3 | 2024

Moderne Sklaverei in Malaysia

Indonesische Wanderarbeiter ernten Früchte auf einer Ölpalmenplantage in der malaysischen Provinz Sabah. © Romi Perbawa, alle Rechte vorbehalten

Malaysia: Das britische Imperium verschleppte Arbeitskräfte aus China und Indien nach Malaya. Rassismus und regressive Arbeitspolitik sind bis heute präsent.

In seinem 1971 erschienenen Buch „War of the Running Dogs“ beschrieb der britische Schriftsteller Noel Barber die ehemalige britische Kolonie Malaya als „eines der schönsten Länder der Welt“. Er zeichnete das Bild eines friedlichen Zufluchtsortes, an dem „Menschen vieler Hautfarben und Glaubensrichtungen in Harmonie“ lebten. Voll imperialistischem Paternalismus bezeichnete er Menschen allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit als „sanftmütig“, „fleißig“ oder „lustlos“.

Das Bild von Malaysia als harmonischem Schmelztiegel hat sich in der politischen Rhetorik und im nationalen Branding lange gehalten – genauso wie die koloniale Konstruktion von Rassenideologie: Die Klischees des ‚trägen Malaien‘, des ‚käuflichen Chinesen‘ und des ‚aggressiven Inders‘ sind ein Vermächtnis, das das Empire überdauert hat, wie der Sozialdemograph Charles Hirschman in „The Making of Race in Colonial Malaya“ anmerkt.

Indonesische Migrant*innen versuchen häufig, auf illegalen Routen in Borneo/Kalimantan über die grüne Grenze nach Malaysia zu gelangen – wie hier vom indonesischen Entikong ins malaysische Tebedu. © Romi Perbawa, alle Rechte vorbehalten

Diese Ideologie wurde erstmals im kolonial-kapitalistischen Malaya des 19. Jahrhunderts entwickelt, als chinesische und indische Arbeiter in Zinnminen, auf Plantagen, auf Straßen und bei der Eisenbahn schufteten. Der britischen Kolonialregierung war es zuvor nicht gelungen, die malaiische Bevölkerung vollständig als Lohnarbeiter*innen in die koloniale Wirtschaft zu integrieren. Doch im Krieg stieg die Nachfrage nach Zinn und Kautschuk, die in Malaya reichlich vorhanden waren – und so importierten die Kolonialmächte Arbeitskräfte aus China und Indien. Die verschiedenen Aufgaben wurden häufig nach Nationalitäten aufgeteilt und je nach ethnischer oder kastenmäßiger Zugehörigkeit noch weiter unterteilt.

Verschuldung und Zwangsarbeit

Chinesische Kulis etwa wurden in Gruppen nach Malaya gebracht, mussten Schwerstarbeit verrichten, wurden geschlagen, schlecht ernährt und konnten sich nicht frei bewegen. Auch die indischen Arbeiter*innen mussten solche Misshandlungen ertragen: Zwangsarbeit, harte Lebens- und Arbeitsbedingungen und noch schlimmere Strafen. Diese Arbeiter*innen hatten sich durch die Überfahrt nach Malaysia verschuldet – doch die Schulden abzuarbeiten, erwies sich bei einem Lohn von nur einigen Cents pro Tag als Sisyphusarbeit. Auf Aktionen und Proteste der Arbeiterschaft wurde mit drakonischen Maßnahmen reagiert: Entlassungen, Deportationen, Kürzungen der Lebensmittelrationen und staatlicher Gewalt. Nur langsam konnten die Arbeitergruppen im Laufe der Zeit bessere Löhne und Bedingungen durchsetzen.

Sperrholzproduktion in einer Fabrik der „Veracity Corporation“ in der malaysischen Provinz Sabah: Die meisten Arbeiter*innen stammen aus dem Osten Indonesiens. © Romi Perbawa, alle Rechte vorbehalten

1957 entließen die Briten Malaysia in die „Unabhängigkeit“, indem sie die Macht an Mitglieder der malaysischen Elite übergaben, die den Kolonialherren freundlich gesinnt waren. Doch die Maßnahmen, die die Großbritannien zur Unterdrückung von Arbeitern und Arbeiterbewegungen ergriffen hatten, waren längst zur Blaupause geworden für die Ausbeutung von Arbeitskräften sowie ein regressives Arbeitsrecht. Dies sei ein Kennzeichen von Regionen, in denen zuvor europäische Kolonialherren extraktive Strategien eingesetzt haben, so der amerikanische Ökonom Daron Acemoglu in seinem Artikel „The Colonial Origins of Comparative Development: An Empirical Investigation“.

Koloniale Unterdrückung als Blaupause

Autoritäre Kontrolle und Unterdrückung von Arbeiterbewegungen und Gewerkschaften waren ebenfalls Merkmale der Kolonialverwaltung. Die postkoloniale Kontinuität dieser Zustände sehen wir in den heutigen Gesetzen: Nachdem es zu Aufständen der verschleppten und eingewanderten Arbeiter *innen gekommen war, erließ das britische Regime in den 1940er-Jahren Verordnungen, die uneingeschränkte Befugnisse zum Verbot von Gewerkschaften vorsahen. Gewerkschaftsführer, die als „kommunistische Sympathisanten“ galten, wurden hingerichtet.

Die Kinder indonesischer Arbeitsmigrant*innen in Keningau, Malaysia, bekommen Unterricht in einem Privathaus, um Razzien der Einwanderungspolizei zu vermeiden. © Romi Perbawa, alle Rechte vorbehalten

Bis heute ist es Wanderarbeiter*innen nicht gestattet, neue Gewerkschaften zu gründen oder Funktionen in zivilgesellschaftlich gegründeten Gewerkschaften zu übernehmen – obwohl sie schätzungsweise 2,2 Millionen der insgesamt 14,4 Millionen Beschäftigten ausmachen. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Wanderarbeitnehmer*innen bei lediglich zehn Prozent. Einige werden gezwungen, rechtlich nicht durchsetzbare Vereinbarungen zu unterzeichnen, in denen sie sich verpflichten, keiner Gewerkschaft beizutreten.

Migrantische Hausangestellte sind von verschiedenen Schutzmaßnahmen des Arbeitsgesetzes ausgeschlossen und können sich daher nicht gewerkschaftlich organisieren. Dies schafft günstige Bedingungen für Prekarität und Missbrauch unter registrierten wie illegalen Wanderarbeitnehmer*innen, deren Zahl nach Schätzungen bis zu 5,5 Millionen betragen könnte. Diese Arbeitnehmer*innen kommen unter anderem aus Bangladesch, Myanmar, Kambodscha, Indien, Indonesien, Laos, Nepal, Pakistan, den Philippinen und Vietnam.

Koloniale Rassenideologie in alltäglichen Vorurteilen

Arbeitsmigrant*innen, auf die Malaysia angewiesen ist, übernehmen Jobs, die als „3D“ gelten: dirty, difficult and dangerous (schmutzig, schwierig und gefährlich). Daher sind diese Jobs bei Malaysier*innen unbeliebt. Mit der Misshandlung seiner ausländischen Arbeitskräfte jedoch wird das Land zum Beispiel für einen postkolonialen Migrationsstaat, der „durch die Überwachung und Kontrolle segmentierter Migrationsströme, die die Arbeitskräfte für die globale Wirtschaft umverteilen, tropische Kolonialreiche reproduziert“, schreiben die Politologen Kamal Sadiq und Gerasimos Tsourapas in ihrer Studie „Labour coercion and commodification: from the British Empire to postcolonial migration states“.

Als Folge der von den Kolonisatoren übernommenen Rassenideologien sind diese Arbeiter*innen alltäglicher und normalisierter Fremdenfeindlichkeit ausgesetzt, sowohl institutionell als auch gesellschaftlich. Während der Corona-Pandemie etwa wurden Arbeitsmigrant*innen regelmäßig zusammengetrieben, abgespritzt und in überfüllte Haftanstalten verfrachtet. Migrationsgemeinschaften wurden strengeren Bewegungskontrollen unterworfen als der Rest der Bevölkerung. Ihre Wohnorte wurden sogar mit Stacheldraht abgesperrt.

Illegale Migranten aus Indonesien werden vom malaysischen Hafen Tunon Taka Nunukan zurück in ihr Herkunftsland deportiert. copyright: Romi Perbawa, alle Rechte vorbehalten

Im Internet werden Wanderarbeiter*innen regelmäßig verspottet und verhöhnt, wenn sie sich an freien Tagen im öffentlichen Raum aufhalten. Die Medienberichterstattung über ausländische Arbeitnehmer*innen, die in Straftaten verwickelt sind, ist meist reißerisch, obwohl laut Jahresstatistik nur 0,1 Prozent der Ausländer*innen wegen Straftaten inhaftiert werden.

Zwangsarbeit und moderne Sklaverei sind ein ständiges und drängendes Problem, bei dem die Arbeiter*innen einen Hungerlohn verdienen und unter schlechten Lebensbedingungen leben müssen. Im Bericht des US-Außenministeriums über internationalen Menschenhandel in 2024 wurde Malaysia wegen Praktiken, die auf Zwangsarbeit hindeuten, in die Kategorie 2 eingestuft: „Vertragsbruch, Lohnbetrug, Körperverletzung, Abschiebungsdrohungen, Auferlegung hoher Schulden und Einbehaltung von Pässen“ sind nach wie vor weit verbreitet.

Eliten führen „Kolonialität ohne Kolonialismus“ weiter

Die Parallelen zwischen der heutigen Behandlung von Wanderarbeiter*innen und dem kapitalistischen Kolonialismus der britischen Regierung in Malaya sind ein klares Beispiel für postkoloniale Kontinuität. Die Fortführung der Wirtschaftspolitik auf ethnischer Basis führt zu einem Vetternwirtschaft-Kapitalismus. Damit haben die Eliten die Kolonialherren abgelöst, um dieselben „Bedingungen der Kolonialität ohne Kolonialismus“ aufrechtzuerhalten, wie der malaysische Autor Syed Farid Alatas kritisiert. Der Politologe Christopher Choong schreibt, es gehe darum, das „postkoloniale nationale Repertoire“ des neoliberalen Erfolgs fortzusetzen. Arbeitszwang und Kommerzialisierung waren Kennzeichen des kolonialen Kapitalismus, eines imperialen Erbes, das bis heute sowohl durch gesetzliche Überbleibsel als auch durch das institutionelle Gedächtnis aufrechterhalten wird.

Baracken hinter Stacheldraht: Unterkünfte von Migrant*innen, die für eine Sperrholzfabrik der „Veracity Corporation“ in der malaysischen Provinz Sabah arbeiten. © Romi Perbawa, alle Rechte vorbehalten

In alten Interviews mit chinesischen Zwangsarbeitern, die noch zur Kolonialzeit in die Region verschleppt wurden, ist dokumentiert, dass ihnen bei der Anwerbung ein gutes Leben versprochen wurde. Liest man heute eine Nachrichtenmeldung über den Menschenhandel mit Arbeitskräften aus dem modernen Malaysia, werden die Parallelen deutlich: Agenturen locken Arbeiter*innen aus anderen Ländern mit dem Versprechen, ein beträchtliches Einkommen zu erzielen, mit dem sie sich und ihre Familien über Generationen hinweg aus der Armut befreien könnten.

Letztendlich ist die Haltung gegenüber Arbeitsmigranten im heutigen Malaysia – ebenso wie in der Kolonialzeit – geprägt durch Ausbeutung und Kontrolle billiger Arbeitskräfte, die für die wirtschaftliche Entwicklung als notwendig angesehen werden. Das Erbe des Imperiums hat sich bis in die moderne Politik erhalten, die zwar anders in Erscheinung tritt, für die Marginalisierten jedoch dieselben Konsequenzen hat.

Übersetzung aus dem Englischen von: Christina Schott und Norbert Schnorbach

English version

  • Artikel
Die Autorin

Tashny Sukumaran ist Forschungsberaterin und Journalistin mit Schwerpunkt menschenwürdige Arbeit, Arbeitsrechte und Abbau sozialer Ungleichheiten. Mit ihrem konsequenten Menschenrechtsansatz entwickelt sie fundierte Analysen und setzt sich für eine wirksame Interessenvertretung ein. Aktuell interessiert sie sich besonders für die Themen Sustainability und Klimaschutz.

    The User does not have any posts
  • Artikel
Der Autor

Romi Perbawa ist ein freischaffender Fotograf, der sich auf Langzeit-Dokumentationen spezialisiert hat. Seine Fotos wurden unter anderem in Stern, Time Magazine, Guardian und De Standaard veröffentlicht.

    The User does not have any posts
DOWNLOAD (PDF)
Tashny Sukumaran, Romi Perbawa

Share
Published by
Tashny Sukumaran, Romi Perbawa

Recent Posts

Koloniales Erbe im Klassenzimmer

Philippinen – Das Bildungssystem prägt die soziale Struktur, die nationale Identität und das Verhältnis zu…

1 Monat ago

Vom Kolonialismus zur Klimakrise

Indonesien – In "Der Fluch der Muskatnuss" macht Amitav Ghosh eindrücklich die Verbindung von kolonialer…

2 Monaten ago

Die Umdeutung kolonialer Fotografie

Südostasien/Indonesien – Mithilfe digitaler Medien stellen Künstler*innen Nutzung, Wahrheitswert und Macht kolonialer Fotoarchive infrage.

2 Monaten ago

Bahnschienen als Metapher für Kontrolle

Myanmar – Das koloniale Burma bestand im Wesentlichen aus einem großen Eisenbahnnetz mit militärischen Hochburgen.…

2 Monaten ago

Handelsinteressen versus Nachhaltigkeit

Indonesien – Die Strukturen kolonialer Handelsmonopole wirken bis heute nach: Plantagen und Bergbau bringen mächtigen…

2 Monaten ago

Klimakolonialität: Das Beispiel Haiyan

Philippinen – Unter dem Klimawandel leiden die Menschen am meisten, die ihn am wenigsten verursachen.…

3 Monaten ago