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Museen als Verhandlungsorte für Dekolonisierungsprozesse

Objekte Kolonialzeit

Zierkämme vom Babar- und Tanimbar-Archipel, Südliche Molukken, Indonesien, im Depot des RJM. © RJM/Kristina Hopp

Deutschland: Die Sammlungen des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM) in Köln umfassen rund 10.000 Objekte aus Südostasien. Mehr als die Hälfte wurden während der Kolonialzeit erworben. Museumsmitarbeiter*innen geben Einblicke in die (selbst-)kritische Aufarbeitung der kolonialen Verflechtungen des RJM.

Hinweis: Begriffe in einfachen Anführungszeichen geben die weit verbreitete rassistische Sprache und Denkweise im Europa des 19. Jahrhunderts wieder und werden einzig in diesem geschichtswissenschaftlichen Zusammenhang verwendet.

Die Geschichte des Rautenstrauch-Joest-Museums – Kulturen der Welt (RJM) beginnt mit Wilhelm Joest (1852-1897), der Ende des 19. Jahrhunderts auf mehreren Reisen eine umfassende ethnografische Sammlung angelegt hatte. Nach dessen Tod schenkte seine Schwester, Adele Rautenstrauch (1850-1903), der Stadt Köln seine Privatsammlung und finanzierte den Bau des RJM, das 1906 eröffnet wurde.

Wilhelm Joest in traditioneller Kleidung auf Sansibar, 1884. Neben dem Sammeln von Objekten eignete Joest sich auch über Kleidung und Fotografie Aspekte fremder Kulturen an. © Wilhelm Joest, Um Afrika (1885)

Wilhelm Joest, Sohn eines Kölner Zuckerfabrikanten, nutzte das Familienvermögen, um zu reisen und zu sammeln. Seine wissenschaftliche Karriere in der Ethnologie begann mit einer Asienreise von 1879 bis 1882. Auf Java traf Joest den deutschen Ethnologen Adolf Bastian, der ihn anhielt, eine umfassende Sammlung der ‚Naturvölker‘ anzulegen. Joest kam dem nach und sammelte auf verschiedenen Inseln des malaiischen Archipels. Durch Empfehlungsschreiben hoher deutscher Diplomaten stand er in der Gunst des niederländischen Kolonialapparats. Joest zeigt in seinem Tagebuch die typisch ambivalente Haltung vieler weißer Europäer*innen zur voranschreitenden Kolonisierung: auf der einen Seite bedauert er das ‚Dahinschwinden‘ und die Christianisierung der von ihm romantisierten ‚Wilden‘, auf der anderen Seite lobt er die Ordnung der niederländischen Kolonialstützpunkte und das militärische Vorgehen etwa gegen die ‚barbarische‘ Kopfjagd. Tatsächlich erhielt Joest die für ihn wertvollsten Objekte, menschliche Schädel und Schüsseln mit Seladonglasur, 1880 im Kontext einer Militäraktion auf Seram.

Koloniale Gewalt, globale imperiale Netzwerke und ethnografisches Sammeln

Das verdeutlicht, dass Joest koloniale Gewalt zumindest dann guthieß, wenn sie ihm materielle Vorteile verschaffte. Zudem zeigt Joests Kooperation mit den niederländischen Truppen, dass sich der Zusammenhang zwischen kolonialer Gewalt und ethnografischem Sammeln nicht auf die nationale Ebene reduzieren lässt: Sammler agierten in globalen imperialen Netzwerken und konnten sich auch außerhalb der kolonialen Territorien ihrer Heimatnationen auf die Unterstützung lokaler Kolonialstrukturen verlassen. Joest kehrte mit seiner Sammlung aus gekauften, getauschten und erbeuteten Objekten nach Deutschland zurück und begann auf deren Basis seine wissenschaftliche Laufbahn. Die Objekte seiner Südostasien-Sammlung befinden sich heute in verschiedenen deutschen Museen, die Mehrzahl davon (332 Objekte) im RJM in Köln.

Insgesamt umfassen die Sammlungsbestände aus den Regionen Südostasiens im RJM heute rund 10.000 Objekte mit einem Schwerpunkt auf Indonesien. Nach aktuellem Kenntnisstand wurde mehr als die Hälfte der Bestände noch während der Kolonialzeit erworben. Ein Großteil der Objekte kam als Schenkungen oder durch Nachlässe von Privatpersonen, aber auch über den Ethnographica– [ethnographische Objekte, d. R.] und Kunsthandel, durch das Engagement des Fördervereins, als von Mäzenen finanzierte Ankäufe sowie den so genannten Dublettentausch mit anderen Museen ins RJM. Unter welchen Umständen Forschungsreisende, Kolonialbeamte, Militärangehörige, Missionare und andere Personen, die in den Kolonien tätig waren oder reisten, an die Objekte gelangten, ist in vielen Fällen noch unklar.

Objekte Kolonialzeit

Ban Chiang-Keramiken im Steindepot des RJM. © RJM/Kristina Hopp

Unrechtskontexte und sensible Objekte

Unter den Ethnographica in den Sammlungen des RJM befindet sich heute neben Alltagsgegenständen auch eine Vielzahl kulturell sensibler Objekte, die in kolonialen aber auch anderen Unrechtskontexten erworben wurden. Dazu gehören archäologische Grabungen und die Ausfuhr in Zeiten instabiler politischer Situationen. Im RJM betrifft das insbesondere etwa 60 über den Kunsthandel erworbene Khmer-Objekte sowie Keramiken aus dem Nordosten Thailands, die aufgrund ihrer Identität stiftenden Bedeutung zu den sensiblen Objekten zählen. Die Ausgrabungsstätte Ban Chiang ist eine der bedeutendsten prähistorischen Siedlungen, die bisher in Südostasien entdeckt wurden. Die Funde gehören zu den ältesten weltweit und sind Beleg für frühe ausgefeilte Techniken in der Metall- und Keramikverarbeitung sowie raffiniertes Kunst-/Handwerk. Sie fallen unter das 1972 erlassene Verbot, archäologische Funde aus den Provinzen Udon Thani und Sakon Nakhon zu beschädigen, zu entwenden und zu handeln. 1992 wurde die Siedlung als Weltkulturerbe anerkannt und steht damit unter dem Schutz der UNESCO. Im gleichen Jahr erhielt das RJM etwa 40 Ban Chiang-Keramiken aus dem Kölner Museum für Ostasiatische Kunst.

Einen besonders sensiblen Umgang erfordern auch so genannte Human Remains. Im RJM befinden sich fünf bearbeitete menschliche Schädel aus Indonesien und von den Philippinen. Bei allen sensiblen Objekten sowie bei Human Remains ist es dem RJM ein Anliegen, im Austausch mit den Herkunftsgesellschaften zu diskutieren, wie ein respektvoller Umgang aussehen kann und ob eine Rückführung gewünscht ist. So hat das RJM 2018 über das Karanga Aotearoa Repatriation Programme, koordiniert durch das Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa, einen tätowierten Schädel nach Neuseeland zurückgegeben.

Objekte Kolonialzeit

Vishnu-Kopf aus dem Prasat Bakong, Angkor, Kambodscha im Bayon-Stil (1181-1200), RJM 51587. © Rheinisches Bildarchiv Köln, Fotograf: Wolfgang A. Meier

Forschung und Transparenz als wichtige Schritte

In den letzten Jahren wird das koloniale Erbe ethnologischer Museen in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert, Aufarbeitung wird gefordert und durch neue Strukturen in Politik, Forschung und Förderinstitutionen zunehmend ermöglicht. Das RJM versteht seinen Dekolonisierungsprozess als Auseinandersetzung mit dem Fortbestehen kolonialer Strukturen auf verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Ebenen. Das bedeutet insbesondere eine Öffnung für verschiedene Perspektiven auf Sammlungen und Museumsarbeit, enge Zusammenarbeit mit Herkunftsgesellschaften und das Sichtbarmachen von Vielstimmigkeit. Die Erforschung und transparente Kommunikation von Objektprovenienzen ist ein zentraler Baustein dieses Prozesses.

Im Rahmen der Provenienzforschung widmen wir uns der möglichst lückenlosen Erschließung der Herkunft unserer Sammlungsbestände von der Entstehung bis zum heutigen Aufbewahrungsort. Die Erschließung der Provenienz kann zeigen, dass Objekte auf rechtlich und moralisch unbedenklichem Weg Eingang in die Sammlung fanden. Ebenso kann sie bedenkliche Erwerbsumstände aufdecken und ein erster Schritt auf dem Weg zur Aufarbeitung historischen Unrechts und gegebenenfalls einer Restitution (Rückgabe) sein (Rautenstrauch-Joest-Museum Köln | Repatriierung toi moko).

Restitution: Vishnu-Kopf von Prasat Bakong (Kambodscha)

Ein aktuelles Restitutionsprojekt wurde 2020 vom RJM mit Unterstützung der Stadt Köln initiiert: Intensive Forschungen zur Khmer-Sammlung deckten auf, dass der Kopf einer Vishnu- Skulptur sehr wahrscheinlich in den 1960er Jahren illegal außer Landes gebracht wurde und über den Kunstmarkt ins RJM fand. Damals war Kambodscha bereits in gewaltsame Auseinandersetzungen des Zweiten Indochina-Krieges verstrickt, gefolgt von einem verheerenden Bürgerkrieg. Davon blieben auch Tempelanlagen, insbesondere die von Angkor, nicht verschont: viele wurden zerstört und sakrale Objekte geraubt. Über den Kunstmarkt gelangten sie in private Sammlungen und Museen. Als eine Drehscheibe fungiert dabei bis heute Bangkok, wo auch der besagte Vishnu- Kopf 1968 von dem Schweizer Sammler Wilhelm Siegel erstanden wurde. Ans RJM gelangte das Objekt 1984 zuerst als Leihgabe für die Sonderausstellung Das zeitlose Bildnis. Der Mitkurator und Katalogautor Piriya Krairiksh wies damals bereits auf eine starke Ähnlichkeit mit einem verschwundenen Vishnu vom Prasat Bakong hin.

1986 kaufte das RJM den Kopf als Teil einer Sammlung von Khmer- und Thai-Skulpturen. Seit der Neueröffnung des Museums 2010 wird er in der Dauerausstellung präsentiert. Inzwischen hat sich eine kritische Betrachtung sensibler Objekte in Museen durchgesetzt. Als Beispiel für die Aufarbeitung von Objektbiografien war der Vishnu-Kopf in der Ausstellung Die Schatten der Dinge #1 zu sehen und befindet sich aktuell noch im RJM. Nach der formellen Zustimmung des Rats der Stadt Köln, der Klärung des Protokolls auf beiden staatlichen Seiten und Erleichterungen der Corona-bedingten Reiseeinschränkungen kann er nach Kambodscha zurückkehren.

Screenshot der Website: Snare for Birds. © Kiri Dalena [29.06.2021]

Vielstimmigkeit und Partizipation in Ausstellungen

Ansätze zu partizipativen Ausstellungsformaten finden sich aktuell unter anderem in der Sonderausstellung RESIST! Die Kunst des Widerstands. Sie beleuchtet 500 Jahre antikolonialen Widerstand im Globalen Süden und zeigt koloniale Unterdrückung und ihre Auswirkungen bis heute. Mit RESIST! verfolgt die Direktorin des RJM, Nanette Snoep, einen vielstimmigen Ansatz. Die Ausstellung ist experimentell und partizipativ angelegt und entwickelt sich während ihrer Laufzeit weiter. Beteiligt sind über 40 zeitgenössische Künstler*innen aus dem Globalen Süden und der Diaspora, darunter auch die philippinische Filmemacherin und Aktivistin Kiri Dalena. Für ihr Projekt arbeitet Dalena mit einem digitalisierten Bestand von 3.781 Fotografien des RJM, die von 1887 bis 1907 auf den Philippinen aufgenommen wurden, viele davon zur Zeit der US-amerikanischen Kolonialzeit.

„Ich hoffe durch meine Rückkehr zu diesen Fotos und dadurch, dass ich sie neu schreibe, meinen Beitrag zum Ausdruck eines lebendigen Widerstands leisten zu können,“ schreibt Dalena in der Einführung zu ihrem Blog Snare for Birds, den sie zusammen mit den Künstlerinnen Lizza May David und Jaclyn Reyes gestaltet.

Für Dalena spielt ein behutsamer Umgang mit den Fotos, der deren (visuelle) Unterdrückung nicht reproduziert, eine wichtige Rolle. Daher setzt sie sich tiefgehend mit einzelnen Porträts, Datenbankeinträgen sowie Primär- und Sekundärliteratur zum Thema auseinander. Die Arbeit basiert auf einem Rewriting des kolonialen Kontextes, indem sie die Fotografien bearbeitet und eigene kritische Kommentare ergänzt. Mit dieser Herangehensweise rückt Dalena die Bilder in einen anderen Kontext der Erinnerung. Ihre künstlerische Arbeit zeigt Zusammenhänge zwischen dem kolonialen Erbe und der politischen Situation in den Philippinen heute auf. Als Beispiel nennt sie Porträts von Männern der Philippine Constabulary (1901 bis 1991), einer Polizeitruppe, die in der Kolonialzeit gegründet wurde und deren Nachfolgeorganisation die heutige Philippine National Police ist. Die Auseinandersetzung mit diesem Material ermöglicht es Dalena, die koloniale Vergangenheit der philippinischen Polizei aufzuzeigen und so eine Vermutung über den Ursprung der anhaltenden unterdrückenden Machtstrukturen aufzustellen.

Durch die Erforschung von Provenienzen, transparente Kommunikation, eine Öffnung für vielfältige Perspektiven und eine kritische Ausstellungspraxis können Sammlungsbestände aus kolonialen Kontexten eine wichtige Rolle in den Dekolonisierungsprozessen ethnologischer Museen und anderer gesellschaftlicher Institutionen in Deutschland sowie den Herkunftsregionen der Objekte spielen.

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