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Klima im Wandel, Gesellschaft in Bewegung – Zivilgesellschaftliche Klimabewegungen in Südostasien

Aktivist*innen demonstrieren vor der Zentrale der Bank of the Philippines in Manila gegen die Finanzierung neuer Kohlekraftwerke © Ac Dimatatac/350.org, Flickr CC BY-NC-SA 2.0

Die Länder Südostasiens spüren die Folgen des Klimawandels besonders stark. Entlang der Küstenlinien und im Landesinneren häufen sich Unwetterereignisse wie Überschwemmungen, Stürme und Taifune. Hinzu kommen die langsamen und langfristigen Folgen (Slow Onset Events) des Klimawandels. Diese bergen neue Risiken für Mensch, Tier und Umwelt, die mit einem Anstieg des Meeresspiegels, der Versauerung der Meere, dem Temperaturanstieg, dem Schwinden der Artenvielfalt und der Versalzung von Böden einhergehen. Häufiger auftretende Dürren vernichten Ernten und bedrohen die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen. Inseln versinken im Meer. Megacitys, wie Jakarta oder Ho Chi Minh City, liegen teilweise unter dem Meeresspiegel. Sie sind durch dessen Anstieg und durch Fluten, Starkregen und damit einhergehende Überschwemmungen bedroht.

Der anthropogene Klimawandel setzt Menschen und ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und einer guten Zukunft ‚in Bewegung’. Jedoch reichen nach Berechnungen des Climate Action Trackers die Klimaziele von beispielsweise Indonesien, Vietnam, Thailand und Singapur nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten, sondern steuern eher auf eine 4-Grad-Erderwärmung zu. Da die nationalen, regionalen und internationalen staatlichen Mechanismen nicht ausreichen, um Mensch und Umwelt vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, haben sich Bewegungen gebildet, die für Klimagerechtigkeit kämpfen. Diese Klimabewegungen fördern ein Partizipationsverständnis, das sowohl Individuen als auch lokale Bürgerinitiativen und Umweltverbände, NGOs, Kollektive, landwirtschaftliche Zusammenschlüsse, Gewerkschaften, Studierendenverbände, denen die Klimapolitik ihrer Regierung nicht weit genug geht, umfasst. Vor allem in autoritären Kontexten, verknüpft sich die Überlebens- und Klimafrage mit Fragen der politischen Partizipation, nicht zuletzt für sozio- ökonomisch marginalisierte Gruppen.

Unterschiedliche Kontexte haben facettenreiche Klimabewegungen hervorgebracht, die in verschiedenen Aktionsformen auftreten. Jugendorganisationen mit klaren Forderungen und lautstarken Protesten in den Philippinen treffen auf Think Tanks in Vietnam, die in der Politikberatung versuchen, Gesetzesvorhaben voranzubringen, die dem Klimaschutz dienen. Indigene in Indonesien, die sich die Füße einzementieren um gegen Landraub durch die die Zementindustrie zu kämpfen, treffen auf Zivilgesellschaftsvertreter*innen bei den Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen. Trotz aller Unterschiede gibt es verbindende Elemente: Allen ist klar, dass mit dem derzeitigen politischen Kurs keine Zukunft möglich ist. Alle treten für eine klimagerechte Welt ein, in der die Eindämmung der Klimakrise eng mit sozialen Fragen verknüpft ist.

In dieser Ausgabe möchten wir unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Klimabewegungen nachspüren. So berichtet Nithi Nesadurai vom Climate Action Network Southeast Asia über seine Teilnahme an 16 Klimaverhandlungen und wie sich die Partizipationsmöglichkeiten und -hindernisse für die Zivilgesellschaft über die Jahrzehnte verändert haben. Veronika Lex beschreibt wie sich eine lokale Umweltbewegung auf der indonesischen Inselgruppe Karimunjawa der Ausbreitung illegaler Garnelenfarmen entgegenstellt, die dort das Ökosystem bedrohen. Marina Wetzlmaier und Thomas Rammerstorfer blicken auf die Anti-Atomkraftbewegung in den Philippinen und Österreich. Sarah Rhodes spricht in ihrem Interview über ein plastikfreies Kambodscha und wie Politik und zivilgesellschaftliche Gruppen gemeinsam das Ziel verfolgen, den Plastikkonsum zu minimieren.

Dies ist nur der Auftakt unserer neuen Ausgabe mit Geschichten, Berichten von und Interviews mit Akteur*innen, die für Umwelt- und Klimagerechtigkeit kämpfen. In den kommenden Wochen und Monaten folgen hier auf der Seite nach und nach weitere Artikel zum Thema. Es lohnt sich also, immer mal wieder vorbeizuschauen…

Viel Freude und Inspiration mit Eurer neuen südostasien wünscht das Redaktionsteam!

Für die darauf folgende Ausgabe 3/2023 der südostasien zum Thema „Sport, Spiel und Freizeit in Südostasien“ suchen wir noch Autor*innen. Der Call for Papers folgt in Kürze

 

  • Artikel
Die Autorin

Nora Drohne studiert an der Humboldt Universität zu Berlin Afrika/Asienstudien mit dem Schwerpunkt Gesellschaft und Politik in Südostasien. Zuvor hat sie an der Universität Kassel ihr Bachelorstudium in Soziologie und Politikwissenschaften abgeschlossen.

  • Artikel
Die Autorin

Mirjam Overhoff ist Sozialwissenschaftlerin und Geschäftsführerin des philippinenbüro e.V. in Köln. Seit 2013 arbeitet sie intensiv zum Thema Migration und Diaspora rund um die Philippinen. Weitere Schwerpunktthemen ihrer Arbeit sind Politik, Stadtentwicklung, Klima und der Umgang mit Müll in den Philippinen.

  • Kunst und Empowerment in der Diaspora

    Philippinen/Österreich – Chelsea Amada, Gérard Rababa und Christel Joy Gaño, philippinisch-österreichische Künstler*innen reden im südostasien-Interview über Identität, Gemeinschaft und das zeitgenössische Kunst-Festival KUBŌ22.

  • Zwischen Kontroversen und Kulinarik

    Deutschland/Philippinen – Maite Hontiveros-Dittke erzählt von der gespaltenen Diaspora seit Rodrigo Duterte in den Philippinen an der Macht ist – aber auch von der verbindenden Kraft des Essens.

  • Leben im Junkshop – Alltag eines Müllsammlers in Quezon City

    Philippinen – Zwar erließ die Regierung vor fast 20 Jahren ein umfassendes Abfallwirtschaftsgesetz, doch die Umsetzung verläuft lokal sehr verschieden. Informelle Müllsammler*innen besorgen den Großteil der Müllentsorgung. Immerhin gibt es inzwischen in über 20 Städten Plastikverbote.

  • Break free from Plastic: International in Bewegung gegen Plastikverschmutzung

    Südostasien/Europa: Greenpeace Philippines und Greenpeace International sind Teil der ‚Break Free From Plastic’ Bewegung. Das Ziel ist, auf die weltweite Umweltverschmutzung durch Plastik aufmerksam zu machen. Im Interview berichtet Manfred Santen, Chemieexperte bei Greenpeace Deutschland, von ‚Plastikmonstern’ und deren Auswirkungen.

  • Artikel
Die Autorin

Kathrin Eitel ist Kulturanthropologin und hat zur lokalen Recyclingökonomie in Kambodscha promoviert, unter besonderer Berücksichtigung postkolonialer Arten des Politikmachens, alltäglicher Praktiken der Müllsammlerinnen und des Kampfes um die Gestaltung der Stadt. Weitere Forschungsschwerpunkte sind: Klimagerechtigkeit, städtische Bürgerschaften, Science and Technology Studies und queer-feministische Ansätze. Mehr Informationen über Kathrin Eitel gibt es hier: www.kathrineitel.com

  • Grenzen, Gegenräume und neue Realitäten

    Kambodscha – Eine neue Künstler*innengeneration gründet Kollektive und schafft Räume des Austausches und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Lina Sokchanlina und sein Kollektiv Stiev Selapak/Art Rebels gehören dazu.

  • Müllsammler*innen und ihr Umgang mit Plastik in den Straßen Phnom Penhs (Teil II)

    Kambodscha – Phnom Penh versinkt in Abfall, der nicht-organischer Natur ist und sich trotzdem wie selbstverständlich in das Bild der Stadt eingeprägt hat. Insbesondere Plastikmüll säumt die Straßen und Abwasserkanäle und wird dank der Müllsammler*innen im Zaum gehalten. Dabei ist es noch nicht lange her, dass Plastik als ‚Bote von Modernität und Wohlstand’ nach Kambodscha kam …

  • Müllsammler*innen und ihr Umgang mit Plastik in den Straßen Phnom Penhs (Teil I)

    Kambodscha – Phnom Penh versinkt in Abfall, der nicht-organischer Natur ist und sich trotzdem wie selbstverständlich in das Bild der Stadt eingeprägt hat. Insbesondere Plastikmüll säumt die Straßen und Abwasserkanäle und wird dank der Müllsammler*innen im Zaum gehalten. Dabei ist es noch nicht lange her, dass Plastik als ‚Bote von Modernität und Wohlstand’ nach Kambodscha kam …

  • Artikel
Die Autorin

Julia Behrens ist Post-Doc-Fellow an der Universität Bielefeld. Sie forscht zu Umwelt und Gesellschaft, zur Zeit vor allem zu Machtstrukturen in Vietnam.

  • Reaktionsfähigkeit ohne Rechenschaft

    Vietnam – Unser Interviewpartner Edmund Malesky hat Wahl-Gesetzgebung und Wahlverhalten der Menschen untersucht. Wähler*innen nehmen Einfluss auf nationale politische Debatten, so sein Fazit.

  • Südostasien spricht nicht mit einer Stimme

    Südostasien – Nithi Nesadurai, Direktor des Climate Action Network Southeast Asia, spricht im Interview über widerstreitende Interessen der südostasiatischen Verhandlungsführer bei internationalen Klimaverhandlungen – und über den schwindenden Spielraum für die Zivilgesellschaft.

  • Wissensfundus mit west-deutscher Brille

    Vietnam/Deutschland – „Geteiltes Land, geteiltes Leid“ von Andreas Margara ist ein gelungener Überblick über die Beziehungen Vietnams zu DDR und BRD seit 1945. Aktuelle Debatten fehlen dem Buch jedoch.

  • „Prinzip der Gleichheit und Gegenseitigkeit“

    Vietnam – Bis in die 80er Jahre war Vietnams Außenpolitik geprägt von der Blockbildung im Kalten Krieg. Im Interview erläutert der Südostasienwissenschaftler Pham Quang Minh die diplomatischen Strategien Vietnams

  • Theorie und Praxis der Klimagerechtigkeit

    Südostasien – Das „Routledge Handbook of Climate Justice“ ist eine reichhaltige Wissenssammlung. Es macht deutlich, dass Klimagerechtigkeit nicht an Landesgrenzen aufhören darf und auch nicht an gesellschaftlichen Grenzen. Um eine breite Leserschaft zu erreichen, ist das Buch aber leider zu teuer.

  • Artikel
Der Autor

Janis Wicke hat in Hamburg und Jena Soziologie und Wirtschaftswissenschaften studiert. Für seine Masterarbeit hat er in Indonesien die Interaktion lokaler Communities und NGOs im Kontext der Zertifizierung von „nachhaltigem“ Palmöl untersucht.

  • „Torfböden sind quasi reiner Treibstoff“

    Südostasien – Wenn Indonesiens Wälder großflächig brennen, wird die ganze Region mit einer Dunstglocke aus giftigem Qualm (Haze) überzogen. Helena Varkkey von der University of Malaya in Kuala Lumpur erforscht die Ursachen der Waldzerstörung und erklärt, warum der Schutz von Torfböden entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel ist.

  • „Die Konzerne müssen Einwegplastik reduzieren“

    Malaysia – Heng Kiah Chun hat für Greenpeace Malaysia die Untersuchungen zu den Auswirkungen der groß angelegten Plastikmüllimporte aus dem Globalen Norden geleitet. Im Interview spricht er über die Folgen für Mensch und Umwelt und den Widerstand von betroffenen Communities.

  • Artikel
Der Autor

Raphael Göpel ist Ethnologe und arbeitet in der Stiftung Asienhaus zu den Ländern Kambodscha, Indonesien und Thailand.

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Drohne, Overhoff, Eitel, Behrens, Wicke, Göpel

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