Indonesien/China: Das Potenzial chinesischer Entwicklungszusammenarbeit liegt in Finanzkraft, Infrastruktur-Erfahrung und Technologietransfer. Negative Auswirkungen dürfen jedoch nicht unterschätzt werden, wie das Beispiel der Jakarta-Bandung-Hochgeschwindigkeitsbahn zeigt.
Die Explosionen kommen am Tag oder in der Nacht, aber immer ohne Warnung. Risse öffnen sich in den Häuserwänden Das Leben derer die in den vier kleinen Berggemeinden Bandungs entlang der Trasse der Hochgeschwindigkeitsbahn wohnen änderte sich 2020 schlagartig als der Bau am Durchfahrtstunnel kaum 100 Meter entfernt von ihnen begann. Die neue Bahnverbindung, eine chinesisch-indonesische Kooperation im Rahmen der Belt and Road Initiative ist ein Paradebeispiel für chinesische Entwicklungskooperation.
Seit über 70 Jahren ist die Volksrepublik China entwicklungspolitisch im Globalen Süden aktiv. Beispielhaft für Chinas strategisches Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit stehen:
– die 2013 von Xi Jinping ins Leben gerufene Belt and Road Initiative (BRI),
– die 2016 gegründete Asian Infrastructure Investment Bank (AAIB), deren Gründer und größter Anteilseigner die Volksrepublik ist,
– die 2018 gegründete chinesische Entwicklungsbehörde CIDCA,
– die Global Development Initiative (GDI), die Chinas Präsident 2021 der Welt während der UN Generalversammlung vorstellte.
Die offizielle Entwicklungshilfe Chinas betrug 2020 bereits über fünf Milliarden Euro. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Steigerung dieses Budgets zwar verlangsamt, China ist dennoch einer der wichtigsten Akteure in der globalen Entwicklung. Besonders mit Ländern Südostasiens wie zum Beispiel Indonesien, in denen die Volksrepublik auch größter Handelspartner ist, entstehen immer engere Bündnisse.
Chinas Entwicklungspolitik unterscheidet sich jedoch von anderen Geberländern. Die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt tritt als Schwellenland auf, das das eigene erfolgreiche Entwicklungsmodell in Form von Süd-Süd-Kooperationen weitergeben möchte. Ohne koloniale Vergangenheit und mit nachbarschaftlichen ‚win-win‘ Zielsetzungen. Welches Entwicklungsmodell dies im Detail ist, bleibt unklar. Seit die Kommunistische Partei Chinas an die Macht kam, wurden verschiedene Entwicklungsmodelle erdacht und umgesetzt. Sie alle wurden jedoch auf die einzigartige Situation im eigenen Land zugeschnitten. Daher ist eine 1:1 Übertragung auf andere Länder des Globalen Südens aussichtslos.
Zu den Besonderheiten von Chinas Entwicklung gehörten zum Beispiel die Ein-Kind-Politik und die Rolle Hongkongs. Sie beeinflussten die auf Infrastrukturaufbau fokussierte Entwicklungspolitik des Landes auf unnachahmliche Weise. Das eigene Bevölkerungswachstum und damit die gesellschaftlichen Strukturen und Bedarfe in dieser Größenordnung zu steuern, veränderte Chinas Pfad langfristig. Auch die Position Hongkongs als wirtschaftliche Sonderzone und sein schleichend voranschreitender Übergang in das aktuelle politische System der Volksrepublik übten starken Einfluss auf die Entwicklung des Landes aus.
Eine klare Abgrenzung der Entwicklungszusammenarbeit Chinas von seiner Außenhandels-, Sicherheits- und Geopolitik ist schwer nachzuvollziehen. China selbst erlaubt fließende Übergänge bei seiner ‚Hilfe‚. Staatliche Entwicklungshilfe, Direktinvestitionen, subventionierte Exporte, Kredite mit Sonderkonditionen und grenzübergreifende gemeinschaftliche Infrastrukturprojekte – sie alle erscheinen im Geber- wie auch in den Nehmerländern oft in unterschiedlichen Kategorien. Die Volksrepublik selbst veröffentlicht nicht alle Informationen zu den Krediten, die sie vergibt, und ist nicht Teil des Pariser Clubs, des informellen Gremiums staatlicher Gläubiger.
China bevorzugt bilaterale Kooperation. Es geht auf die unterschiedlichen Bedarfe der Länder ein und kategorisiert dementsprechend unterschiedliche Hilfsangebote. International betrachtet existiert ohnehin keine ganzheitliche Standardisierung, der sich alle Geber-‚ und Nehmerländer verpflichtet fühlen.
Bei den ‚Hilfeleistungen‘ stehen umfassende chinesische Ressourcen zur Umsetzung von Projekten niedrigen lokalen Umwelt- und Sozialstandards, beschränkten Kontrollinstrumenten und korrupten Regierungsstrukturen gegenüber. Gleichzeitig begegnen chinesische Akteure einer unabhängigen lokalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Landschaft. Dies führt nicht selten zu Konflikten.
Chinesische Finanzströme konzentrieren sich zumeist auf den Energie-, Transport- und Industriebereich. Die mit viel Kapital ausgestatteten Staatsunternehmen (Staatseigene Unternehmen, SEU) unterliegen der direkten Aufsicht des Staatsrats durch die Kommission zur Kontrolle und Verwaltung von Staatsvermögen. Provinz- und Privatunternehmen folgen den Aktivitäten der SEU an zweiter und dritter Stelle in Südostasien.
Ein typisches chinesisch-indonesisches Infrastrukturprojekt im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit der beiden Länder ist der als BRI-Projekt initiierte Bau der Hochgeschwindigkeitszugstrecke zwischen der indonesischen Hauptstadt Jakarta und der etwa 140 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Bandung in Westjava. Die chinesische Regierung, die China Development Bank und die AIIB stellten über vier Milliarden Euro für dieses Projekt bereit. Technologie und Bau sind in chinesischer Hand. Der indonesische Präsident Joko Widodo befürwortet das Projekt als wichtigen Bestandsteil seiner Strategie zur Modernisierung der indonesischen Transport-, Logistik- und Reiseinfrastruktur. China Railway Group (CREC), das ausführende chinesische SEU, gründete mit dem indonesischen staatseigenen Unternehmen Wijaya Karya (WIKA) das Unternehmen Kereta Cepat Indonesia China, (KCIC), welches für das Projekt verantwortlich ist.
Der Bau der Strecke war von Beginn an umstritten. Die finanziellen Risiken des Projektes, insbesondere in Bezug auf die Schuldenlast Indonesiens, wie auch Landraub, Verstöße gegen Arbeiter*innen- Rechte sowie Umweltschäden wurden von der Zivilgesellschaft wie auch der Lokalbevölkerung kritisiert.
Auf Einladung von Walhi (Wahana Lingkungan Hidup Indonesia), der 1980 gegründeten und damit ältesten indonesischen Umweltschutzorganisation, reiste ich Oktober 2022 im Rahmen des Civil Society Dialogue on the Belt and Road Initiative Projektes des China-Programms der Stiftung Asienhaus nach Bandung. In einem Stadtteil Bandungs, der keine 250 Meter entfernt von einer Tunneldurchfahrt der Hochgeschwindigkeitsbahn liegt, erzählten uns Vertreter*innen der Bewohner*innen von ihrem Kampf gegen die verheerenden Auswirkungen des Tunnelbaus. Die durchführenden Bauunternehmen legten unter Zuhilfenahme von über 300 massiven Sprengungen einen Tunnel durch den Berg, der bleibende Schäden in den umliegenden Gemeinden verursachte. Entgegen der Vorgabe, 750 Meter Abstand zu angrenzenden Siedlungen zu halten, wurden gleich vier Gemeinden ein Jahr lang von den Sprengungen erschüttert. Meterlange Risse in den Häuserwänden, Verschiebungen ganzer Gebäude den Hang hinab, Schäden in der Wasserverteileranlage und wilde Tiere, wie zum Beispiel Kobras, die vor den Sprengungen in die Gemeinden flohen, waren die Folge.
Auf Beschwerde der Bewohner*innen hin wurde bekannt, dass ein an der Universität Bandung angesiedelter Think Tank angeblich eine Umweltverträglichkeitsstudie durchgeführt hat. Diese Studie war der allgemeinen Öffentlichkeit zwar nicht zugänglich, Walhi durfte sie jedoch einsehen. Laut der vorliegenden Daten der Studie gab es einerseits keine Gemeinden in Nähe des Tunnels, andererseits waren die Sprengungswerte sowohl in Menge als auch in Stärke nicht vergleichbar mit dem, was die Gemeindemitglieder schilderten. Nachdem Walhi begann, den Fall publik zu machen, nahmen drei der vier Gemeinden die ihnen von Seiten der Projektverantwortlichen angebotenen Entschädigungszahlungen an, obgleich diese äußerst gering waren. Die vierte Gemeinde kämpft bis heute um angemessene Entschädigungen.
Wäre eine vergleichbare Situation entstanden, wenn ein anderes ‚Geberland‘ das Projekt umgesetzt hätte? Zum Beispiel zeigte Japan lange Interesse. Gäbe es dieselben Schäden, wenn nicht die AIIB sondern stattdessen die Asiatische Entwicklungsbank mitfinanziert hätte? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Die chinesische Seite verweist häufig darauf, dass sie sich lediglich an die lokale Gesetzgebung halte und der Fehler nicht bei ihnen liegt, sollten diese Standards zu niedrig sein. Große Infrastrukturprojekte sozial- und umweltgerecht in Entwicklungsländern umzusetzen, stellt immer eine Herausforderung dar. Die Arbeit international wirkender NGOs, wie zum Beispiel des Business and Human Rights Ressource Center weist jedoch strukturelle Schwächen in primär chinesischen Vorhaben nach.
Kritik an chinesischer Entwicklungshilfe bezieht sich häufig auf:
Der Fall der Jakarta-Bandung-Hochgeschwindigkeitsbahn weist eindeutig Zeichen dieser strukturellen Schwächen auf. Im Kontext unseres Projektes begann Walhi, mit chinesischen NGOs in den Austausch zu gehen, die Erfahrung im Umgang mit Infrastrukturprojekten und den beteiligten chinesischen Banken, Firmen oder Regierungsvertreter*innen in China haben. Auch auf chinesischer Seite gibt es Beschwerdemechanismen, Kontaktstellen und Strategien, die NGO anwenden um große Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen. Diese zu identifizieren und die institutionellen wie auch sprachlichen Hürden zu überwinden ist mit der Unterstützung einer chinesischen NGO deutlich einfacher.
Durch die eingangs erwähnten Entwicklungs-Initiativen expandiert die chinesische Wirtschaft in andere Länder des Globalen Südens. Dabei wird das Verhältnis und Verständnis von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von der Volksrepublik China in die Länder mit transportiert. Es ergeben sich minimale partizipative Strukturen und oft eine vollständige Verweigerung, mit internationaler oder lokaler Zivilgesellschaft zu kommunizieren.
Chinesische zivilgesellschaftliche Organisationen treten innerhalb der Volksrepublik meist in Kooperation mit und nicht in Opposition zu Partei, Staat und Wirtschaft auf. Ihr Handlungsspielraum und ihre thematische Aufstellung sind durch das autoritäre System der Volksrepublik geprägt. Viele international tätige chinesische NGOs haben ihren nationalen Kontext verlassen, um Zielsetzungen wie den Kampf gegen den Klimawandel oder den Schutz der Biodiversität in Ländern des Globalen Südens umzusetzen. Es bedarf jedoch freier Dialogräume, intensiven Wissensaustausches und viel Vertrauens, um ein gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe zu ermöglichen.
Chinesische Entwicklungszusammenarbeit beinhaltet großes Potential vor allem durch die Finanzkraft des Landes, seine Erfahrung in der Umsetzung großer Infrastrukturprojekte und die Ermöglichung von Technologietransfer. Das Risiko negativer Auswirkungen darf jedoch nicht unterschätzt werden, wie wir es am Beispiel der Jakarta-Bandung-Hochgeschwindigkeitsbahn sehen. Kontinuierliche Aushandlungsprozesse zwischen Lokalbevölkerungen, Unternehmen, Entwicklungsbanken und staatlichen Stellen müssen von transnational wirkenden, kompetenten und starken zivilgesellschaftlichen Akteuren mitgestaltet werden.
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