Interviews

„Neues Malaysia“? – „So viel hat sich noch nicht geändert“

„Malaysia Baru“ (das „Neue Malaysia“): Termiten nagen am Bau des „Neuen Malaysia“. Sie repräsentieren malaysische Bürger*innen, die Religions- und ethnische Politik befürworten, die weiterhin nicht-malaiische Gruppen benachteiligt © Zunar

Malaysia: Der politische Cartoonist Zunar hat in den letzten Jahren massive Kritik an der malaysischen Regierung geübt. Nach schweren Repressalien wurde er – politisch motiviert – wegen Aufwiegelung angeklagt, das Verfahren aber nach dem Regierungswechsel eingestellt. Über seine Situation im „Neuen Malaysia“ spricht er im Interview.

2015 wurde Zunar angeklagt, die malaysische Regierung und Justiz beleidigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft berief sich dabei auf den noch aus der britischen Kolonialzeit stammenden Sedition Act (Gesetz gegen staatsgefährdende Aktivitäten). Das von Menschenrechtsorganisationen seit Langem kritisierte Gesetz wurde von der Regierung des Ex-Premiers Najib Razak (2009- 2018) vermehrt genutzt, um Kritiker*innen zu verfolgen. Zunar sollte in dem angestrebten Prozess für neun kritische Twitter-Posts mit 43 Jahren Haft bestraft werden. Im Juli 2018 wurde die Anklage fallen gelassen.

Der malaysische politische Cartoonist Zulkilee Sm Anwar Ulhaque, genannt Zunar, zeichnet Cartoons über politische Missstände wie Korruption und setzt sich für freie Meinungsäußerung ein. Bis 2018 war er unter der vorherigen Regierung Malaysias mit massiven Repressionen konfrontiert. Einige seiner Bücher standen auf dem malaysischen Index. © Genia Findeisen

Die Südostasien Informationsstelle im Asienhaus präsentierte 2016 eine Ausstellung mit seinen Cartoons. Zunars Situation, sein Kampf für freie Meinungsäußerung und seine Cartoons wurden wiederholt in der südostasien aufgegriffen.

Seit Mai 2018 gibt es eine neue Regierung in Malaysia. Was bedeutete der Regierungswechsel für dich?

Ja, endlich. Es ist das erste Mal seit 1957, dass wir eine neue Regierung haben. Unter der letzten Regierung wurde ich unter dem Sedition Act angeklagt, viele meiner Bücher wurden verboten, ich bekam Ausreiseverbot. Daneben wurde ich mit allen möglichen Arten von Belästigungen konfrontiert. Zum Glück wurde kurz nach dem Regierungswechsel die Anklage gegen mich fallengelassen und das Reiseverbot aufgehoben. In den Läden kann man jetzt wieder meine Bücher kaufen.

Wie geht es dir mit deiner neuen Freiheit?

Für mich war das eine große Erleichterung. Ich habe nun ein viel besseres Leben. Ich kann wirklich zeichnen, was ich will, ohne mich um Einschüchterungen zu sorgen. Wenn ich Ausstellungen mache, muss ich mir keine Sorgen machen, dass Störungen auftreten oder ich von der Polizei verhaftet werde. Ich habe mehr persönliche Freiheiten. Das hat sich für mich verbessert.

Du warst öfters in Untersuchungshaft. Wie hast du das erlebt?

Ich wurde fünfmal unter Bezugnahme auf sechs verschiedene Gesetze verhaftet, war aber tatsächlich nie im Gefängnis. Die Unterbringungen dauerten unterschiedlich lange, von einem Tag bis zu einer Woche. Ich war dort zusammen mit anderen Angeklagten. Es gibt eine offene Toilette für alle und man hat den ganzen Tag nichts zu tun. Man kann nur kurz duschen und schläft auf dem Zementboden. Moskitos sind überall, Mahlzeiten gibt es nur zu bestimmen Uhrzeiten, die letzte um 6 Uhr abends. Wenn ich mehrere Tage eingesperrt war, habe ich immer ein paar Kilo abgenommen. Ich nenne es die Lock-Up-Diät, kein Essen nach 6 (lacht). Vielleicht wenigstens ein positiver Aspekt des Ganzen.

Dann gab es Vernehmungen. Sie stellen Fragen und Fragen. Bei der intelligence interrogation fragen sie dich alles über dein Leben, deine Familie, wo du zur Schule gegangen bist, wirklich alles. Und das kommt dann ins System. Dein Anwalt ist bei den Vernehmungen nicht dabei.

Deine Arbeit konzentrierte sich in den letzten Jahren stark auf die Regierung, Korruption, den 1MDB (Korruptionsskandal um einen malaysischen Staatsfond, siehe auch Artikel von Boon Kia Meng in dieser Ausgabe) und Ex-Premier Najib. Was hat sich dem Regierungswechsel für deine Arbeit verändert? Hast du einen anderen Fokus?

Meine Zeichnungen haben sich ein wenig verändert, aber meine Ziele sind noch nicht erreicht. Manche meinen, mit dem Wechsel ist es getan. Aber das ist natürlich falsch. Ich als politischer Cartoonist mache weiter und kritisiere auch die neue Regierung. Sie haben viele Versprechungen gemacht, aber nur wenig getan.

„Manche meinen, mit dem Wechsel ist es getan. Aber das ist natürlich falsch. Ich als politischer Cartoonist mache weiter und kritisiere auch die neue Regierung. Sie haben viele Versprechungen gemacht, aber nur wenig getan.“

Hat sich auch der Stil deiner Cartoons mit dem Regierungswechsel verändert?

Der Stil ist ein wenig anders, es ist eine andere Art des Zeichnens. Najib ist kein Premier mehr. Meine befreundeten Kolleg*innen in den USA sind in gewisser Weise glücklich über Trump. Für einen Cartoonisten ist Trump mit seinem Auftreten natürlich eine Steilvorlage. Wenn er nicht mehr Präsident ist, werden sie diese Lücke füllen müssen. So ist das bei mir gerade.

Was hat sich noch geändert?

Ich habe mal gesagt, Cartoons sind für mich wie eine Waffe, um ein Land zu befreien. Aber jetzt geht es darum, das Land wieder aufzubauen.

Wie siehst du die neue Regierung?

Ich übe mit meinen Zeichnungen weiter Kritik und beobachte genau was passiert. Nur weil die Regierung gewechselt hat, höre ich nicht auf. Ich finde, dass die alte Regierung sehr viel Macht hatte. Man sollte nicht die gleichen Fehler machen und der neuen Regierung genauso viel Macht geben.

„Apa sudah jadi Tun?“: Auf dem Bild biegt Premier Mahathir „Tun“ nach rechts ab, und verfolgt weiter die ethnische Politik („Rassenpolitik“), die Malaiien bevorzugt. Das Fahrzeug der Regierungskoalition Pakat Harapan wollte ursprünglich dagegen zu einer multiethnischen Politik aufbrechen. © Zunar

Du hast dich in der Vergangenheit für Anwar Ibrahim eingesetzt, seine Verhaftung kritisiert, was mit zu der Anklage gegen dich geführt hat. Anwar soll bald Mahathir Mohamad als Premier ablösen. Wie wirst du damit umgehen, wenn er Premier wird?

Das spielt keine Rolle. Ich werde seine Handlungen und seine Politik genauso kritisch begutachten wie die der anderen. Wenn er gut regiert, begrüße ich das. Aber meine Aufgabe ist es, die Politiker*innen an ihren Auftrag und ihre Verantwortung zu erinnern, die sie gegenüber den Malaysier*innen haben.

Was müsste in dieser Hinsicht in Malaysia getan werden?

Neben der Bekämpfung der Korruption, muss das Land dezentraler werden. Ein Kernproblem der Vergangenheit ist, dass die Macht auf wenige konzentriert wurde. Im „Neuen Malaysia“ sollte durch Dezentralisierung politische Macht mehr verteilt werden und dafür kämpfe ich.

Neben den Problemen in der Politik gibt es nicht-politische Probleme, die angegangen werden müssen. Ich möchte dabei helfen unsere Nation wiederaufzubauen, Korruption zu bekämpfen. Es geht dabei nicht nur um Politiker*innen, sondern auch um die Leute. Wir starten bei null.

Wie ist dein Eindruck nach etwa einem Jahr Amtszeit der neuen Regierung? Gab es aus deiner Sicht Fortschritte?

„Garis Kemiskinan“ (Armutsgrenzen): Die herrschenden Politiker*innen speisen vom Reichtum des Landes, das „niedere Volk“ trägt den Teller (und den Reichtum). © Zunar

Ich möchte mich da nur zu einem Thema äußern: Meinungsfreiheit. Die Leute sagen, es gibt einen Wandel, Malaysia hat sich in weltweiten Rankings verbessert. Aber ich sehe bisher nur wenig Veränderungen. Ich will einen politischen Willen von der Regierung sehen. Und woran sehe ich das? Man redet von Freiheit. Das Gesetz, der Sedition Act, ist aber immer noch da.

Du hattest (ohne Erfolg) gegen den Sedition Act geklagt, da er u.a. gegen den Artikel der Meinungsfreiheit verstieße. Die neue Regierung versprach ihn abzuschaffen.

Hat sie, vor über einem Jahr. Hat sie ihn aufgehoben?

Nein, bisher noch nicht.

Genau. Deshalb warte ich darauf, dass er tatsächlich abgeschafft wird. Es ist nichts passiert, nur Worte. Bis er abgeschafft wird, mache ich weiter und werde keine Ruhe geben. Die neue Regierung hat das Gesetz noch nicht angewandt, aber sie nutzt ihn vielleicht später.

Das ist, wie wenn jemand eine Waffe hat, und sagt er nutzt sie nicht, aber er hat noch immer diese Waffe. Wenn sie von Wandel sprechen, dann müssen sie uns ihren Willen zeigen und den Sedition Act abschaffen. Wenn du den Willen hast, dann machst du es.

Beispielsweise wurde der Priester Wan Ji Wan Hussin im Juni 2019 noch unter dem Gesetz verurteilt, Das ist zwar ein alter Fall, von vor den Wahlen. Aber ich wiederhole, wenn sie den politischen Willen hätten, gäbe es das Gesetz nicht mehr.

Man sagt auch zu den Medien: „Ihr seid nun freier“. Aber der Sedition Act ist noch da. Ich glaube, dass viele Journalist*innen noch verängstigt oder vorsichtig sind.

„Man sagt auch zu den Medien: „Ihr seid nun freier“. Aber der Sedition Act ist noch da. Ich glaube, dass viele Journalist*innen noch verängstigt oder vorsichtig sind.“

Deine Zeichnungen kann man in Ausstellungen anschauen, sie erscheinen in Printmedien und sind online zu finden. Wo fühlst du dich eher zu Hause?

Online wird immer wichtiger, klar ist da diese Tendenz. The Nation aus Thailand z. B. erscheint seit einigen Monaten nur noch online. Für die konventionellen Medien wird es schwieriger. Für mich ist das Medium nicht so wichtig. Wichtig ist, dass meine Zeichnungen verbreitet werden und eine Wirkung zeigen. Das geht mittlerweile online ein bisschen einfacher.

Wie siehst du die Bedeutung der ‚sozialen Medien’ für Meinungsfreiheit und für einen Demokratisierungsprozess in Malaysia?

Ich denke, sie spielen eine wichtige Rolle. Insbesondere haben die ‚sozialen Medien’ das Monopol der Redakteure durchbrochen. Wir bekommen mehr Perspektiven. Und es geht nicht nur um Inhalte, sondern auch um Verbreitung und die Geschwindigkeit der Berichterstattung.

Es kommt in den sozialen Medien immer wieder zu so genannten Fake-News. Die alte Regierung wollte hierzu ein Gesetz verabschieden.

Ja, Fake-News tauchen immer häufiger auf und können ein Problem sein. Manche Regierungen sind damit zunächst überfordert und wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen. Das Problem ist die Definition. Was sind Fake-News, wer entscheidet darüber? Ein Anti-Fake-News-Gesetz birgt dieselbe Gefahr wie der Sedition Act. Darüber sollten Regierungen nicht wachen und entscheiden. Sie sollten nicht die Kontrolle haben. Es muss eine unabhängige Instanz geben.

Wie siehst du den Umgang malaysischer Politiker*innen mit ‚sozialen Medien’ wie Twitter und Facebook?

Die Politiker*innen in Malaysia nutzen die sozialen Medien nicht so intensiv oder offensiv wie Trump. Aber immer mehr von ihnen nutzen diese Kanäle. Sie scheinen PR-mäßig noch damit zu üben und wollen Einfluss gewinnen. Die Debatten und Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Regierung nehmen online zu. ‚Soziale Medien’ haben gute und schlechte Seiten. Aber nur die negativen Nachrichten gehen zumeist viral.

Hast du selbst damit Erfahrungen gemacht?

Ja. Es gab kürzlich einen abgeänderten Cartoon von mir, der in den ‚sozialen Netzwerken’ zirkulierte. Man hatte den Titel, die Worte, geändert aber die Zeichnung war dieselbe und weiterhin als Zunar gekennzeichnet. Da habe ich mich auch über drei Accountholder beschwert.

Wie siehst du das „Neue Malaysia“ im Vergleich zu anderen südostasiatischen Staaten wie Thailand oder Kambodscha? Entwickelt es sich in eine andere, eine demokratischere Richtung?

Es ist schwer diese Länder zu vergleichen. Jedes Land hat sein eigenes System, seine eigene Geschichte, seine eigene Politik. Was aber viele ASEAN-Länder gemein haben und ihre Entwicklung hemmt, ist Korruption. Nicht in der Vergangenheit, sondern die heutige und zukünftige Korruption. Eine gute Regierung macht eine gute Anti-Korruptionspolitik, das ist für mich wichtig.

Wie ist die Resonanz der malaysischen Bürger*innen auf deine Cartoons?

Unterschiedlich. Ich werde auf der Straße angesprochen oder ich sehe die Reaktionen in den ‚sozialen Medien’. Manche mögen meine Cartoons, manche nicht. Einige haben mich schon kritisiert, dass ich nicht Pakatan Harapan (die neue Regierungskoalition) kritisieren soll. Aber das ist mein Job.

Dieses Jahr erschien dein Buch “Fight Through Cartoons – My story of harassment, intimidation and jail”. Worüber schreibst du darin?

Es geht um all die Probleme, die ich mit meiner Arbeit in den letzten 10 Jahren erlebt habe. Ich habe die ganzen Einschüchterungen und Belästigungen durch die malaysische Regierung seit 2009 dokumentiert. Und die Restriktionen, die mir auferlegt wurden. In meinem Buch erzähle ich von allen Verhaftungen, den Bücherverboten, den Ereignissen vor Gericht, wie die Polizei mein Büro durchsuchte. Alles.

Alle aktuellen Cartoons von Zunar finden sich fortlaufend auf seiner Webseite Zunar Cartoonist.

Interview und Übersetzung aus dem Englischen von: Raphael Göpel.

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Der Autor

Raphael Göpel ist Ethnologe und arbeitet in der Stiftung Asienhaus zu den Ländern Kambodscha, Indonesien und Thailand.

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Raphael Göpel

Raphael Göpel ist Ethnologe und arbeitet in der Stiftung Asienhaus zu den Ländern Kambodscha, Indonesien und Thailand.

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