Deutschland/Philippinen: Maite Hontiveros-Dittke erzählt von der gespaltenen Diaspora seit Rodrigo Duterte in den Philippinen an der Macht ist – aber auch von der verbindenden Kraft des Essens.
Maite Hontiveros-Dittke, geboren 1963, ist in Metro Manila zusammen mit acht Geschwistern aufgewachsen. Ihre Eltern stammen aus den Visayas, ihre Mutter aus Iloilo und ihr Vater aus Capiz (Negros). Die studierte Ernährungswissenschaftlerin kam erstmals nach ihrem Studium 1986 für ein Praktikum Düsseldorfer Rheinterrassen nach Deutschland. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Ratingen und arbeitet u.a. als selbstständige Köchin und Eventgastronomin (Maite’s Asiancuisine). Seit Neuestem bietet sie im Raum Düsseldorf einen wöchentlichen Lieferservice für asiatische Küche an.
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In der Übergangszeit 1986, nach dem friedlichen Sturz des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos durch die Peoples Power Revolution, nutzten viele Filipin@s ihre neue Freiheit, um das Ausland zu erkunden. Diese Umbruchsphase war besonders für die damalige jüngere philippinische Generation wegweisend. Die politische Zukunft der Philippinen war ungewiss und vielen fehlte die Perspektive auf dem heimischen Arbeitsmarkt.
So ging es auch der studierten Ernährungswissenschaftlerin Maite Hontiveros-Dittke, die in jener Zeit den deutschen Familienfreund und Honorarkonsul aus Düsseldorf Karl-Heinz Stockheim fragte, ob sie bei ihm arbeiten könne. So kam sie mit einem dreijährigen Praktikumsvisum zu Stockheims Unternehmen. Maite arbeitete in jeder Abteilung und sammelte viele Erfahrungen. Sie lernte fleißig in Abendkursen Deutsch. Ihr Arbeitgeber erwartete, dass sie sich integriere und nicht ‚nur’ mit philippinischen Freund*innen der Diaspora Zeit verbringe. Maite lernte 1988 ihren Freund kennen und flog nach dem Ende des Praktikums 1989 zurück in die Philippinen.
Zurück in Manila und mit gesammelter Arbeitserfahrung standen ihr alle beruflichen Türen offen. Doch der Auslandsaufenthalt hatte Maite verändert. Sie genoss die Rückkehr in ihre Heimat, aber ihre eigene Kultur war ihr fremd, wirkte bigott auf sie. Sie hatte Schwierigkeiten, wieder Fuß zu fassen. Nach kurzer Fernbeziehung beschlossen ihr Freund und sie, zu heiraten. 1990 kam Maite zurück nach Deutschland – und musste sich erneut anpassen. Immer wieder arbeitete Maite neben ihrem eigentlichen Beruf als Urlaubsvertretung im philippinischen Konsulat. Dabei lernte sie die philippinische Diaspora kennen und wurde selbst ein Teil davon.
Wie würdest du philippinische Diasporagemeinschaften in Deutschland beschreiben?
Die philippinische Diaspora ist sehr regional organisiert, nach Inseln (Regionen) und Sprachgruppen, wobei die einzelnen Dialekte der philippinischen Sprache sehr verschieden und vielfältig sind. Auch gibt es Unterschiede anhand der verschiedenen Regionen in Deutschland, beispielsweise die Diaspora aus Hamburg, Köln oder München. Aber auch innerhalb der deutschen Regionen teilen sich die Filipin@s oft nach Heimatregionen auf. Die Sprache Tagalog fungiert als Bindeglied innerhalb der Diaspora, mein Tagalog hat sich in Deutschland deutlich verbessert, da wir Zuhause nur Ilonggo und Englisch sprachen.
Der Grund der Migration und der soziale Hintergrund der*des Filipin@*s spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der Diaspora. Die ersten Pflegekräfte kamen in den 1970er Jahren, wobei auch andere Berufsgruppen nach Deutschland migrierten. Mail-order Brides aus einfachen Verhältnissen kamen ebenfalls nach Deutschland. Zur späteren Familienzusammenführung wurden Verwandte zum Arbeiten oder zum Heiraten nach Deutschland geholt. Seit 2012 kommen die EU Bluecard Holders mit einem Arbeitsvisum für den Schengenraum, die für große Unternehmen arbeiten. Diese Filipin@s wohnen entsprechend an ihrem Arbeitsort und nicht dort, wo philippinische Verwandte oder Freunde wohnen.
Wie hat sich die philippinische Diaspora über die Jahre verändert?
In der Zeit von Cory Aquino bis Rodrigo Duterte hat sich die Diaspora massiv verändert. Lange hielten alle Filipin@s in der Diaspora zusammen. Seit dem Amtsantritt von Präsident Duterte im Juni 2016 ist die philippinische Diaspora politisch gespalten in Duterte Anhänger*innen und Ablehner*innen. Diese Spaltung vollzog sich über Nacht und ohne Übergang; in den Philippinen selbst, aber auch in der weltweiten philippinischen Diaspora.
Einen Lichtblick in Deutschland setzten die letzten beiden philippinischen Botschafterinnen mit ihrer inklusiven Diasporaarbeit. Mit Hilfe von Kultur versuchen sie, die Diaspora über die politischen Gräben hinweg zusammenzuhalten. Bei den philippinischen Botschaften in Deutschland und den Niederlanden und dem Konsulat in Frankfurt unterstütze ich die philippinische Diaspora, indem ich mich bei Projekten inhaltlich oder durch Kochen einbringe.
Du lebst seit etwa 35 Jahren in Deutschland. Wie hat sich dein Engagement in der Diaspora verändert?
Ich bin Individualistin, gehörte nie fest zu einer Diasporaorganisation und habe versucht, unabhängig zu bleiben. Viele Diasporaorganisationen haben sich in Diehard Duterte Supporter (DDS)-Gruppen verwandelt, davon grenze ich mich ab.
Seither engagiere ich mich persönlich mit eigenen Projekten und sammle für die philippinische Stiftung NVC (Negrense Volunteers for Change) Spenden. NVC hat mit innovativen Ernährungsprogrammen für Kleinkinder in Negros begonnen, Unterernährung zu bekämpfen. Ich verkaufe Brötchen oder Polvorón (philippinische Süßigkeit) auf Spendenbasis und möchte gleichzeitig ein Bewusstsein bei meinen Kund*innen für die Programme von NVC schaffen. Mittlerweile ist NVC in den ganzen Philippinen aktiv und hilft dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird: Beispielsweise bei dem Ausbruch des Taal Vulkans im Januar 2020 oder jetzt, während der Coronapandemie.
Spielt Rassismus eine Rolle im Alltag der philippinischen Diaspora in Deutschland? Welche Erfahrungen haben du oder dein Umfeld gemacht?
In der Diaspora habe ich keine direkten rassistischen Vorfälle mitbekommen. Rassismus innerhalb deutsch-philippinischer Ehen kommt vor, wenn ältere deutsche Männer sehr junge Filipinas heiraten – oft werden diese Frauen als Putzhilfen und Sexobjekte missbraucht. Wenn die Filipinas Kinder bekommen und diese aufwachsen, ist es für die Kinder oft schwierig, ihre eigene Identität zu finden. Manche schämen sich für ihre Eltern.
Die Anzahl an Heiratsmigrationen ist nicht mehr so gravierend, wie in den letzten Jahrzehnten. Stattdessen kommen mehr Filipin@s mit der BlueCard nach Deutschland, was natürlich einen Braindrain für die Philippinen zur Folge hat.
Wie hast du dich selbst seit dem Bruch in der Diaspora verändert?
Persönlich bin ich enttäuscht von der philippinischen Diaspora, dass Politik sich so auswirken kann. Angesichts der steigenden Mordzahlen in Präsident Dutertes so genanntem Drogenkrieg schrieb ich Papst Franziskus einen Brief und fragte ihn, wieso er in einem sehr katholischen Land, wie den Philippinen, ein derartiges Morden stillschweigend zulasse? Die Antwort war ein Standardbrief von einem Sekretär aus Deutschland. Bei einem Event mit dem ehemaligen philippinischen Erzbischof Luis Tagle in Berlin wurde er nach seiner Meinung zum ‚Drogenkrieg’ gefragt und er antwortete, dass er so viel reise und deshalb nicht Stellung dazu nehmen könne.
Ich war sehr enttäuscht von dieser Haltung, zumal er in seiner Position nicht stillschweigend diese Situation hinnehmen darf. Ich bin enttäuscht von der katholischen Kirche in den Philippinen und weltweit, es gibt nur wenige, die Dutertes Machenschaften offen kritisieren. Diese Bigotterie in den Philippinen macht mich sehr traurig, ich wünsche mir mehr Aufklärung und Hinterfragung der Religion.
Wie würdest du dein Verhältnis zu Bekannten, Freund*innen und Verwandten in den Philippinen beschreiben? Hat es Veränderungen oder Entwicklungen in diesen Verhältnissen gegeben?
Zu meiner Familie und meinen Freund*innen in den Philippinen habe ich ein enges Verhältnis. Neu in Deutschland, musste meine Familie mir gegenüber toleranter werden, da ich mich sehr verändert habe. Sieben meiner Geschwister leben/lebten (ein verstorbener Bruder) in Manila, ein Bruder lebt mit seiner Familie in den USA. Durch die sozialen Medien sind die Beziehungen enger geworden, spätestens seit dem Lockdown hat das virtuelle Kontakthalten mehr Bedeutung bekommen. Mit den Jahren und dem zunehmenden Alter wurden die Verbindungen tiefer und verständnisvoller.
Regulär versuche ich jedes Jahr für zwei bis vier Wochen in die Philippinen zu reisen. In den frühen Jahren ist meine Familie immer mitgekommen, aber mit der Schulpflicht konnten sie nicht mehr im Februar mitfliegen. Meine beiden Kinder sind nach dem Abitur für mehrere Monate in die Philippinen gereist, um Praktika zu machen, sie haben Erfahrungen gesammelt aber auch meine Kultur besser kennen gelernt. Diese Zeit war für beide sehr wichtig. Sie stammen aus einer multikulturellen Familie und hatten erstmals die Möglichkeit, ihre Wurzeln und Identität zu verstehen.
Welche Rolle spielt philippinisches Essen für die Diaspora und für dich?
Die Größte!!! Ein Treffen von Filipin@s ohne Essen ist undenkbar. Das gemeinsame Essen verbindet und bringt ein Heimatgefühl in die Diaspora. Bei Treffen bringt jede*r etwas zu Essen mit und trägt somit zum großen Buffett bei. Auch wenn es nur ein Keks ist, es ist wichtig, dass alle etwas mitbringen.
Essen war schon immer etwas Besonderes für mich. Ich bin mit acht Geschwistern mitten in Manila aufgewachsen, bei uns war immer Besuch und so gab es immer etwas zu essen, von morgens bis spät in die Nacht. Meine Mutter hat ständig Essen koordiniert, delegiert und gekocht. Essen hat und hatte in unserer Familie einen hohen Stellenwert. Meine Mutter hat mir das Backen beigebracht, deshalb war ich für die Backwaren zuständig.
Seit 30 Jahren arbeite ich nun als Köchin. Als ich nach Deutschland kam, habe ich selten philippinisch in meinem Beruf gekocht. Die Inhaberin von Mama Sita’s [philippinisches Lebensmittel-Unternehmen, das vor allem Würzpasten und Wok-Saucen herstellt, d.R.] lernte ich über das Konsulat kennen. Sie hat mich ermuntert, ihre philippinischen Produkte zu vermarkten und professionell philippinisch zu kochen. So bin ich 2013 in das asiatische Lebensmittelgeschäft eingestiegen und habe bis zuletzt viel für asiatische Lebensmittelhersteller*innen gearbeitet.
Wie hat sich dein Leben durch die Corona-Pandemie verändert?
Seit der Pandemie sind alle Projekte ausgefallen, Veranstaltungen, Messen, usw. Deshalb habe ich mir ab März 2020 eine persönliche Auszeit genommen und mich um meine Familie gekümmert. Doch irgendwann habe ich realisiert, dass ich meine Projekte nicht fortführen konnte und mir die Arbeit fehlte. Mit Onlinekochkursen und dem Kochen für Privatpersonen bin ich wieder eingestiegen, doch beides war sehr aufwendig, außerdem fehlte mir die Regelmäßigkeit der Arbeit.
Ein ehemaliger Projektpartner bot mir an, eine seiner Küchen zu nutzen, die Lockdown- bedingt geschlossen war. So ist mein Lieferservice im Raum Düsseldorf entstanden. Seit langem möchte ich die philippinische Küche bekannter machen, deshalb biete ich nun wöchentlich jeden Donnerstagabend ein philippinisches und ein asiatisches Menü an.
Wer zählt zu deinen Kund*innen beim Lieferservice Maite‘s Asiancuisine?
Ich bin sehr überrascht, wie schnell mein Lieferservice gewachsen ist. Vor Weihnachten habe ich wöchentlich rund 50 Essen ausgeliefert. Meine Kund*innen sind International, viele englischsprachige und philippinische Kund*innen, von denen viele regelmäßig bestellen. Die Filipin@s unterstützen meine Projekte besonders, beispielsweise die Polvorón-Christmas-Boxen [Polvorón = philippinische Süßigkeit]. Mit Beginn des Lieferservice habe ich mir überlegt, pro verkauftem Gericht 0,50€ an NVC (Negrense Volunteers for Change, siehe Teil I des Interviews) zu spenden. Ich freue mich über den Erfolg und darüber, dass ich NVC unterstützen kann. Der Lieferservice läuft gut und macht unheimlich viel Spaß – ist aber bisher eine Zwischenlösung.
Welche Zukunftsperspektive wünschst du dir für die philippinische Diaspora, für dich und deine Familie?
Der Diaspora wünsche ich mehr Zusammenhalt und Zwischenmenschlichkeit in jeder Hinsicht, ohne regionale und politische Vereinzelung und Hass gegeneinander. Der zweiten bis vierten Generation der philippinischen Diaspora wünsche ich, dass sie multikulturell und ohne Feindseligkeiten gegeneinander aufwachsen und leben.
Meiner Familie soll es weiterhin gut gehen und auch unser Zusammenhalt soll weiter bestehen. Nach der Pandemie hoffe ich, dass ich all meine Projekte wieder aufnehmen kann sowie dass die Zusammenarbeit mit der Botschaft und mit philippinischen Kulturinstitutionen wieder anläuft. Gern möchte ich wieder Veranstaltungen bekochen und den Lieferservice weiter betreiben – wer weiß, was sich daraus noch einmal ergibt. Ich finde immer neue Ideen und Energien dafür. Die Pandemie hat für mich in punkto Erholung und Reflexion viele positive Aspekte mit sich gebracht.
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