2 | 2023

Kendeng schützen heißt Klima schützen

Indonesien/Deutschland: Karstgebirge, wie das Kendeng-Gebirge auf der Insel Java, sind als natürliche CO2-Speicher wichtig für den Klimaschutz. Ihre Wasserläufe speisen fruchtbare Felder. Unternehmen wie die deutsche HeidelbergCement AG, wollen dort Kalkstein abbauen. Die Menschen vor Ort wehren sich.

Das Kendeng-Karstgebirge auf der indonesischen Insel Java ist ein natürlicher CO2 Speicher und beherbergt zahlreiche Wasserquellen. Die Region am Fuß der Berge wird wegen ihrer Fruchtbarkeit auch als "Reisschale Javas" bezeichnet. Überall, wie hier im Dorf Kedumulyo, sind äußerst produktive Reis-, Mais- und Gemüsefelder zu finden. © Leona Pröpper

Indocement, eine Tochterfirma der deutschen HeidelbergCement AG will dort Bergbau betreiben und eine Zementfabrik errichten, auf einer Fläche von 180 Hektar Land, das 580 Familien gehört. Diese Familien leben seit Generationen von der Landwirtschaft. Der Boden ist so fruchtbar, dass dreimal im Jahr Reis und Gemüse geerntet werden können. Angesichts der zunehmenden Knappheit von Nahrungsmitteln wäre es daher doppelt verheerend, dieses fruchtbare Land für die klimaschädliche Zementproduktion zu zerstören.
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Die Bäuerinnen vor Ort sind sich der Folgen sehr bewusst. Aus diesem Grund haben sie die Bürgerbewegung JM-PPK (Jaringan Masyarakat Peduli Pegunungan Kendeng = Netzwerk der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt) gegründet, die Aufklärungsarbeit leistet und das Land am Kendeng-Gebirge mit gewaltfreiem Protest und Ritualen wie dem Pflanzen von Bäumen schützt. Das Foto zeigt Dorfbewohner*innen des Landkreises Pati am Fuß des Kendeng-Karstgebirges die gegen den drohenden Landraub protestieren. Auf ihren Transparenten ist zu lesen: „Gegen Zementfabriken auf Java“ und „Vertreibt Indocement aus Pati“. Eine bedeutende Rolle in dieser Bürgerbewegung spielen die Frauen, die auch als "Kartinis von Kendeng" bezeichnet werden, in Anlehnung an die historische progressive Kartini. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Die "Kartinis von Kendeng" verwenden ein lesung, einen großen Holzmörser, der ursprünglich zum Dreschen von Reis verwendet wurde, um Musik zu machen. Das rhythmische Klopfen des lesung ist weithin hörbar. Heutzutage dient es auch als Warnsignal bei Katastrophen. Daher transportierten die Frauen vom Kendeng-Gebirge ein lesung bis in die Hauptstadt Jakarta, um bei einer ihrer gewaltfreien Protestaktionen vor der drohenden Katastrophe durch die Zementunternehmen zu warnen. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Kupatan ist eine alte Tradition, die in Zentraljava lebendig gehalten wird. Kupatan bedeutet so viel wie, um Vergebung bitten’ oder ’sich entschuldigen’. Üblicherweise findet dieses Vergebungsritual am Feiertag Idul Fitri zum Ende des Fastenmonats Ramadan statt. Die Bewohner*innen des Landkreises Rembang am Kendeng-Gebirge, deren Umwelt bereits stark durch ein Zementunternehmen zerstört wurde, verleihen dem Kupatan-Ritual als Kupatan Kendeng eine erweiterte Bedeutung, die den Schutz der Natur betont. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Während des Kupatan Kendeng-Rituals entschuldigen sich die Bewohner*innen von Rembang bei ihren Mitmenschen nicht nur für begangene Fehler, sie bitten auch um Vergebung für das Leid, das Menschen ihrer Umwelt zufügen. Zugleich bitten sie um mehr Kraft beim Schutz der Natur. Die Bäuer*innen stapeln gepressten Reis (Ketupat) zu kunstvollen Türmen auf, die das Kendeng-Gebirge symbolisieren. Die Ketupat werden in den Dörfern verteilt und dienen als Demonstration der fruchtbaren Region, die durch nachhaltige Landwirtschaft genügend Menschen mit Nahrung versorgt. © Ali Nopit/JM-PPK
Die “Kartinis von Kendeng“ führen das Ritual „Temon Banyu Beras“ (= Wasser und Reis finden) durch. Im Rahmen dieses Rituals besuchen sie die Wasserquellen im Kendeng-Gebirge, füllen Tongefäße mit Wasser und verwenden es, um den Reis zu bewässern. Dieser Reis wird später zu Klebreis verarbeitet. Die nächtliche Prozession, die das Wasser der Berge und den Reis der Felder zusammenbringt, symbolisiert die Dankbarkeit für die lebensspendende und lebenserhaltende Energie von Wasser und Nahrung. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
In der Regenzeit 2022/2023 war die Region Sukolilo am Fuß des Kendeng-Gebirges von den bisher schwersten Überschwemmungen betroffen. Seit November 2022 wurden in sieben Bezirken insgesamt 4559 Häuser und 3807 Hektar Reisfelder überflutet. Dadurch sind mindestens drei Ernten ausgefallen (Stand Juli 2023). Dennoch scheinen die Regierung und weite Teile der Bevölkerung noch immer nicht zu erkennen, dass sie das Gleichgewicht der Natur schützen müssen. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Auf dem Transparent der Bäuerin steht: „Überschwemmungen sind kein Schicksal“. Denn die Ursachen sind Menschen gemacht, durch Begradigung von Flüssen, Abholzung von Wäldern und Bergbau am Kendeng-Gebirge, um Kalkstein für die Zementproduktion zu gewinnen. Dadurch werden natürliche Wasserspeicher zerstört und Überschwemmungen nehmen zu. Nicht nur Häuser wurden überflutet, sondern das Wasser stand auch auf den Feldern so hoch, dass viele von ihnen bis heute (Stand Juli 2023) nicht bewirtschaftet werden können. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Ein Teil der Bürgerinitiative JM-PPK besteht aus der indigenen Gemeinschaft der Samin/Sedulur Sikep. Seit Generationen sind die Sedulur Sikep Bäuer*innen, die Reis und Gemüse pflanzen (Foto links). Ihre Kinder gehen nicht auf staatliche Schulen, sondern lernen zu Hause lesen und schreiben sowie Fertigkeiten, die sie als Bäuer*innen brauchen. Im Dokumentarfilm Samin vs Semen erklärt Gunarti, ein Mitglied der Sedulur Sikep, ihre Beweggründe wie folgt: „Wir streben nicht nach hohem Status oder Rang. Wichtig ist uns, dass sie [die Kinder, d.R.] aufrichtiges Sprechen und Handeln lernen. Landwirtschaft reicht uns zum Leben. Unsere Vorfahren sagen, Erziehung solle nicht schlau machen, sondern Verständnis vermitteln. Wer schlau ist, kann betrügen und hintergehen.“ © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Kinder und Jugendliche organisieren sich unter dem Namen Wiji Kendeng (= Kendengs Samen) und beteiligen sich aktiv am Schutz von Mutter Erde. Auf dem Foto ist zu sehen, wie sie Baumsetzlinge tragen, die an den Hängen und am Fuß des Kendeng Karstes gepflanzt werden. Jede Woche versammeln sich die Bäuer*innen mit ihren Kindern und Enkeln zum 'Mittwoch des Pflanzens'. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Ein Mitglied der Wiji Kendeng pflanzt einen Baum auf einem der Hügel des Kendeng Karsts. Doch damit ist die Aufgabe noch nicht abgeschlossen. Die jungen Menschen kümmern sich kontinuierlich um die jungen Bäume, bis sie groß und stark gewachsen sind. © Ali Nopit/JM-PPK
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Anlässlich des Tages des Nationalen Auferstehens am 20. Mai, der seine Wurzeln im Kampf gegen die koloniale Besatzung Indonesiens durch die Niederlande hat, versammelten sich Bäuer*innen, Kinder und Jugendliche aus vier Landkreisen (Pati, Rembang, Blora und Grobogan) im Dorf Larangan, dessen Existenz vom geplanten Zement-Fabrikbau bedroht ist. Gemeinsam begaben sie sich auf eine ‚Quellen-Suche’ im Kendeng-Gebirge. An diesem Tag wurden drei von Hunderten Wasserquellen des Gebirges zu Lernorten, an denen die jüngere Generation aus nächster Nähe betrachten und verstehen konnte, warum der Schutz dieser Wasserquellen so wichtig ist. Die älteren Bäuer*innen erzählten aus ihrer Kindheit und Jugend sowie Geschichten von den Quellen, den Flüssen und Feldern. Sie teilten Erinnerungen und Betrachtungen der Gegenwart, die deutlich machten, dass eine Zerstörung der Quellen zur Zerstörung allen Lebens in ihrer Umgebung führen würde. © Ali Nopit/JM-PPK und © Leona Pröpper
Indonesien, Kendeng, Kalkstein
Am Abend setzte sich das Geschichtenerzählen fort, begleitet von Märchen, Liedern über die Natur und einem javanischen Schattenspiel. Darin wurden die Zuschauer*innen erinnert, dass das ’für sein Land einstehen’, wie es oft in nationalistischen Parolen gefordert wird, untrennbar mit dem Schutz von Mutter Erde verbunden sein muss. Die Geschichten und Lieder erinnern uns daran, dass wir selbst in herausfordernden Zeiten nicht aufgeben dürfen, uns weder ablenken noch träge werden dürfen. Sie senden uns die Botschaft: „Lasst uns weiter tun, was wir können, indem wir uns liebevoll um Mutter Erde kümmern, indem wir fürsorglich sind und indem wir etwas pflanzen.“ Die Künstler*innen stellen den Kindern Musikinstrumente vor, damit sie die Energie spüren können, die von diesen Instrumenten erzeugt wird, und durch die Schwingungen eine Verbindung zur Natur erleben können. © Ali Nopit/JM-PPK

Übersetzung aus dem Indonesischen von: Anett Keller und Leona Pröpper

Zum Weiterlesen

Indonesien.Film.Doku.Doa Seorang Nelayan

T. Gref, K. Sommerfeld, V. Heim, R. Göpel

Bewegte Bilder zum Informieren und Engagieren

Urban.Poor.Consortium.Indonesien.Reisverteilung in Jakarta während der Corona-Pandemie.Titelbild1

Mokh Sobirin

Solidarität in Pandemie-Zeiten (Teil I)

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Der Autor

Ali (Nopit) Mutthohar ist aktiv im Netzwerk der Menschen, denen das Kendeng-Gebirge am Herzen liegt (JM-PPK) und dokumentiert regelmäßig die Aktivitäten und Aktionen des Netzwerkes.

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Die Autorin

Leona Pröpper ist Südostasienwissenschaftlerin und arbeitet als "Eine Welt-Promotorin für Menschenrechte in der entwicklungspolitischen Inlandsarbeit" bei Watch Indonesia! e.V. in Berlin.

  • Film, Indonesien, Mangrovenwald
    Einladung in den Frauenwald

    Indonesien – Der Dokumentarfilm „Tonotwiyat [Der Wald der Frauen]“ von Yulika Anastasia Indrawati erzählt die bewegende Geschichte von Frauen aus Westpapua.

A. (N.) Mutthohar, L. Pröpper

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