Philippinen: Politische Themen in der Musik ziehen sich durch die jüngere Landesgeschichte. Entsprechende Songs – inspiriert durch persönliche Erfahrungen und/oder der Kritik an den Herrschenden – entfalten in ihrem jeweiligen Kontext besondere Wirkung.
Musik ist eine Sprache, die jede*r versteht, spricht und die keine Hürden kennt. Dennoch wird manchmal übersehen, dass die Lyrics eines Liedes eine bestimmte Geschichte erzählen möchten und damit auf etwas aufmerksam machen, wie etwa die politischen Missstände eines Landes. Songs der Original Pilipino Music (OPM) sind dafür gute Beispiele. Die Songwriter*innen äußern meist gesellschaftliche Kritik gegenüber vorherrschenden politischen Zuständen. Dabei wird meist in einer versteckten, kreativen Art und Weise politischer Aktivismus gelebt. An verschiedenen Beispielen – älteren Liedern aus der Zeit des Kriegsrechts unter Marcos wie auch aktuellen Werken der OPM oder Musika ng Pilipinas – soll das gezeigt werden.
Dies soll zunächst an den drei verschiedenen OPM-Liedern Saranggola Ni Pepe, Handog Ng Pilipino Sa Mundo oder Bayan Ko veranschaulicht werden. Sie haben alle Eines gemeinsam: sie wurden in einer Phase in der philippinischen Geschichte geschrieben, in der Repression, politische Unterdrückung und Widerstandslosigkeit Alltag war – und zwar während des landesweiten Martial Law, des Kriegsrechts von 1972 bis 1981. Diese Lieder und vor allem die Lyrics wirkten mit ihren versteckten politischen Botschaften wie eine Waffe gegen die gesellschaftlichen Unruhen und politische Unterdrückung.
Bis heute findet man politische Inhalte in philippinischen Liedern wieder. Ob es sich dabei immer um politische Willensbekundung handelt oder ob es nur hineininterpretiert wird, kann man nicht immer sicher sagen. Das weiß am Ende nur der Songwriter*in beziehungsweise die Sänger*in selbst. Hier möchten wir einen Blick auf die besonders bekannten OPM-Popsongs Spoliarium, Nanlaban, Sana Naman Taumbayan, Masdan Mo Ang Kapaligiran, Noypi, Mga Kababayan Ko, The APL song und Sirena und ihre versteckten politischen Botschaften werfen.
Eines der klassischen, älteren Pop-Lieder ist Masdan Mo Ang Kapaligiran von der Rockband Asin. Mit dem Lied will die Gruppe darauf aufmerksam machen, was mit der Umwelt und speziell mit dem Fluss Pasig passiert. Bereits 1978, als das Lied erschienen ist, warnten Asin vor den ökologischen Gefahren, denen wir heutzutage als Gesellschaft zunehmend ausgesetzt sind. Schon damals wurde eine Art politischer Aktivismus von der Gesellschaft verlangt: Menschen sollen auf ihre Umwelt achten, denn auch die zukünftigen Generationen sollen von ihr noch etwas haben.
Ein anderes Beispiel ist Spoliarium, geschrieben vom Bandsänger Ely Buendia. 1998 von seiner Rockgruppe Eraserheads herausgebracht, macht die Gruppe im besagten Lied auf die Vergewaltigung von Pepsi Paloma aufmerksam. Paloma, eine philippinische Schauspielerin in den 1980er Jahren, wurde mutmaßlich von den Schauspielern Vic Sotto, Joey de Leon und Richie D‘Horsie vergewaltigt. Ein weiterer Verdächtiger in diesem Fall war auch der ältere Bruder von Vic Sotto, der Schauspieler und derzeitige Senator Tito Sotto. Es heißt, er versuchte Paloma dazu zu zwingen, die Anklage fallen zu lassen, indem er sie mit einer Pistole bedrohte. Pepsi Paloma verkraftete den medialen und gesellschaftlichen Druck nicht und beging Selbstmord. Den bis heute ungeklärten Vergewaltigungsfall versucht Buendia in einer abstrakten Art und Weise wiederzugeben. In den Lyrics zum Lied Spoliarium beschreibt er, wie drei nicht namentlich genannte Täter eine Person vergewaltigten und in den Suizid drängten. Der Songwriter hat diese Interpretation jedoch weder bestätigt noch dementiert.
Das im Jahr 2018 erschienene Lied Nanlaban von der Gruppe Bandido, scheint nach außen hin ein Liebeslied zu sein. Liest man sich den Text genauer durch wird deutlich, dass es sich eigentlich um ein Protestlied handelt, das die Schattenseiten des Drogenkrieges des derzeitigen Präsidenten Duterte kritisch beleuchtet. Das Lied ist eine heimliche Hymne für alle unschuldigen Opfer des Drogenkrieges. Es versucht, eine Stimme für die Menschen zu sein, die nach Gerechtigkeit streben, es aber nicht ausdrücken können. Inspiriert wurde Bandido von dem Todesfall des unschuldigen Drogenopfers Kian Loyd Delos Santos. Der 17-Jährige wurde von der Polizei erschossen, ohne dass seine Schuld bewiesen wurde. Wie viele Opfer im Drogenkrieg war die Familie von Kian Loyd Delos Santos Teil der ärmeren Bevölkerung.
Ein Lied, welches den Wahlen im Mai 2019 zum Senat und Repräsentantenhaus gewidmet wurde, ist Sana Naman Taumbayan. Hier haben sich Sänger*innen und Musiker*innen mit verschiedenen Einstellungen und Positionen, wie Agot Isidro oder Ryan Cayabyab, zusammengefunden. Das Lied wurde von Louie Ocampo komponiert und von Joey Ayala geschrieben. Das Lied appelliert an die Politker*innen, dass es bei Wahlen nicht um ihre Machtambitionen oder um ihr Prestige gehen sollte, sondern vorrangig um das Taumbayan (Volk). Das Volk sollte immer der endgültige Gewinner einer Wahl sein, unabhängig vom Ergebnis der Wahlen.
In einem anderen Lied mit dem Titel Noypi, geschrieben und gesungen von Bamboo Mañalac, wird das schwierige Leben für viele Menschen auf den Philippinen und ihr Umgang damit thematisiert. Noypi ist ein Begriff, der für Filipin@s steht. Das Lied soll eine Art Hymne für die Filipin@s sein, die hart arbeiten müssen und trotzdem versuchen, positiv zu denken und anderen Menschen zu helfen. So heißt es in der ersten Strophe: Tingnan mo ang iyong palad, Kalyado mong kamay sa hirap ng buhay. Ang dami mong problema, Nakuha mo pang ngumiti. Noypi ka nga astig (freie Übersetzung: Schau auf deine Handfläche. Deine Hände sind markiert mit den Nöten des Lebens. Egal, wie viel Ärger du hast, du lächelst immer noch. Noypi [für Pinoy], du bist hartnäckig).
Ein weiteres Beispiel ist The APL Song von apl.de.ap – einem Mitglied der amerikanischen Musikgruppe The Black Eyed Peas, der als gebürtiger Filipino in die USA immigrierte. In dem Song geht apl.de.ap auf seine persönliche Biographie ein und kritisiert dabei die schwierigen Lebensbedingungen in seinem Herkunftsland. Dabei beschreibt er auch sein Leben in den Philippinen, wie er in die USA kam, sich dabei sein Leben veränderte, er aber seine philippinischen Wurzeln nie vergessen hat. Er ist stolz auf seine Vergangenheit und seine Erfolge. So hat er geschafft, wovon viele Filipin@s träumen: Im Ausland zu leben, der Armut zu entkommen und erfolgreich zu sein.
Nicht zuletzt wird auch das Thema der Gleichberechtigung in den Philippinen in der OPM-Szene behandelt, wie zum Beispiel in Bezug auf LGBTQ+. In Sirena (Meerjungfrau) von GLOC-9 und Ebe Dancel verurteilen die Musiker die Angriffe in der Gesellschaft auf Schwule, Lesben und Transsexuelle. Sirena ist eine wahre Geschichte, die aus der Perspektive eines homosexuellen Mannes erzählt wird, der sich metaphorisch als eine Meerjungfrau sieht [Sirena ist außerdem ein Slangbegriff, der auf Tagalog sowohl für Homosexuelle, MtF-Transgender, Drag Queens als auch feminin auftretende Männer steht und daher als Wortspiel zu verstehen ist, Anm. d. Red.].
Das Lied berichtet vom alltäglichen Kampf mit sich und der Gesellschaft. Es werden Themen angesprochen wie die Identitätskrise in der Kindheit, die damit verbundenen Emotionen und die körperlichen Misshandlungen, die der Protagonist des Songs aufgrund seiner Homosexualität in den letzten Jahren seines Lebens erleidet. GLOC-9 und Ebe Dancel versuchen, mit dem Lied zu zeigen, dass Homosexuelle nicht weniger wert sind als Heterosexuelle, und dass Homosexualität keine Krankheit darstellt.
Das Verständnis von politischem Aktivismus in der Musik sollte nicht absolut sein. Ich habe versucht mithilfe der oben erwähnten Lieder zu zeigen, dass politischer Aktivismus in verschiedenen Formen in den Songtexten der OPM zu finden ist. Meist möchten die Lieder die Zuhörer*innen zum Nachdenken anzuregen und auf politische Situationen aufmerksam machen. Ebenso haben die verschiedenen Beispiele gezeigt, wie politischer Aktivismus von Filipin@s, ob als Songwriter*in oder als Sänger*in, in philippinischen Liedern gelebt wird. Saranggola Ni Pepe ist hierbei ein gutes Beispiel und zeigt besonders gut, wie Musik als ein Instrument gegen Repression verwendet werden kann und wie Lyrics dabei helfen, versteckte politische Botschaften zu äußern. Es muss nicht immer aktiv auf der Straße passieren, sondern es kann auch auf Papier geschrieben sein und die Sichtweise so in einer anderen Form publik gemacht werden. Wir sollten dies immer bedenken: Die Macht der Musik und der Lyrics ist nicht zu unterschätzen.
Ralph Chan schreibt seine Dissertation im Bereich der Soziologie an der Universität Wien. Neben seinen Forschungstätigkeiten beschäftigt er sich in vielen Projekten mit Philippinenbezug. Er ist ebenso journalistisch tätig, ist derzeit der Bureau Editor of Austria des europäisch-philippinischen e-Magazins Roots and Wings. Sein Interesse am Thema Philippinen / Filipin@s ergibt sich aus dem Eigeninteresse, seine eigene Biographie zu verstehen. Ralph Chan beschreibt sich selbst als einen Filipino, der in Österreich geboren und aufgewachsen ist.
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