Laos: Der Abbau von Ressourcen führt oft zu massiver Umweltzerstörung und zur Vertreibung von Menschen. Im Interview beschreibt Miles Kenney-Lazar die Hintergründe von Landkonzessionen und wer von diesem Entwicklungsmodell profitiert.
Über eine Million Hektar Land, fünf Prozent des laotischen Staatsterritoriums, wurden in den vergangenen Jahren Investor*innen zur Nutzung zugesprochen. Bei der Vergabe von Konzessionen durch die laotische Regierung werden die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung nur selten umfänglich berücksichtigt. Das führt zu massenhaften Enteignungen und daraus resultierender Armut. Das folgende Interview legt den Fokus auf die historischen Hintergründe des Landgrabbings und seine Auswirkungen auf die Menschen in Laos.
Miles Kenney-Lazar ist Assistenzprofessor an der Fakultät für Geographie der National University of Singapore. Er untersucht die sich verändernden politischen Ökologien von Land und Eigentum in der Mekong-Region. Insbesondere erforscht er, wie Kapitalisierung und Kommodifizierung von Land ungleiche Agrar- und Umweltgeografien und Auswirkungen auf menschliche Lebensgrundlagen erzeugen. Zudem hat er zu Widerstandsformen ärmerer Landbevölkerung gegen Enteignungen und ihrer Teilhabe an Regierungsprozessen publiziert. Seine empirische Arbeit konzentriert sich auf Landkonflikte im Zusammenhang mit der Ausdehnung von chinesischen, vietnamesischen und burmesischen agroindustriellen Plantagen und Sonderwirtschaftszonen in Laos und Myanmar.
Wann begannen die ersten Projekte, bei denen Landgrabbing stattfand?
Landgrabbing wurde durch 30 Jahre Indochina-Kriege erheblich behindert. Erst nach 1975 war großflächige Ressourcenausbeutung möglich. 1986 führte die laotische Regierung einen neuen liberalen Wirtschaftsmechanismus ein – der Startschuss für eine ressourcenbasierte Wirtschaft.
Die Landkonzessionen entstanden nicht als Reaktion auf die Liberalisierung an sich, sondern auf eine Rechtsreform. Laos hatte bis 1991 keine Verfassung und wurde im Wesentlichen durch Dekrete der Regierung regiert. Die erste Konzession wurde 1997 erteilt. Weitere Änderungen im Jahr 2003 schufen schließlich die Voraussetzungen für einen klareren Rechtsprozess, durch den Land vergeben werden konnte. Infolgedessen kam es in den frühen 2000er Jahren zu einem Anstieg der vergebenen Konzessionen, was sich über Datenbanken verfolgen lässt.
Gibt es Voraussetzungen, die Landgrabbing in Laos begünstigen?
Die Hauptrouten für den Rohstoffabbau sind heute noch die Straßen, die von der Kolonialmacht Frankreich gebaut wurden. Gleichzeitig werden durch diese Projekte neue Straßen geschaffen, was einer der Gründe ist, warum die laotische Regierung Landinvestitionen und -konzessionen anstrebt. In einigen Gebieten ist es einfacher, von einem Dorf zum anderen zu gelangen, indem man den Plantagenstraßen folgt, als öffentliche Straßen zu benutzen.
War Laos auch Gegenstand von Strukturanpassungsprogrammen?
Nicht in der Form, wie andere südostasiatische Länder sie erlebten. Die Regierungspolitik wurde aus der Krise heraus geboren; zu einer Zeit, als die Hilfe der Sowjetunion versiegte und die Wirtschaft in einem besonders schlechten Zustand war. Viele westliche Beobachter*innen betrachten diese Liberalisierung, ohne zu bemerken, wie die laotische Regierung dies verkauft. Sie stellt es als einen Weg dar, Märkte zu steuern, um so die Ziele des Sozialismus zu erreichen. Unabhängig von der Tatsache, ob dies möglich ist, halte ich es für wichtig, sich daran zu erinnern.
Welche Rolle spielen Akteure wie die Asiatische Entwicklungsbank (ADB)?
Die ADB ist ein wichtiger Akteur in Laos, obwohl ihre Rolle bei Landkonzessionen etwas umstritten ist. Sie haben Projekte für Eukalyptusplantagen gefördert, die zunächst auf Kleinproduzent*innen abzielten. Die ADB unterstützte vor allem das Bild von Rohstoffabbau als primäre Einkommensquelle für Laos, was auch das Landkonzessionsmodell förderte. Sowohl die ADB als auch die Weltbank haben die Liberalisierung in Laos unterstützt und ebenso die Idee, die Greater Mekong Subregion (GMS) als Wirtschafts- und Transportkorridor zu nutzen.
Wie sieht Landgrabbing in Laos in der Praxis aus?
Die Konzessionen, über die wir sprechen, betreffen so genanntes Staatsland. Das ist zum Teil ein Erbe der sozialistischen Revolution, aber auch Folge des Rechtssystems, in dem die Regierung als Verwaltungsbehörde für Ländereien gilt. Jedes Territorium, das nicht offiziell von einer anderen Einheit genutzt oder besessen wird, kann als Staatsland beansprucht werden. Jedes ausländische Unternehmen ist berechtigt, eine staatliche Konzession zu beantragen.
Wie werden Landkonzessionen vergeben?
Die Verantwortung für Landkonzessionen liegt beim Ministerium für natürliche Ressourcen und Umwelt. Es genehmigt, wie viel Land vergeben wird und wo sich dies befindet. Dazu gehören auch lokale Erhebungen über land- und forstwirtschaftliche Flächen und die Berücksichtigung von Schutzwäldern. In der Realität jedoch werden diese Entscheidungen oft zentral gefällt. Die Länge der Konzessionen ist unterschiedlich. Bei Plantagen sind es in der Regel 35-40 Jahre, während sie beim Bergbau und der Wasserkraft etwas länger sind.
Welche Unternehmen betreiben Landgrabbing in Laos?
Was Kautschuk betrifft, so gibt es viele vietnamesische Unternehmen, die vor allem im Süden von Laos agieren. Viele von ihnen arbeiten unter dem staatlichen Konsortium der Vietnam Rubber Group. Frühere Projekte wurden hauptsächlich von der HAGL Corporation durchgeführt, deren Aktivitäten in einem bekannten Global Witness Report beleuchtet wurden.
Im nördlichen Laos sind es mehrheitlich chinesische Unternehmen, die Kautschuk abbauen. Sie besitzen eher Konzessionen mit geringem Umfang. Viele kleinere Unternehmen haben zudem den Preisverfall des Kautschuks seit 2011 nicht überlebt. Nur ein staatliches Unternehmen, Yunnan Rubber, ist übrig geblieben. Es hält einige Konzessionen und hat den Handel mit Latex nach China im Grunde monopolisiert. Ein weiterer großer Player ist Thai Hua Rubber, zu dem Projekte in Thailand, Laos und Indonesien gehören.
Welche anderen Rohstoffe werden noch ausgebeutet?
Ein ertragreicher Rohstoff für Konzessionen ist Eukalyptus. Mittlerweile wird das Geschäft größtenteils von chinesischen Unternehmen, wie Sun Paper, betrieben. Die ersten Investitionen stammen von einem japanischen Papierunternehmen, Oji Paper, und einem indischen Unternehmen, das Eukalyptus für Textilien nutzen wollte, der Aditya Birla Group. Oji Paper hat all seine Plantagen an eine australische Firma verkauft und die Aditya Birla Group hatte eine Menge Probleme mit ihren riesigen Konzessionswünschen. Manchmal wurde ihnen Land zugewiesen, das nicht geeignet war, weil es überschwemmt oder sehr fragmentiert und schwer zu bewirtschaften war. Dies verdeutlicht die Unfähigkeit dieser Unternehmen, eng mit dem Staat zu kooperieren und dessen Kapazitäten für sich zu nutzen.
Gibt es Unterschiede zwischen der Praxis von chinesischen und vietnamesischen Unternehmen?
Es gibt eine sehr enge politische Verbindung zwischen Laos und Vietnam, die Verbündete während der Revolution waren und ‚sozialistische Bruderstaaten’ blieben. Die Ressourcenausbeutung in Laos spiegelt diese gemeinsame Geschichte wider. Es gibt sogar die Idee einer Schuld, die Laos gegenüber Vietnam begleichen muss, weil Vietnam Unterstützung während der Indochinakriege leistete. Auch die Staatsparteien sind eng miteinander verbunden.
Wie äußert sich dieses Verhältnis in der Praxis?
Es ist zum Beispiel üblich, dass laotische Verwaltungsbeamt*innen, sobald sie einen bestimmten Rang erreicht haben, zum Studium der politischen Theorie nach Hanoi geschickt werden. Lange Zeit entsandte Vietnam auch Truppen und Militärberater nach Laos. Viele vietnamesische Firmen haben Tonnenweise Holz aus Laos importiert. Aufgrund ihres historischen Erbes ist es für sie leichter als für andere, Konzessionen in Laos zu erhalten.
Vietnamesische Firmen verstehen es sehr gut, enge Verbindungen zu Regierungsinstitutionen, auch auf Dorfebene, aufzubauen. HAGL beispielsweise leistet viel ‚Hilfe’ für die lokalen Gemeinden, durch den Bau von Krankenhäusern, Flughäfen, Sportstätten und anderer Infrastruktur. Dies, verbunden mit Bestechung und Korruption, hilft ihnen dabei, ihre Projekte voranzutreiben und dabei auch Menschen von ihrem Land zu vertreiben.
Wie versuchen chinesische Unternehmen, ihr Geschäft zu betreiben?
Es ist oft die Rede von chinesischer Dominanz in Laos, was missverständlich sein kann. China leistet viel ‚Wirtschaftshilfe’ und erhält dafür einige Vorteile, aber besitzt nicht annähernd so tiefe Verbindungen zu Laos wie Vietnam. Chinesische Unternehmen erwarten von den lokalen Behörden häufig, dass diese, sobald sie die Konzession erhalten haben, das Land für sie organisieren. Zu dieser Erwartung gehört auch, Menschen von ihrem Land zu vertreiben, ohne die lokalen Strukturen zu berücksichtigen. Oft nutzen Dorfbewohner*innen das verkaufte Land einfach weiter, solange darauf nichts gebaut wird.
Anstelle von Plantagen nimmt China in anderen Bereichen Einfluss in Laos, zum Beispiel bei der Wasserkraft oder dem Bau einer Eisenbahnlinie. Diese Infrastrukturprojekte sind für die laotische Regierung von hohem strategischem Wert. Sie ist sehr gut darin, Gelder anzunehmen und diese für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.
Wie stehen die Laot*innen zu diesem Entwicklungsmodell?
Die Menschen, die von den Projekten profitieren, und die Menschen, denen sie schaden, sind oft nicht dieselben. Natürlich werden wirtschaftliche Möglichkeiten geschaffen, seien es Arbeitsplätze oder indirekte Geldflüsse durch Investitionen. Obwohl ein großer Teil der im Land erzeugten Wasserkraft ins Ausland verkauft wird, haben diese Projekte das Stromnetz verbessert und bringen der Regierung Einnahmen. Vieles wird nicht richtig verwaltet, aber ein großer Teil des Geldes fließt auch in den Bau von Straßen und Stromleitungen zurück, was von den Menschen geschätzt wird.
Aber es herrscht auch große Unzufriedenheit, zum Beispiel mit Abholzungen. 2016 hat ein Gesetz gegen illegalen Holzeinschlag die Situation deutlich verändert, aber es besteht immer noch Frustration über Korruption und Landraub. Die meisten Menschen aus der Mittelschicht machen sich vor allem Sorgen über Baugebiete in ihrer Nähe, vorwiegend in Vientiane. Die Umwandlung von Feuchtgebieten außerhalb der Stadt in eine riesige chinesische Baufläche sorgte für Unmut. Dennoch werden viele dieser Projekte weitergeführt, manchmal mit kleinen Änderungen, um auf Bedenken zu reagieren.
Wie ist die Situation auf dem Land?
Die ersten Konzessionen waren noch leicht umzusetzen, weil die Menschen sie als Chance für Entwicklung betrachteten. Aber im Laufe der Zeit sind viele aufgrund der Auswirkungen, wie fehlender Entschädigung oder mangelhafter Infrastruktur, zunehmend frustriert. Eine Mehrheit sieht die Konzessionen für Plantagen nicht als Entwicklung an.
Gibt es Möglichkeiten, von den Projekten zu profitieren?
Es gibt weniger Arbeitsplätze als versprochen. Die Firmen stellen nur wenige Laot*innen ein und wenn doch, werden sie oft schlecht bezahlt. Grundlegende Rechte wie eine feste Anzahl von Arbeitstagen, Pausen oder Urlaubstage für private Festlichkeiten sind oft nicht vorgesehen.
Die Versprechen von neuen Stromleitungen, Straßen und Regionalbüros, bleiben meist unerfüllt. In Bezug auf Wasserkraftprojekte sind die Menschen oft sehr unzufrieden mit den Dörfern, in die sie umgesiedelt werden. Neue Häuser werden zwar zur Verfügung gestellt, nicht aber Ackerland, was die Menschen zum Lebensmittelanbau benötigen.
Wie drückt sich diese Unzufriedenheit aus?
Die Menschen sind im Umgang mit der Regierung immer mutiger geworden, aber man kann in Laos nicht einfach eine Demonstration organisieren. Es ist nach wie vor ein Einparteienregime, in dem die Medien stark kontrolliert werden. Es gibt Menschen, die nach der Revolution in Umerziehungslager geschickt wurden.
Bei der Regierung können Beschwerden eingereicht werden. Zudem gibt es Massenorganisationen, wie die Lao Women’s Union oder die Lao Youth Union. Widerstand wird oft durch Menschen in der Regierung und der Partei selbst praktiziert.
Interview und Übersetzung aus dem Englischen von: Simon Kaack
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