Indonesiens Hauptstadt Jakarta wächst rasant. Doch mangelhafte Infrastruktur, Umweltprobleme und die Folgen des Klimawandels bedrohen große Teile der Bevölkerung, allen voran die städtischen Armen.
Mehr als elf Millionen Menschen leben in der Megacity Jakarta. Zählt man die Satellitenstädte Bogor, Depok, Tangerang, Bekasi, Puncak und Cianjur hinzu, dann ist der Großraum Jakarta mit knapp 34 Millionen Einwohner*innen eines der größten urbanen Ballungszentren Asiens.
Die Regierung will ihren Sitz bis 2024 in die noch in Planung befindliche ‚grüne Smart-City‘ Nusantara im Ostteil von Kalimantan umziehen. Laut Präsident Joko Widodo soll auf diese Weise Jakarta „entlastet“ werden. Tatsächlich sind die Probleme der Hauptstadt immens. Eine mangelhafte Infrastruktur gepaart mit den immer deutlicher zutage tretenden Folgen der Klimakrise bedrohen schon heute große Teile der Bevölkerung.
Die Armutsquote in Jakarta lag 2023 laut offiziellen Zahlen der Statistikbehörde bei 4,61 Prozent. Laut Aktivist*innenkreisen leben in manchen Kampung (urbane/s Dorf/Siedlung) bis zu 60 Prozent der Bevölkerung in absoluter Armut. Die meisten von ihnen arbeiten im informellen Sektor – größtenteils auf Tagelohnbasis – und bilden das Rückgrat für das Funktionieren der urbanen Ökonomie.
Wenngleich das indonesische Entwicklungsparadigma theoretisch Wohlstand für alle vorsieht, ist die Kluft zwischen Arm und Reich groß. Der indonesische Gini-Koeffizient lag 2021 bei 0,37, es ist der gleiche Wert wie 2009 [Der Gini- Koeffizient misst die Ungleichheit einer Verteilung, 1 bedeutet maximale Ungleichheit, also einer hat alles, die anderen nichts; 0 bedeutet gleiche Verteilung, d.R.]. Dass die Einkommens- und Vermögensverteilung stagniert, zeigt, dass die Demokratisierung nicht für alle Teile der Bevölkerung gleichermaßen zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse beigetragen hat.
Den städtischen Armen fehlt es an Zugang zu Trinkwasser, Gas und Elektrizität. Ihre sanitären Einrichtungen, Abfallentsorgung und Gesundheitsversorgung sind unzureichend. Ihre demokratische Teilhabe ist durch eingeschränkten Zugang zu Bildung und kulturellen Angeboten begrenzt. Immerwährende Überlebenskämpfe lassen kaum Kraft übrig, um ein selbst bestimmtes Leben zu gestalten.
Viele städtische Arme wohnen an den Ufern von Binnengewässern. Ihren aus Wellblech und gesammelten Materialien errichteten Behausungen fehlt häufig ein offizieller Status. Dies macht es den Bewohner*innen schwer, sich gegen Räumungen durch Großinvestoren und/oder die Behörden zu wehren.
Zwangsräumungen ziehen oft zusätzliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Marginalisierung nach sich. Sie bedeuten häufig den Verlust des Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, sowie die Verdrängung aus dem sozialen und kulturellen Umfeld. Von der Regierung erbaute Sozialwohnungen, zumeist als „Nachfolge-Haus/-Wohnung“ (rumah susun) deklariert, sind wegen der hohen Mieten oft keine Alternative.
Die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels sind in kaum einer anderen Stadt so präsent wie in Jakarta. Die Megacity ist bekannt für ihre Luftverpestung, hauptsächlich verursacht durch den motorisierten Individualverkehr. Der öffentliche Personennahverkehr ist dem Bedarf der Stadtbevölkerung kaum gewachsen. Eine neu eröffnete U-Bahnlinie und eine Metro-Verbindung zum Flughafen tragen nur wenig zur Entlastung bei.
Die Verkehrsplanung orientiert sich seit jeher nicht an allen Teilen der Bevölkerung. Weder dürfen städtische Arme mit ihren Kleinmotorrädern über die Schnellstraßen fahren, noch können sie sich ein Ticket der neuen U-Bahn leisten. Verkehrspolitik ist in Jakarta auch Marginalisierungspolitik.
Auch die Nichtexistenz einer städtischen Abfallwirtschaft und die mangelhafte Abwasserwirtschaft, machen den Stadtbewohner*innen das Leben schwer. Oft durchweht ein beißender Gestank von ungeklärtem Abwasser und verrottendem Abfall ganze Straßenzüge. Das Wasser ist verschmutzt und eignet sich nicht zur Zubereitung von Essen – was städtische Arme jedoch gezwungenermaßen gar nicht anders handhaben können.
Rund 9.000 Müllsammler*innen entsorgen einen Teil der Abfälle, welche mit Lkw aus der Stadt transportiert werden. Bislang wird nur ein kleiner Teil des Abfalls recycelt, oft durch NGOs oder Kleinunternehmen. Ein großes Problem ist auch die Verschmutzung von Binnengewässern und des Flusses Ciliwung. Der Abfall in diesen Gewässern fließt oft kilometerweit aus Westjava nach Jakarta, denn in den Satellitenstädten ist die Abfallwirtschaft ähnlich schlecht organisiert.
Jakarta sinkt bis zu 25 Zentimeter pro Jahr ab. Durch die (teils illegale) Grundwasserentnahme durch Großkonzerne, Luxus-Malls, Hotels, Büro- und Apartment-Türme senkt sich der Grundwasserspiegel der Stadt dramatisch ab. In Folge dessen sackt der Boden, der aus sandigem Sediment besteht, nach.
Der Abfluss von Regenwasser, das sich früher von den Bergen Westjavas durch das Bassin der Stadt Jakarta seinen Weg hin zur Javasee gebahnt hat, ist durch die Flächenversiegelung gestört. Es ist nun so, dass der Normal-Null-Spiegel der Javasee oberhalb von fast ganz Nord- und West-Jakartas liegt und nur durch eine durchlässige Mauer aufgehalten wird.
Überflutungen, die bis vor wenigen Jahren nur alle zwei bis drei Jahre zu extremen Regenzeiten auftraten, treten nun mehrmals im Jahr auf. Das noch aus der niederländischen Kolonialzeit stammende Schleusensystem ist den steigenden Wassermassen kaum gewachsen. Missmanagement und veraltete Technik verschlimmern die Situation massiv.
Im Frühjahr 2020 haben die Überflutungen fast 70 Todesopfer gefordert, Hunderttausende – zumeist städtische Arme – mussten ihre Häuser evakuieren. Sie werden öffentlich oft als die Verursacher*innen der Überflutungen beschuldigt. Abfälle und dadurch bedingte Wassertaus in Kanälen und Flüssen werden regelmäßig ihnen zur Last gelegt. Dass die unzureichende Abfall- und Abwasserwirtschaft für die Überflutungen mitverantwortlich ist, wird häufig verschwiegen.
Auch wenn es die neue, am Reißbrett geplante Hauptstadt in Kalimantan geben wird: die Notwendigkeit einer klimagerechten urbanen Transformation Jakartas ist damit nicht vom Tisch. Die städtischen Armen müssen bei dieser Transformation auf demokratische Weise einbezogen werden und bei der Gestaltung der Küste und der Gebiete an den Flussarmen mitbestimmen können. Denn schließlich sind es ihre Wohn-, Arbeits- und Fischereigebiete, die durch Großprojekte betroffen sind. Hunderttausende Existenzen stehen auf dem Spiel.
Pläne, die Javasee durch eine Giant Sea Wall von der Stadt zu trennen und ein gigantisches Binnengewässer an der Nordküste der Stadt zu schaffen, verlaufen zu langsam, sind intransparent und von Baustopps geplagt. Die Finanzierung bildet nicht die eigentlichen Kosten ab, lokale Fischer müssen um ihre Existenz bangen und möchten berechtigterweise weiterhin Zugang zur Javasee haben. Zudem droht das neu kreierte Binnengewässer eine riesige giftige Kloake zu werden, wenn die Abwasserklärung nicht ebenfalls neu mitkonzipiert wird.
Eine Barriere zur Javasee zu errichten ist unumgänglich, um die Stadtteile Nordjakartas zu retten. Jedoch sollte der Plan einen Wasseraustausch beziehungsweise-abfluss, die Wasserklärung sowie die Einbindung der lokalen Fischer beinhalten, anstatt weitere Venture Capital-Investitionsmöglichkeiten in Real Estate, Büro- und Apartmenttürme und Luxusmalls zu schaffen.
Zwar wurden seit dem Abdanken des Suharto-Regimes 1998 demokratische Wahlen gewährleistet. Jedoch gab es seit dem Verbot der Kommunistischen Partei Indonesiens (Partai Komunis Indonesia; PKI) und dem Massenmord an Parteimitgliedern und Angehörigen affiliierter Organisationen durch das Suharto-Regime in den 60er Jahren keine politische Kraft, die die Interessen der städtischen Armen ausreichend vertrat.
Was die Bewältigung der Klima- und Umweltkrise betrifft, gibt es kaum Gruppen, die effektiv Politik gestalten können. Umweltpolitische Themen werden regelmäßig dem Primat einer wirtschaftlichen Entwicklung untergeordnet. Immerhin gab es 2021 eine erfolgreiche Umweltklage gegen zu hohe Luftverschmutzung in Jakarta. Ein im Dezember 2022 neu verabschiedetes Strafgesetzbuch, droht jedoch Mitbestimmungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft weiter zu beschneiden.
Urban Poor-Aktivist*innen haben sich außerparlamentarisch in Netzwerken und sozialen Bewegungen (zum Beispiel Jaringan Rakyat Miskin Kota, Ciliwung Merdeka) organisiert und setzen sich auf Kampung-Ebene für die Interessen der Bevölkerung ein. In Einzelfällen gelang es Communities auch, Erfolge vor Gericht zu erkämpfen. Die Organisation Ciliwung Merdeka, setzte sich für ein ‚kampung susun‚ (im Gegensatz zu ‚rumah susun‘), also ein ‚Nachfolge-Kampung‘ ein. Sowohl Gemeinschaftsorte als auch Platz für ökonomische Aktivitäten sollen dabei entstehen. Allerdings sind solche Beispiele einer erfolgreichen Einmischung von Unten eher die Ausnahme.
2024 stehen Parlamentswahlen an. Neu ist, dass die im Oktober 2021 gegründete Partai Buruh (Arbeiterpartei) Mitglieder aus sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, aber auch Urban-Poor-Aktivist*innen-Organisationen vereint und sich für einen Sozialstaat einsetzen möchte. Mehr als 50 Gewerkschaften sowie soziale Bewegungen bilden eine neue politische Kraft.
Die Partei befindet sich noch im Aufbau und muss noch einige Bedingungen erfüllen, um für die bevorstehenden Wahlen 2024 zugelassen zu werden. Zudem gilt für den Einzug ins Parlament eine 4 Prozent-Hürde. Obwohl mehr als 150 Millionen Indonesier*innen zur Arbeiter*innenschaft zählen, ist die Arbeiter*innenbewegung seit der Neuen Ordnung der Suharto-Ära mit einem Stigma behaftet und wird schnell in die Nähe des Kommunismus gerückt. Zudem bleibt abzuwarten, ob sich Umweltgruppen zur Partei bekennen und ihre Kampagnen unterstützen werden.
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