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Malaysias neue Konservative
Malaysia: Bei der Parlamentswahl im November 2022 erzielte die Malaysian Islamic Party (PAS) ihr bisher bestes Ergebnis. Das habe viel mit der Frustration der jüngeren Bevölkerung zu tun, sagt Politikwissenschaftler Kevin Zhang im Interview
südostasien: Bis 2018 wurde Malaysia ununterbrochen von der United Malays National Organisation (UMNO) regiert. Nach Korruptionsskandalen sank das Vertrauen der Wähler*innen. Verdankt die PAS ihren Aufstieg dem Abstieg von UMNO?
Kevin Zhang ist Associate Senior Research Officer am ISEAS-Yusof Ishak Institute, einem führenden Think-Tank, der sich der Südostasienforschung widmet. Er hat einen MSc in vergleichender Politikwissenschaft von der London School of Economics and Political Science und einen Abschluss in Politikwissenschaft von der National University of Singapore.
Kevin Zhang: UMNOs Verwicklung in Korruptionsskandale, insbesondere die milliardenschwere 1MDB-Enthüllung im Jahr 2014 gegen den damaligen Premierminister Najib Razak, hat mit Sicherheit einen Abwärtstrend eingeleitet. UMNO wurde 2018 zum ersten Mal von der multi-ethnischen Koalition Pakatan Harapan (PH) geschlagen. Die neue reformorientierte Regierung brach jedoch in weniger als zwei Jahren unter dem weit verbreiteten Vorwurf zusammen, die Rechte der Malaien/Muslime zu missachten. Bei der Parlamentswahl 2022 kam es zum spektakulären Aufstieg der Koalition Perikatan Nasional (PN), die sich aus PAS und einer anderen malaiischen Partei, der Bersatu, zusammensetzt, deren Gründer verdrossene ehemalige UMNO-Mitglieder sind. UMNO, die historisch gesehen die wichtigste nationalistische Partei der Malaien war, musste massive Niederlagen hinnehmen, da die Malaien sich verstärkt der PN zuwandten. Unter dem Banner der PN verschmolz die islamische Gesinnung der PAS mit der pro-malaiischen Ideologie von Bersatu. Die PAS ist derzeit die größte Partei im malaysischen Parlament.
Inwieweit stellt die islamische Gesinnung der PAS eine Herausforderung für die multi-ethnische Gesellschaft Malaysias dar?
Malaien, die nach der malaysischen Verfassung verpflichtet sind, sich zum muslimischen Glauben zu bekennen, bilden einen bedeutenden demografischen Block und eine potenzielle Anhängerschaft für die PAS. Jedoch bedeutet die Zugehörigkeit zu den malaiischen Muslimen nicht automatisch die Unterstützung einer islamischen Partei, da manchen die PAS und der politische Islam ein Dorn im Auge sind. Die malaiisch-muslimische Identität ist umstritten und die Vorstellung einer monolithischen Identität, die oft mit dem politischen Islam assoziiert wird, wird in Frage stellt. Dennoch stellt der konservative malaiische Diskurs eine Herausforderung für einen integrativen öffentlichen Diskurs dar, insbesondere wenn die Validität islamischer Parteien in Frage gestellt wird. Daher entscheiden sich malaiische Muslime oft dafür, öffentlich zu schweigen, auch wenn sie mit der PAS nicht übereinstimmen. Die öffentliche Kritik an der PAS kommt hauptsächlich von nicht-muslimischen, insbesondere indischen und chinesischen, Gemeinschaften,
Wie bindet die PAS angesichts ihres konservativen Charakters weibliche Befürworter ein?
Es wird häufig davon ausgegangen, dass konservative Parteien Schwierigkeiten haben, bei den Frauen an Popularität zu gewinnen, da sie die Stärkung der Rolle der Frau nicht genügend betonen. In der malaiischen Gesellschaft Malaysias spielen Frauen aber eine zentrale Rolle und bilden ein starkes Rückgrat für die politische Mobilisierung. Obwohl der Großteil der gewählten Vertreter und führenden Parteimitglieder Männer sind, tragen Frauen aktiv zu Gemeindeveranstaltungen und Wahlkampagnen bei, was ihr großes Engagement in Nachbarschaften widerspiegelt. Interessanterweise stimmen viele PAS-Anhängerinnen mit den konservativen Ansichten der Partei zu Familie und Politik überein. Auch hat die PAS ihren Schwerpunkt im Laufe der Zeit verlagert und vertrat eine Zeit lang Konzepte wie den Wohlfahrtsstaat und zu anderen Zeiten die Scharia. Weiter wird der Erfolg der PAS im Wahlkampf auch durch ihr landesweites Netz an Bildungseinrichtungen unterstrichen, die von islamischen Kindergärten bis zu religiösen Schulen reicht. Diese Schulen werden von einer großen Anzahl von Frauen geleitet, welche in vielen Teilen der Welt eine zentrale Rolle im Bildungswesen spielen.
Welche Auswirkungen hatte die Herabsetzung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre auf die Wahl?
Unter den Nicht-Malaien ist die Unterstützung hauptsächlich auf die säkulare und multi-ethnische PH gerichtet. Überraschenderweise zeigt die jüngere Kohorte der malaiischen Muslime eine stärkere Präferenz für die PAS als die ältere Generation, die eher zur UMNO oder in geringerem Maße zur PH tendiert. Jüngere Malaien scheinen politisch konservativer zu sein als frühere Generationen, was teilweise auf die Ernüchterung über die UMNO-Politik zurückzuführen ist. Sie zeigen auch nur begrenztes Interesse an der säkularen PH, da sie diese als nicht-islamisch ansehen und weniger bereit sind, Sonderrechte für Malaien zu verteidigen. Folglich ist die PN für diese Bevölkerungsgruppe die einzige wirkliche Option.
Welche Rolle spielten die sozialen Medien bei den Wahlkampagnen?
Die malaiisch-muslimische Social-Media-Sphäre wird überwiegend von der PN beeinflusst. Dieser Einfluss wird durch die Wahl der Plattformen noch verstärkt, da PH und UMNO auf Facebook präsent sind, das tendenziell eine ältere Wählerschaft anzieht. Im Gegensatz dazu ist die jüngere Wählerschaft, von der die meisten auf TikTok aktiv sind, zu einem Fokus für das strategische Engagement der PN geworden. Während der Parlamentswahl 2022 intensivierte die PN ihre Bemühungen in den sozialen Medien und profitierte dabei von den damals verfügbaren finanziellen Mitteln. Bei den Landtagswahlen 2023 kam es jedoch zu der entscheidenden Wende, da gegen die PN Korruptionsermittlungen liefen und die Parteigelder eingefroren wurden. Das bedeutete, dass sich die PN im Wahlkampf fast ausschließlich auf die sozialen Medien verlassen musste. Trotz der Einschränkung übertrafen die Ergebnisse bei den Landtagswahlen 2023 die Ergebnisse der Parlamentswahl 2022 bei den malaiischen Wählern, was einen Paradigmenwechsel in der Dynamik der Wählerschaft signalisierte. Dieser Wandel hat Parteien wie die PAS begünstigt, welche die sozialen Medien geschickt nutzen, um mit ihrer Basis in Kontakt zu treten.
Gab es besondere Herausforderungen aufgrund von Fake News oder Propagandavideos während der politischen Kampagnen?
Während in westlichen Ländern der rechtliche Rahmen offen beleidigende Äußerungen einschränkt und ein Gleichgewicht zwischen freier Meinungsäußerung und gesellschaftlichen Grenzen widerspiegelt, ist die malaysische Politik seit der Unabhängigkeit historisch entlang ethnischer und religiöser Linien strukturiert. Die Diskussion kontroverser ethnischer und religiöser Themen in den sozialen Medien ist keine Seltenheit. Es gibt daher Fehlinformationen, aber bei den ‚Fake News‘ geht es hauptsächlich um ethnisches und religiöses framing mit unbestätigten Gerüchten.
Haben sich die wirtschaftlichen Nachwirkungen von Covid-19 auf die Wahl ausgewirkt?
Von einem spekulativen Standpunkt aus könnte man sagen, dass die Unterstützung der Jugend für die PAS und damit auch für die PN anders ausgefallen wäre, wenn es die Pandemie nicht gegeben hätte. Malaysia hat eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die bei etwa 12-13 Prozent liegt, verglichen mit der nationalen Arbeitslosenquote von drei Prozent. Außerdem mussten junge Menschen unter 30 Jahren während der Pandemie die größten Einkommenseinbußen hinnehmen, was eine unverhältnismäßig starke Auswirkung der Lockdown- Beschränkungen widerspiegelt. Darüber hinaus erlebte Malaysia bis Ende der 1990er Jahre ein robustes Wirtschaftswachstum, das Erinnerungen an erreichbare Ziele wie Wohneigentum und soziale Mobilität ihrer Eltern förderte. Unter den Jugendlichen, insbesondere den wirtschaftlich schwächeren Malaien, entstand jedoch ein Gefühl der unerfüllten Hoffnungen und der Frustration über das stockende Wirtschaftswachstum, vor allem unter Jungunternehmern. Eine linke oder klassenbasierte Partei gibt es nicht, so dass sich Politik in erster Linie entlang ethnischer und religiöser Linien abspielt. Dies führt zu einem ständigen Kampf um die Artikulation wirtschaftlicher Frustrationen, wodurch der Rückgriff auf ethnische und religiöse als dominante politische Narrative fortbesteht.
Wie wird angesichts der aktuellen Ereignisse im Gazastreifen der Nahost-Konflikt in Malaysia wahrgenommen?
Da in Malaysia der Diskurs über ethnische Zugehörigkeit und Religion dominiert, unterstützen einige Malaien Palästina in hohem Maße. Es gab auch einen Vorfall, bei dem staatliche Schulen eine Woche zur Sensibilisierung für Palästina abhielten und eine weitgehend einseitige Darstellung zugunsten der palästinensischen Perspektive präsentierten. Ich denke, dass es für Einzelpersonen außerhalb der malaiisch-muslimischen Gemeinschaft aufgrund der vorherrschenden pro-palästinensischen Haltung innerhalb des offiziellen malaiisch-muslimischen Diskurses schwierig sein könnte, offen eine ausgewogene Sichtweise oder gar Unterstützung für Israel zu befürworten. In der Tat kam es auch zu diplomatischen Spannungen zwischen Malaysia und den USA, da letztere über informelle Kanäle Druck auf Malaysia ausübten, die Hamas als terroristische Organisation einzustufen. Malaysia hat sich jedoch nicht nur geweigert, dieser Aufforderung nachzukommen, sondern auch den Druck, dem es seitens der USA ausgesetzt war, öffentlich bekannt gemacht.
Wie hat sich dieser anhaltende Konflikt auf die Wahrnehmung‚ des ‚Westens‘ in Malaysia ausgewirkt?
Die Auswirkungen waren offensichtlich, insbesondere in den sozialen Medien, wo die malaiisch-muslimische Gemeinschaft durch den anhaltenden Konflikt stark beeinflusst schien. Meines Erachtens könnte eine Fortsetzung des derzeitigen Vorgehens des Westens in den letzten Monaten die negative Wahrnehmung noch verstärken. Es ist aber anzumerken, dass die Wahrnehmung des Westens von Anfang an nicht besonders positiv war.
Welche Zukunftsaussichten sehen Sie voraus?
Derzeit scheint die PAS einen strategischen Ansatz zu verfolgen und eine stärkere Durchsetzung der Scharia in den vier von ihr regierten Bundesstaaten anzustreben. Obwohl es ihnen gelungen ist, eine Verfassungsänderung vorzunehmen, hat die Zentralregierung ihnen bisher nicht erlaubt, diese umzusetzen, da sie im Widerspruch zur Verfassung steht. Die PAS könnte versuchen, wichtige Scharia-Bestimmungen auf Bundesebene durchzusetzen, um die Akzeptanz auf nationaler Ebene abzuschätzen, und so möglicherweise die religiösen Praktiken in den von der PAS regierten Gebieten umzugestalten. Allerdings wird erwartet, dass ihr Einfluss auf Entscheidungen zu nicht-malaiischen Religions- oder Lebensstilen vorerst begrenzt bleibt. Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass die PAS die Demokratie untergräbt, arbeitet sie aktiv in der demokratischen Arena, um sich Stimmen zu sichern und politischen Einfluss zu gewinnen. Eine mögliche Entwicklung hin zu einem stärker islamisch geprägten Gemeinwesen ist also denkbar.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen von: Kathrin Sommerfeld
Dieser Text erscheint unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.