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Wanderarbeiterinnen in der Covid-19-Krise

Wanderarbeiter*innen Covid-19

Laotische Textilarbeiterinnen beim Herstellen von Kleidung © Oxfam

Laos: Die Covid-19-Krise gefährdet die Lebensgrundlagen von Wanderarbeiter*innen in ganz Südostasien. Fast jede*r zehnte laotische Arbeiter*in ist zugleich Migrant*in, die meisten in Thailand. Basierend auf Interviews beleuchtet dieser Artikel deren Situation und die Rolle von Hilfsprogrammen.

Während Laos zu den Ländern mit den wenigsten registrierten Covid-19-Infektionen weltweit gehört (Stand Januar 2021), steht die Bevölkerung aufgrund der Pandemie dennoch vor erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen. Laotische Wanderarbeiter*innen sind von dieser beispiellosen Krise besonders betroffen. Da sie zumeist in der informellen Wirtschaft arbeiten, das heißt ohne durch ausreichende formelle Vereinbarungen abgesichert zu sein, verlieren sie mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Lebensgrundlagen. Zudem sind Frauen oft zusätzlichen und sich überschneidenden Benachteiligungen ausgesetzt. Dies geschieht aufgrund von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern sowie sozialer Diskriminierung und Stigmatisierungen, die in ihren Haushalten, Gemeinschaften und der Gesellschaft verwurzelt sind.

Laos Marktverkäuferin

Eine Marktverkäuferin beim Verkaufen von Gemüse © Oxfam

Von Migrant*innen zu Rückkehrer*innen

Die laotische Regierung führte von Ende März bis Anfang Juni 2020 einen Covid-19-Lockdown durch. Auch danach blieb der Personenverkehr über die Landesgrenzen weiterhin eingeschränkt. Fast jede*r zehnte laotische Arbeiter*in ist zugleich auch Migrant*in, die meisten in Thailand. Für den Zeitraum zwischen März und Juni 2020 schätzte die Regierung, dass rund 80.000 laotische Wanderarbeiter*innen aus Thailand zurückkehrten. Bis September 2020 wurden insgesamt mehr als 200.000 Rückkehrer*innen gemeldet.

Zwischen Ende September und Anfang November 2020 führte ein Konsortium unter der Führung von Oxfam im Rahmen einer größeren Umfrage unter ländlichen Gemeinden in neun Provinzen quantitative Interviews mit 405 Wanderarbeiterinnen in der informellen Wirtschaft durch. Die meisten der Befragten waren zwischen 18 und 35 Jahre alt (82%) und hatten die Sekundarschule nicht abgeschlossen (86%). Alle stammten entweder aus einem ländlichen Dorf (83%) oder einer ländlichen Distriktstadt (17%), hatten aber vor dem Lockdown in Thailand gelebt. Diese demografischen Daten spiegeln die Ergebnisse anderer aktueller Umfragen wider, in denen laotische Wanderarbeiter*innen als überwiegend jung, gering qualifiziert und aus ländlichen Gebieten stammend identifiziert wurden.

Lebensgrundlagen, familiäre Bindungen und Sicherheit während der Krise

In den Monaten vor März 2020 waren die meisten der befragten Frauen Arbeitnehmerinnen in Unternehmen (54%), Angestellte in Privathaushalten (13%) oder selbstständige Arbeiterinnen (12%). Zwei Drittel hatten im Dienstleistungssektor in Thailand gearbeitet (zum Beispiel Tourismus, Gastgewerbe und Hausarbeit), wo die Wirtschaftstätigkeit aufgrund der Krise stärker zurückging als in der Industrie oder in der Landwirtschaft. Nach ihrer Rückreise von Thailand nach Laos während des Lockdowns blieben die meisten der Frauen in ihrem Herkunftshaushalt (71%) sowie bei Verwandten oder Freunden (13%).

Laos Forscherteam

Ein Forschungsteam auf dem Weg in eine ländliche Gemeinde im Süden von Laos © Oxfam

Bis September 2020 waren die Anteile der oben genannten Arbeiterinnen gesunken (auf 7%, 3% und 2%), während der Anteil der Frauen ohne bezahlte Arbeit gestiegen war (von 3% auf 53%). Betrachtet man die Befragten als eine Gruppe, so sank ihr durchschnittliches monatliches Einkommen deutlich von 260 auf 50 US-Dollar (oder um etwa 80%). Gleichzeitig stellte in vielen Fällen ihre Arbeit eine Haupteinnahmequelle für ihre Haushalte in Laos dar (zum Beispiel durch Geldüberweisungen von Thailand).

Ähnlich wie der Anteil der Frauen ohne Arbeitsplatz war auch der Anteil der beitragenden Familienarbeiter unter den befragten Frauen gestiegen (von 3% auf 21%), also derjenigen, die ihre Familien in der Subsistenz-orientierten Kleinbauernwirtschaft unterstützen. Darüber hinaus gaben rund zwei Drittel der Befragten an, dass sie sich um die meisten – unbezahlten –Hausarbeiten kümmern und dass der Lockdown insbesondere für sie den Umfang dieser Art von Arbeit erhöht hat. Daher scheint es, dass die oft diskutierte Doppelbelastung durch Lohnarbeit und Haushalt von Frauen durch Covid-19 für viele der Rückkehrerinnen noch verschärft wurde.

Ein Drittel der befragten Frauen gab an, während des Lockdowns Situationen erlebt zu haben, in denen sie sich diskriminiert oder stigmatisiert fühlten. Diese Frauen erwähnten meistens Gemeindemitglieder (88%) und Familienmitglieder oder Verwandte (31%) als verantwortlich. Fälle von physischer und psychischer Gewalt gegen Frauen sind nach Angaben der Frauen mit verschiedenen Problemen verbunden, zum Beispiel, dass sie als Migrantinnen zurückkehren, sie kein Geld für ihre Familien mehr senden können oder dass sie sich – zurück an ihrem Herkunftsort – öfter in unmittelbarer Nähe von Tätern befinden. Ein Drittel der Befragten gab außerdem an, sich während ihrer Rückreise mindestens einmal unsicher gefühlt zu haben – eine weit verbreitete Erfahrung für südostasiatische Wanderarbeiterinnen.

Krisenbewältigung und Zukunftsaussichten

Rund die Hälfte der Befragten gab an, dass sie und ihre Haushalte versuchen, während des Lockdowns weniger Geld auszugeben. Rund zwei Drittel berichteten, dass sie und ihre Haushalte sich zunehmend auf Selbstversorgung verlassen – mittels Landwirtschaft, Jagen und Sammeln. Es scheint, dass viele der Frauen in der Lage waren, den Mangel an finanziellen Ressourcen ihrer Haushalte zumindest teilweise durch diese Subsistenz-Aktivitäten zu kompensieren. Ein Drittel der Befragten gab jedoch an, dass sie während des Lockdowns durchschnittlich vier Tage lang keine Lebensmittel mehr in ihren Haushalten hatten, was sie hauptsächlich auf Geldmangel zurückzuführten.

Wanderarbeiter*innen Covid-19

Laotische Textilarbeiterinnen außerhalb einer Fabrik in Thailand © Oxfam

Zwei Drittel der befragten Frauen waren zuversichtlich, dass ihre Haushalte mit der aktuellen Situation fertig werden könnten, während ein Drittel entweder nicht zuversichtlich oder nicht sicher war. Jedoch waren fast alle Frauen (98%) besorgt, nicht genügend Einkommen verdienen zu können, falls eine Krise wie die Covid-19-Pandemie erneut auftritt. Diese Antworten bestätigen die Annahme dass laotische Wanderarbeiter*innen die negativen Auswirkungen einer anhaltenden Krise wahrscheinlich nur schwer bewältigen können.

Nur etwa die Hälfte der Befragten wusste, wo sie Hilfe suchen sollten, wenn ein Freund oder Nachbar von Gewalt betroffen sein sollte. Dies ist wahrscheinlich auf ihre geringe Vertrautheit mit sozialen Diensten, die unzureichende Bewusstseinsbildung der Anbieter*innen und die geringe Verfügbarkeit der Dienste zurückzuführen. Vor dem Hintergrund, dass die Krise die Fälle von physischer und psychischer Gewalt verschärft, ist dies alarmierend.

Hätten sie die Wahl zwischen einer erneuten Migration nach Thailand oder einem Aufenthalt in Laos würde sich etwa die Hälfte der befragten Frauen erneut für Thailand entscheiden, während die anderen Laos bevorzugten (26%) oder unentschlossen waren (19%). Obwohl dies darauf hinweisen könnte, dass sowohl die Arbeit in Thailand sowie die Geldüberweisungen an ihre Familien in Laos für die Mehrheit der Frauen weiterhin von großer Bedeutung sind, kann die Krise grundlegende Veränderungen in ihrer Selbstwahrnehmung als Migrantinnen hervorrufen – gerade in Bezug auf ihre Herausforderungen und Chancen – und somit ihre Aussichten auf künftige Lebensgrundlagen neu konfigurieren.

Auf der Suche nach Sicherheitsnetzen

Fast alle befragten Frauen gaben an, weder für eine Arbeitslosenversicherung (95%) noch für eine Krankenversicherung (96%) registriert zu sein. Die übrigen Frauen wussten nicht, ob sie registriert sind oder nicht. Es ist also anzunehmen, dass wahrscheinlich keine der Befragten eine formelle Versicherung besitzt. Die laotische Regierung hat in den letzten Jahren begonnen, sich auf verschiedene Aspekte des sozialen Schutzes von Migrant*innen zu konzentrieren, vor allem auf gezielte Informationsdienste für potentielle Migrant*innen und koordinierte Unterstützung und Verwaltung von Migrant*innen im Ausland. Zudem wurde ein freiwilliges Beitragssystem für informelle Arbeiter*innen eingeführt, die im Jahr 2017 83% der Erwerbsbevölkerung ausmachten. Bisher hat sich jedoch nur eine Minderheit für dieses System registriert. Ein Grund hierfür scheint vor allem die noch immer sehr starke Orientierung der laotischen Bevölkerung an familiären Sicherheitsnetzen zu sein. Zudem scheint die Regierung das freiwillige Beitragssystem noch nicht breit genug in der Bevölkerung zu bewerben.

Wanderarbeiter*innen Covid-19

Eine Heimarbeiterin mit ihrem Kind zu Hause © Oxfam

Hilfsprogramme in Form von kostenloser Gesundheitsversorgung (92%) und Geldtransfers (90%) wurden von fast allen Befragten als am besten geeignet für ihre Unterstützungsbedürfnisse während der Krise identifiziert. Dies scheint zu bestätigen, dass sich der Unterstützungsbedarf der Frauen auf ihre finanziellen Engpässe konzentriert. Viele von ihnen bewerteten jedoch auch gezielte Unterstützungsdienste für Migrant*innen (82%) und Frauen (80%) als wichtig. Darunter fallen die zuvor genannten Aspekte des sozialen Schutzes von Migrant*innen – einschließlich der Migrant Resource Centers, die bereits in mehreren Provinzen von der laotischen Regierung etabliert wurden, um Informations- und Beratungsdienste bereitzustellen.

Solidarität statt Wohltätigkeit

Die laotische Regierung zeigt sich ambitioniert, die ASEAN Declaration on Strengthening Social Protection in Laos umzusetzen, die eine gezielte und umfassende Unterstützung für Migranten*innen, informelle Arbeiter*innen sowie Frauen im Allgemeinen umfasst. Zu den Zielen der National Social Protection Strategy der Regierung für 2025 gehört eine universelle Krankenversicherung, die nicht nur alle informellen Arbeiter*innen, sondern auch alle Migrant*innen umfasst.

Wichtig ist dabei, sich auf Sozialhilfe (also beitragsunabhängig) und nicht auf Sozialversicherung (beitragsabhängig) zu konzentrieren, was die laotische Regierung und einige ihrer Entwicklungspartner (vor allem die Vereinten Nationen) bereits vor der Pandemie planten und nun weiter ausbauen. Dazu gehört auch Oxfams Social Protection Programm in Laos, das auf der Vorstellung basiert, dass es bei Sozialschutz nicht um Wohltätigkeit für bedürftige Menschen geht, sondern um Solidarität innerhalb der ganzen Gesellschaft.

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