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Konflikt um Wasser und Lebensweise
Philippinen: Der immense Wasserverbrauch der Hauptstadt Manila soll mit einem neuen Staudamm gestillt werden. Das bedroht das Leben der indigenen Dumagat-Remontado.
Die Insel Luzon im Norden der Philippinen zeichnet sich durch eine Vielfalt ökologischer Lebensräume und kultureller Lebensweisen aus. Das Weltkulturerbe der Reisterrassen im Banaue-Tal ist hier beheimatet, ebenso wie die wohl älteste Tattoo-Künstlerin der Welt, Apo Whang-Od, die im April 2023 auf dem Cover der Vogue portraitiert wurde. Die Landschaft Luzons ist geprägt von der Sierra Madre, der längsten Gebirgskette der Philippinen, die sich im Osten der Insel erstreckt und mehrere Naturschutzgebiete (Sierra Madre Biodiversity Corridor, SMBC) umfasst.
In den Bergregionen östlich der Hauptstadt Manilas leben die indigenen Gemeinschaften der Dumagat-Remontado, die sich taga-bundok (deutsch: aus den Bergen) nennen. Aufgrund der kolonialen Expansion moderner Lebensweisen haben sie sich immer weiter in die Berge zurückgezogen und leben dort im Einklang mit den Wassern, Wäldern und Tieren ihrer Umgebung.
Hundertjährige Wasserquelle für wen?
In den östlich von Manila gelegenen Regionen Quezon und Rizal entsteht derzeit das New Centennial Water Source – Kaliwa Dam Project (NCWS-KDP). Die Neue Hundertjährige Wasserquelle soll eine langfristige Wasserversorgung für den stetig wachsenden Metropolraum Manilas sicherstellen. Nach Angaben des Stratbase ADR Institute for Strategic and International Studies (ADRi) soll das Staudammprojekt ab 2027 bis zu 600 Millionen Liter Wasser pro Tag für den Großraum Manila und die umliegenden Regionen liefern. Davon sollen circa 18 Millionen Menschen profitieren. Die bestehende Abhängigkeit vom Angat-Ipo-La Mesa-Komplex und die Gefahr eines Wassermangels in der Metropolregion soll dadurch signifikant verringert werden. Darüber hinaus wird das NCWS-KDP als ein Projekt zur Steigerung der Resilienz hinsichtlich des Klimawandels dargestellt, das die Prinzipien der Sustainable Development Goals und deren Anspruch auf Zugang zu Wasser verfolgt.
Die Dammbauten zum Anstauen des Kaliwa-Flusses wurden von Ex-Präsident Rodrigo Duterte (2016-2022) als alternativlos dargestellt. Bereits unter der Präsidentschaft Corazon Aquinos (1986-1992) waren die Pläne (die seit den 1970ern wegen zu großem Widerstand beiseitegelegt worden waren) wieder aus der Schublade geholt worden. Mit seiner brachialen Art, sich gegen jegliche Widerstände durchzusetzen, wischte Duterte die ökologischen, sozialen und seismographischen Bedenken vom Tisch und drückte das von China mitfinanzierte Infrastrukturprojekt durch: „Es mag einige Gefahren und Schäden geben, aber das ist nicht meine Sorge. Mir geht es um das Wohlergehen, um das größte Gut für die größte Zahl. Das ist Demokratie.“
Fragen der Wassergerechtigkeit
Die sozio-ökologischen Folgen von Wasserprojekten werden wissenschaftlich im Rahmen der Environmental Justice Studies und speziell der Water Justice Studies analysiert. Der Fokus sind intersektionale Verflechtungen, Partizipationsmöglichkeiten der betroffenen Gemeinschaften sowie der gerechte und niederschwellige Zugang in Bezug auf Wassernutzung. Wirtschaftliche Interessen und politische Machtstrukturen resultieren oft in einem privilegierten Zugang für bestimmte Gruppen, während andere marginalisiert werden. Im Rahmen der Water Justice Studies konnte beispielsweise dargestellt werden, dass Staudammprojekte heute einen Rückgang kultureller Vielfalt bedeuten (vgl. Johnston et al. 2012: 305).
Das ist auch beim geplanten Kaliwa- Damm zu befürchten: Die weitreichenden Baumaßnahmen würden bis zu 10.000 Indigene vertreiben, berichtet das ADRi. Umweltschutzorganisationen wie der World Wildlife Fund for Nature (WWF) befürchten zudem, dass die Baumaßnahmen einen immensen Druck auf die Ökosysteme ausüben werden, was mit dem Schutz von Frischwasser und Biodiversität unvereinbar sei. Mit dem Environmental Compliance Certificate (ECC) des Department of Environment and Natural Resources (DENR), das der damals verantwortliche Umweltminister Roy A. Cimatu im Jahr 2019 präsentierte, wurden die größten rechtlichen Barrieren in diesen Kontexten beseitigt. Der philippinische Anthropologe Nestor Castro stellte jedoch fest, dass die Vereinbarung mit den Dumagat-Remontado unter hohem Druck ausgehandelt worden war. Castro konnte einen vehementen Widerspruch von 23 Communities gegen das geplante Projekt vorlegen.
Indigener Widerstand
“Unser Land gibt uns unsere Nahrung. Es ist unsere Lebensgrundlage. Sie nehmen uns nicht nur das Land, sie nehmen uns das Leben”, betonte Meleng Rutuqeio, ein Sprecher der Dumagat-Remontado, während der Proteste in Manila gegen die Staudammprojekte. Die Dumagat-Remontado haben eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen den Bau des Kaliwa-Staudamms. Für sie geht es um eine direkte Bedrohung ihres angestammten Landes und somit ihrer traditionellen Lebensweise und kulturellen Integrität.
Ein weiterer Vertreter der Indigenen aus Quezon, Arnel de los Santos, verwies darauf, dass es um ein grundlegend anderes Verständnis von Leben gehe. Die Dumagat-Remontado sehen – anders als die dominierende westliche Logik – keine Trennung zwischen Kultur und Natur. Sie vertreten eine ganzheitliche Sicht auf die Umwelt, während die Staudammbefürworter*innen eine technokratische und ökonomische Perspektive einnehmen.
In Konflikten durch Großprojekte in indigenen Gebieten kommen immer wieder derartige fundamentale kulturelle Differenzen zum Ausdruck. Der Kampf um Wasser ist sogleich ein Kampf um Weltvorstellungen, wie Jerry Mander im Kontext der Menschenrechte indigener Gemeinschaften formulierte: „Man könnte sie als Ressourcenkriege bezeichnen. Aber genauer gesagt sind es Weltanschauungskriege, Paradigmenkriege, die auf gegensätzlichen Auffassungen darüber beruhen, wie der Mensch auf der Erde leben soll.“ (Jerry Mander 2006: 4)
Menschenrechte im Patt
In diesem Konflikt werden Limitierungen der Menschenrechte deutlich, weil Diskurse um Wasser gegen das Menschenrecht auf indigene Lebensweise ausgespielt werden. Die Vereinten Nationen berichteten bereits im Jahr 2010 von einem problematischen Verhältnis zwischen den Landrechten indigener Gruppen und einem universellen Recht auf Wasser: „Die Wasserquellen indigener Völker könnten abgezweigt werden, um städtische Gebiete mit sicherem Trinkwasser zu versorgen. Um das Recht indigener Völker auf Wasser zu sichern, sind daher Maßnahmen erforderlich, die ihre Rechte auf ihr angestammtes Land, die gewohnheitsmäßigen Regelungen für die Wasserbewirtschaftung sowie den Schutz ihrer natürlichen Ressourcen gewährleisten.“
Die vorherrschenden expansiven, technologischen Lösungen stehen in einem deutlichen Konflikt mit Umweltgerechtigkeit und Menschenrechten. In den Menschenrechten auf Wasser ist verankert, dass die staatlichen Repräsentant*innen „sicherstellen, dass keine der im Einzugsgebiet lebenden Bevölkerungsgruppen durch grenzüberschreitende Politiken und Projekte benachteiligt werden.“ (Adele Kirschner 2020: 166)
Das NCWS-KDP ist jedoch ein weiteres Beispiel dafür, dass indigene Gruppen, die ihr Wasser mitunter direkt aus Flüssen oder Grundwasserquellen beziehen, oftmals in Planungsprozesse nicht entsprechend einbezogen werden. Die Dumagat-Remontado sind diesen Prozessen jedoch nicht schutzlos ausgeliefert. Sie zeigen eine bemerkenswerte Resilienz, da sie trotz der Bedrohung ihrer Lebensweise und Umwelt durch Staudammprojekte ihre kulturelle Identität bewahren.
Auf dem Weg zu nachhaltigen Lösungen?
Der gegenwärtige philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr. hatte das Projekt zwar vorübergehend gestoppt, die Arbeiten wurden mittlerweile allerdings wiederaufgenommen. Die Dumagat-Remontado haben mit ihrem Kampf ihre Lobby jedoch weiter ausgebaut, was sie für zukünftige Auseinandersetzungen stärken kann. Die Differenzen müssen nicht im Widerstand resultieren, sondern könnten kooperativ gestaltet werden, wie es bereits bei Waldbewirtschaftungsprojekten umgesetzt wird.
Die bestehenden Kompensationsmechanismen beim Wassermanagement zielen darauf ab, Entwicklungsprojekte ‚trotz‘ der Indigenen durchzusetzen. Sie reflektieren jedoch nicht deren grundsätzliche Ausrichtung. Um in Zeiten des Anthropozäns nachhaltige Lösungen zu entwickeln, sollten indigene Wissenssysteme und Lebensweisen ernst genommen werden. Die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen sollte vor Machtinteressen geschützt und als Stärke in die Planung und Umsetzung von Wasserprojekten einbezogen werden.
Dieser Text erscheint unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.