emmalyn Liwag Kotte – eine philippinische Journalistin, die in Deutschland lebt – Sorge bereitet. “Viele junge Wähler*innen haben die Zeit des Kriegsrechts selbst nicht erlebt. Viele wissen nicht, was damals passiert ist und können leicht von Lügen beeinflusst werden”, so Liwag Kotte.

Faktenchecks im Wettlauf mit der Zeit

Philippinen, Fake News, Marcos Jr

Die Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa hat Facebook wiederholt scharf dafür kritisiert, nicht ausreichend gegen Falschmeldungen auf seiner Plattform vorzugehen. © CC BY-SA 4.0/Rappler

Das Problem mit Falschmeldungen ist oft deren Geschwindigkeit: Während sie sich innerhalb von Minuten ausbreiten, benötigen Faktenchecker*innen, wie das Team von VERA Files, bis zu sechs Stunden, um ihre Richtigstellungen zu veröffentlichen. “Du musst genau recherchieren, sichergehen, dass deine Quellen stimmen. Wenn du Fakten überprüfst, darfst du nicht unsauber arbeiten”, so Tordesillas. Ein weiteres Problem, das nicht nur die Philippinen betrifft: Falschmeldungen – zum Beispiel Gerüchte über Personen – sind emotionalisierend und aufwühlend, womit sie vor allem viele Interaktionen verursachen. Sie werden also oft kommentiert oder geteilt. Genau darauf basiert das Geschäftsmodell von Facebook und Co. Mit Richtigstellungen werden hingegen meist weniger Menschen und oft auch nicht diejenigen erreicht, die zuvor die Falschmeldung gesehen haben. Lügen, Hass und Angst verbreiten sich schneller und weiter als Fakten, warnte die Journalistin Maria Ressa in ihrer Nobelpreisrede im Dezember 2021: “Diese amerikanischen Konzerne, die unser globales Informationssystem kontrollieren, verzerren Fakten und sind gegenüber Journalist*innen voreingenommen.”

Umso stärker vernetzen sich Journalist*innen in den Philippinen untereinander und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, um dagegenzuhalten und den Menschen faktenbasierte Informationen zu liefern. Neben Tsek.ph hat sich eine weitere Allianz gebildet: #FactsFirstPH, bestehend aus über 100 Organisationen aus dem Mediensektor, der Zivilgesellschaft, der akademischen Welt sowie dem kirchlichen Sektor. Sie wollen dabei ihre unterschiedlichen Kompetenzen bündeln, um gezielt gegen Desinformation vorzugehen: Journalist*innen sollen Faktenchecks durchführen; zivilgesellschaftliche Organisationen helfen bei der Vernetzung und Verbreitung, Wissenschaftler*innen steuern Analysen bei und Anwaltsorganisationen suchen nach rechtlichen Möglichkeiten, um jene zur Verantwortung zu ziehen, die gezielt irreführende Nachrichten in die Welt setzen.

Expert*innen drängen darauf, dass es noch mehr Faktenchecker*innen und noch mehr Aufklärung braucht. Sie betrachten Desinformation als größte Herausforderung für die kommenden sechs Jahre. So lange dauert die Amtszeit philippinischer Präsident*innen. Journalist*innen sprechen sogar von einer “Desinformationsindustrie”, die immer mehr institutionalisiert und professionalisiert werde – als effektives Mittel, um an der Macht zu bleiben.

Bei dem vorliegenden Artikel handelt es sich um eine gekürzte und überarbeitete Fassung des zuerst vom philippinenbüro e.V. und der Stiftung Asienhaus veröffentlichten Artikels.

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