Männlichkeiten werden oft mit Stärke verbunden, sind aber auch von weniger aggressiven Werten beeinflusst. © Henri Myrttinen
Männlichkeiten werden oft mit Stärke verbunden, sind aber auch von weniger aggressiven Werten beeinflusst. © Henri Myrttinen
Südostasien: Männlichkeitsideale im privaten wie auch im politischen Raum verändern sich und können zu einem Kulturwandel führen.
Männlichkeitsbilder sind in Südostasien so vielfältig, dynamisch und historisch vielschichtig wie die Region selbst. Wenn ich jedoch Menschen danach frage, was es bedeutet, ein Mann zu sein, sind die Antworten oft eindimensional und stereotypisch, wie es eben auch in anderen Regionen der Welt häufig der Fall ist.
Die Antworten – die manchmal mit Stolz, und manchmal als Kritik vorgetragen werden – verknüpfen Männlichkeit mit einer Vorstellung von Stärke, Kontrolle, Handlungsfähigkeit, Respekt, und mit der Rolle des Ernährers der Familie. Diese scheinbar einfachen Antworten verschleiern jedoch die Komplexität, die inhärenten Widersprüche und Spannungen des „Mannseins“ in Südostasien, insbesondere in der heutigen Zeit, in der Geschlechterrollen mehr denn je zu einem politischen Thema geworden sind.
Maskulinität sollte, wie Geschlechterrollen im Allgemeinen, intersektional mit weiteren Faktoren wie Alter, sozioökonomischer Hintergrund, sexuelle Orientierung, Behinderung, Familienstand sowie ethnisch-religiösen Hintergründen betrachtet werden. Diese Wechselwirkungen führen zu Status- und Machtunterschieden zwischen Männern, wie auch zu unterschiedlichen Erwartungen was das Ausleben der Geschlechterrollen angeht. Männlichkeit wird meist mit dem Körper verbunden, der bei der Geburt als männlich eingestuft wird.
Körperliche Stärke und Handlungsfähigkeit werden oft stereotyp als männlich angesehen. © Henri Myrttinen
Männlichkeiten können aber auch von Menschen, die bei ihrer Geburt nicht als männlich eingestuft wurden, dargestellt, ausgelebt und verkörpert werden. Männlichkeiten können auch von Geistern oder Gottheiten ‚verkörpert‘ werden. Zudem können heilige und profane Objekte mit ‚männlicher Energie‘ aufgeladen oder als männlich angesehen werden. Auch Menschen, als spirituelle Medien wirken, also rituell (Ahnen-) Geister oder Gottheiten verkörpern, zeichnen diverse Bilder von Männlichkeit. Menschen, die bei der Geburt als weiblich eingestuft wurden und sich nun als Tomboys identifizieren, erweitern das Spektrum von Männlichkeits-Bildern. Und auch Frauen, die in maskulinisierten Umgebungen wie dem Militär oder in Vorstandsetagen von Firmen arbeiten, verkörpern möglicherweise ‚männliche‘ Sozialisierungen. Denn Männlichkeiten – die Vorstellungen davon, was es beinhaltet, ‚ein Mann sein‘ – sind immer auch soziokulturelle und politische Konzepte.
In Südostasien sind die Einflüsse vormoderner und vorkolonialer Dorf- und Familienstrukturen, je nach Kontext gepaart mit Einflüssen des Hinduismus, Buddhismus, Konfuzianismus, Islam oder Christentums, in den alltäglichen Geschlechterrollen weiterhin deutlich sichtbar. Soziale Hierarchien und der damit verbundene Respekt sind nach wie vor stark ausgeprägt, ebenso wie familiäre, gemeinschaftliche und gesellschaftliche Verpflichtungen. Geschlechterrollen sind eng mit Erwartungen verknüpft, wie man mit Geschwistern und Eltern, Großeltern und Vorfahren, Tanten und Onkeln, Lehrenden und Vorgesetzten, der unmittelbaren Nachbarschaft, aber auch mit der Sangha [buddhistische Gemeinschaft], Ummah [muslimische Gemeinschaft] oder christlichen Gemeinschaften umgehen soll. Selbst jene Männer, die in der Peripherie südostasiatischer Gesellschaften – sei es in Bikerclubs, Straßengangs, oder in der Punkrock-Szene – sichtbar gegenhegemoniale, subkulturelle Männlichkeiten praktizieren, behalten meiner Erfahrung nach oft viele dieser Verpflichtungen und die damit verbundene Ehrerbietung und weitere Verhaltensweisen bei.
Obwohl es in Südostasien auch einige matriarchalische Kulturen gibt, sind die Gesellschaften in der Region größtenteils hierarchisch patriarchal und gerontokratisch ausgeprägt. Besonders sichtbar ist dies in der Politik, wo trotz der zunehmenden Rolle der Frauen im öffentlichen Leben ältere Männer in Führungspositionen nach wie vor die Norm sind. Zwar gab und gibt es in der Region eine bemerkenswerte Anzahl weiblicher Staats- und Regierungschefs, doch handelt es sich dabei meist um Ehefrauen, Schwestern oder Töchter bedeutender Männer. Umfragen in der gesamten Region spiegeln die nach wie vor verbreitete Überzeugung wider, dass Männer die besseren Führungspersönlichkeiten seien. Politik wird oft als ‚schmutziges Spiel‘ angesehen, in dem man „Manns genug“ sein muss, um sich in schummrigen Hinterzimmern durchzusetzen, in denen politische und wirtschaftliche Deals abgeschlossen werden. Dieses Politikverständnis hat in der südostasiatischen Politik zum Aufstieg – oder in manchen Fällen zu einer Renaissance – des ‚starken Mannes‘ geführt, der oft explizit Machismo, das Versprechen einer militarisierten ‚eisernen Faust‘ und populistische Politik vermischt. Doch trotz der Attraktivität dieser Politik, gibt es auch Widerstand, wie Rodrigo Duterte auf den Philippinen und Prabowo Subianto in Indonesien gerade feststellen müssen.
Auf Familienebene ist das ‚Ideal‘ des Patriarchen als Haupternährer und Entscheidungsträger nach wie vor stark ausgeprägt, auch wenn es bei weitem nicht mehr das einzige Modell ist. Die Verbreitung des Internets und weiterer Technologien hat in den letzten Jahrzehnten die Vorstellungen von Geschlechterrollen stark pluralisiert: von Queer Studies und Feminismus über Salafismus und Neoliberalismus bis hin zu K-Pop und Superheld:innenfilmen.
Obwohl die Fortschritte ungleichmäßig sind, gibt es zunehmend Räume für vielfältige Männlichkeiten. © Henri Myrttinen
Gleichzeitig haben sich die strukturellen Lebensbedingungen in Südostasien dramatisch verändert. Dazu gehören die schnelle Urbanisierung, ein verbesserter Zugang zu Bildung (insbesondere für Frauen) und der Aufstieg von Hunderten Millionen Menschen Südostasiens aus der Armut, auch wenn weiterhin enorme Unterschiede bestehen. Eine weitere, weniger sichtbare Entwicklung ist die ‚Vergreisung‘ vieler Gesellschaften in der Region. Diese stellt die traditionellen Geschlechterrollen älterer Menschen in Frage, da es immer weniger jüngere Menschen gibt, welche sie pflegen könnten.
Diese Dynamiken haben widersprüchliche Auswirkungen auf Männlichkeitsvorstellungen. Während einige Männer geschlechtergerechtere Männlichkeiten ausleben, halten andere an noch rigideren Patriarchatsvorstellungen fest, oft durchmischt mit einer fundamentalistischeren Auslegung der jeweiligen Religion. In Südostasien ist jedoch noch kein ähnlich aggressiv frauenfeindlicher politischer Maskulinismus wie in vielen westlichen Gesellschaften und beispielsweise in Südkorea, entstanden. Da diese Radikalisierung jedoch größtenteils online stattfindet, ist dies möglicherweise nur eine Frage der Zeit.
Wie einige Beiträge dieser Sonderausgabe zeigen, gibt es in der Region positive Veränderungen der Männlichkeit. Einige Einflüsse der Populärkultur betonen weniger dominante Männlichkeiten. Wir lernen soziale Bewegungen in zahlreichen Ländern kennen, die aktiv Praktiken und Vorstellungen von männlichem Anspruchsdenken oder gar männlicher Überlegenheit, von Patriarchat und Heteronormativität, hinterfragen. Die sich verändernden sozioökonomischen Kontexte, in denen sich Männer befinden, wie etwa die zunehmende Bildung und Erwerbsbeteiligung von Frauen, die gestiegene Toleranz gegenüber sexueller Vielfalt und auch der von #MeToo inspirierte Widerstand gegen männliches Anspruchsdenken, führen zu einem Umdenken darüber, was es im heutigen Südostasien bedeutet, ein Mann zu sein.
Religiöse und kulturelle Normen betonen oft Selbstbeherrschung und Mitgefühl. © Henri Myrttinen
Südostasiatische Aktivist:innen drängen auf ein Umdenken in Bezug auf Männlichkeit, um auch die problematische Beziehung zwischen Männlichkeit und Gewalt zu thematisieren. In Südostasien wie anderswo sind Männer die Haupttäter von Gewalt, sei es im öffentlichen oder im privaten Bereich, online oder offline. Zu den Ursachen dieser Gewalt zählen die problematische Verknüpfung von Männlichkeit mit Stärke und Kontrolle, männlichem Anspruchsdenken und Privilegien sowie die gesellschaftliche Akzeptanz von Gewalt zur Aufrechterhaltung ungleicher Beziehungen, insbesondere zwischen den Geschlechtern.
Besonders in südostasiatischen Gesellschaften ist diese Beziehung zwischen Männlichkeit und Gewalt jedoch nicht ganz selbstverständlich. Zum Männlichkeitsideal gehört nämlich auch oft die Kontrolle von Emotionen, das Ego nicht zur Schau zu stellen und stattdessen Selbstbeherrschung sowie Mitgefühl mit Bedürftigen übt. Dieses schließt jedoch den starken Glauben an die Überlegenheit des Männlichen gegenüber dem Weiblichen nicht unbedingt aus. Und doch können kulturelle Werte zu einer Transformation von Maskulinität führen, die ein respektvolles Miteinander zwischen allen Geschlechtern sowie zu Gleichberechtigung und Gewaltlosigkeit führen.
Diese Sonderausgabe betrachtet die große Bandbreite an Maskulinität und der damit verbundenen Bedeutungen in der Region. Jenseits der oft politisch mobilisierten stereotypen Vorstellungen von männlicher Stärke und vermeintlichen Führungsqualitäten zeigen die Artikel auch andere Wege auf, was es bedeutet, in Südostasien ‚ein Mann zu sein‘.
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