Philippinen – Seit dem 30. Juni 2022 ist Ferdinand Marcos Jr. amtierender Präsident. Wie haben sich die internationalen und wirtschaftlichen Beziehungen der Philippinen seitdem verändert?
Angesichts der verschärften Rivalität zwischen den USA und China und den Spannungen zwischen China und Taiwan bekräftigte Ferdinand Marcos Jr. in den ersten Monaten seiner Präsidentschaft erste außenpolitische Standpunkte. Die gemeinsame Allianz mit den USA wurde nach den schwierigen bilateralen Verhältnissen während der Regierung Dutertes gekittet. Schon im Wahlkampf hatte Marcos Jr. die wichtige Rolle beider Staaten betont. Gemeinsam mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping erklärte Marcos Jr. nach einem Telefonat, bei den bilateralen Beziehungen “einen Gang höher zu schalten“. Während seiner ersten Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York im September 2022 beteuerte Marcos Jr., dass “die Philippinen weiterhin ein Freund aller und ein Feind von niemandem sein werden“.
In seinen ersten 100 Amtstagen intensivierte Marcos Jr. die wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen auf Auslandsreisen nach Indonesien, Singapur und in die USA. Mit dem zweitägigen Besuch der amerikanischen Vizepräsidentin Kamala Harris sicherte die USA im November 2022 den Philippinen ihre Unterstützung im Konflikt um das Westphilippinische Meer zu und sendete ein deutliches Zeichen Richtung China. Anfang Februar 2023 empfing Marcos Jr. den US-Verteidigungsminister und bestätigte die Umsetzung des umstrittenen Enhanced Defense Cooperation Agreements von 2014. Das Abkommen erlaubt den USA, Militär auf philippinischem Territorium zu stationieren, Militärstützpunkte zu errichten und auszubauen. Protestierende zivilgesellschaftliche Gruppen kritisierten, dass die erhöhte Militärpräsenz der ehemaligen Kolonialmacht die Autonomie der Philippinen gefährde.
Auch die Handelsbeziehungen nach Vietnam wurden gestärkt. Im Januar 2024 schlossen Vietnam und die Philippinen eine fünfjährige Handelsvereinbarung zur Ernährungssicherheit, die den Philippinen bis zu zwei Millionen Tonnen Reis aus Vietnam zusichern soll. Zudem wird VinFast, ein Unternehmenszweig des vietnamesischen Konzerns Vingroup, in den Philippinen eine Niederlassung bauen – allerdings könnten dabei die Nutzung philippinischer Kobalt-, Kupfer- und Nickelreserven in den Vordergrund rücken.
Im Februar 2023 trat Präsident Marcos Jr. die neunte Auslandsreise seit Beginn seiner Amtszeit an. Mit Japan wurden 35 Abkommen in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bereichen geschlossen, darunter Förderkreditprogramme für Infrastrukturprojekte sowie Verteidigungsabkommen zu gemeinsamen Militärübungen in den Philippinen. Die Auslandsreisen Marcos Jr. werden innenpolitisch durchaus auch kritisch gesehen. Die Opposition wirft ihm vor, mit seinen zahlreichen Auslandsreisen vor allem den Ruf der Familie Marcos polieren zu wollen.
Der erste Staatsbesuch des philippinischen Präsidenten in China war im Januar 2023 mit großen Investitionszusagen und 14 Abkommen aber ohne politische Kursänderungen zu Ende gegangen. Beide Länder bekräftigten ihren Kooperationswillen, jedoch ohne einen substanziellen Fortschritt im Konflikt um das Westphilippinische Meer zu verkünden.
Im Oktober 2023 rammte ein Boot der chinesischen Küstenwache ein philippinisches Versorgungsboot in umstrittenen Gewässern. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und den Philippinen blieben daraufhin zwar bestehen, doch verabschiedete sich die philippinische Regierung im November von der Neuen Seidenstraße. Grund sei, dass China auf Finanzierungsanträge für Schienenbauprojekte nicht reagiert habe. Analyst*innen sehen darin auch den Versuch der philippinischen Regierung, die wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren und in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen einen multidimensionalen Ansatz zu verfolgen.
Der Konflikt um die gegensätzlichen Ansprüche auf das Westphilippinische Meer wird nicht zuletzt mit dem Einsatz von Fischerbooten, staatlichen Patrouillen und wiederholten Zusammenstößen geführt. Zuletzt bezichtigte die chinesische Küstenwache am 22. Februar ein Boot des Bureau of Fisheries and Aquatic Resources (BFAR) des “illegalen Eintritts” in chinesische Gewässer. Die philippinische Küstenwache widersprach. Bereits einen Monat zuvor hatten die Philippinen angekündigt, ihre Außenposten mit Unterstützung der US-Marine im Westphilippinischen Meer auszubauen.
Die Beziehungspflege und maritime Zusammenarbeit zu anderen Anrainerstaaten des Westphilippinischen Meeres sind ein wesentlicher Bestandteil der philippinischen Außenpolitik. So bekräftigten die Philippinen und Japan ihre Zusammenarbeit zum Küstenschutz im Dezember 2023. Ende Januar 2024 unterzeichnete der Präsident Marcos Jr., während eines Staatsbesuchs in Hanoi, mit dem vietnamesischen Premierminister Pham Minh Chinh zwei Abkommen zur Vorfallprävention im Südchinesischen Meer und zur maritimen Zusammenarbeit der Küstenwachen, um gemeinsam die maritime Sicherheit zu erhöhen. Mitte April 2024 trafen sich die Staatschefs der USA, Japan und den Philippinen in Washington um über die Eskalationen im Südchinesischen Meer zu beraten. Expert*innen gehen davon aus, dass der Konflikt eskalieren könnte. Marcos Jr. betonte selbst, dass “es zu einem offenen Konflikt kommt, ist wahrscheinlicher als früher. […] Deshalb versuchen wir immer wieder, die Gemüter abzukühlen und zu kommunizieren.”
Gegenüber der Europäischen Union (EU) zeichnet sich nach den angespannten Beziehungen der letzten Jahre eine Annäherung ab. Im September 2022 warb Marcos Jr. um einen Sitz der Philippinen im UN-Sicherheitsrat. Im Dezember desselben Jahres fand erstmals ein Gipfel zwischen Repräsentant*innen der ASEAN-Staaten und der EU in Brüssel statt. Die Aufforderung zivilgesellschaftlicher Gruppen, auch menschenrechtliche Themen wie freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit gegenüber dem philippinischen Präsidenten zu thematisieren, blieb von der EU unbeantwortet. Zur Enttäuschung der staatlichen ASEAN-Vertreter*innen wurde trotz intensivierter wirtschaftlicher Kooperation ein Freihandelsabkommen zwischen ASEAN und der EU nicht konkretisiert. Die EU hätte sich ihrerseits eine schärfere Haltung gegenüber Russlands Angriffskrieg und zu Taiwan gewünscht. Marcos Jr. betonte jedoch, dass sich die Region nicht auf die Seite einer der rivalisierenden Weltmächte schlagen würde.
Im Juli 2023 besuchte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Philippinen, um über die Wiederaufnahme eines Freihandelsabkommens zu verhandeln. In einem offenen Brief appellierten zivilgesellschaftliche Akteur*innen an von der Leyen, die Normalisierung der Beziehungen zwischen der EU und den Philippinen nur auf der Basis von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit voranzutreiben. Sie wiesen darauf hin, dass es auch unter Präsident Marcos Jr. massive Menschenrechtsverletzungen gebe, die es zu adressieren gelte. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigte sich betroffen, dass von Ursula von der Leyen keine Äußerungen zu menschenrechtlichen Themen und zivilen Freiheiten vernommen wurden.
Auch die Außen- und Entwicklungspolitik Deutschlands ist an den Philippinen interessiert. So veröffentlichte Entwicklungsministerin Svenja Schulze im Dezember 2023 die neue Asienstrategie des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ), welche von der philippinischen Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa als Eröffnungsrednerin mit Kritik umrahmt wurde. Kurz zuvor forderten die Botschaften von Frankreich und Deutschland in Manila die philippinische Regierung auf, ihre Rechenschaftspflicht auszubauen und die Straflosigkeit im Hinblick auf außergerichtliche Tötungen im sogenannten Krieg gegen Drogen zu bekämpfen. Zusätzlich müssten die Philippinen sicherstellen, dass (Umwelt-)Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen, indigene Völker und Gemeinschaften geschützt würden und die Praxis des ‘red-taggings’ [öffentliches ‘Markieren’ von Aktivist*innen als “Kommunist*innen”, was mit politischer Verfolgung einhergeht, d. Red.] beendet werde.
Im Januar 2024 besuchte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock die Philippinen und traf Präsident Marcos Jr. und Außenminister Enrique Manalo, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder sowie die deutsche Unterstützung im Konflikt um das Westphilippinische Meer zu thematisieren. Beide Länder unterzeichneten zudem eine gemeinsame Absichtserklärung über die Zusammenarbeit im Bereich der Kompetenzentwicklung, der Rekrutierung, des Einsatzes und der Beschäftigung von Fachkräften. Baerbock traf auch die Journalistin Maria Ressa sowie die ehemalige Senatorin und langjährige politische Gefangene Leila de Lima, um mit ihnen über Demokratie, Menschenrechte und die Pressefreiheit in den Philippinen zu sprechen – allerdings äußerte sich Baerbock im Rappler-Interview nicht kritisch zur akuten Menschenrechtslage in den Philippinen.
Zuletzt stattete Marcos Jr. Deutschland im März 2024 einen Besuch ab. Einmal mehr bestätigte der philippinische Präsident während seines Treffens mit Bundeskanzler Olaf Scholz, dass seine Regierung nicht mit dem Internationalen Gerichtshof zusammenarbeiten werde, um Menschenrechtsverletzungen während Dutertes selbsterklärten ‘Krieges gegen die Drogen’ aufzuarbeiten. Nichtsdestotrotz werden beide Länder zukünftig ihre Beziehungen im Bereich der Berufsbildung erweitern. Unternehmen aus Deutschland planen, in den Philippinen zu investieren. Der Marcos-Besuch in Berlin wurde kritisch von der philippinischen Diaspora begleitet. Ein von der philippinischen Botschaft initiiertes Treffen der Philippine Community mit dem Präsidenten wurde von Protesten begleitet. Im Vorfeld des Besuchs veröffentlichten einige Organisationen, wie das Aktionsbündnis Menschenrechte – Philippinen ihre Kritik am Staatsbesuch von Marcos Jr.
Marcos Jr. baut die internationalen Beziehungen weiter aus. Insbesondere die erneute Annäherung an die USA kann als deutliche Veränderung zur Duterte-Administration gewertet werden. So nutzt Marcos Jr. seine Auslandsreisen dazu, diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu stärken und die Gebietsansprüche um das Westphilippinische Meer mit internationaler Unterstützung zu verteidigen. Zivilgesellschaftliche Forderungen bleiben dabei bislang ungehört.
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