Indonesien: Die Regierung des 260 Millionen Einwohner zählenden Landes sorgt sich um Ernährungssicherheit. Für ein Mega-Reisprojekt in Kalimantan sollen Torfmoore trocken gelegt werden. Eine ähnliche Praxis scheiterte in den 90er Jahren – mit fatalen Umweltfolgen
Nyoman Suryadiputra erinnert sich noch lebhaft an die Zeit, als er 1996 tief in das Herz der üppigen tropischen Torfmoorwälder in Kalimantan, dem indonesischen Teil der Insel Borneo reiste. Dort wollte er ein ehrgeiziges Landwirtschaftsprojekt dokumentieren. Das Mega-Reisprojekt (MRP), das 1995 während der Herrschaft des ‚starken Mannes‘ Suharto ins Leben gerufen wurde, hatte ein Ausmaß wie kein anderes: eine Million Hektar Reisfelder – eine Fläche doppelt so groß wie die Insel Bali – in Torfmoorgebieten der Provinz Zentral-Kalimantan, um die Ernährungssicherheit zu erhöhen.
Während seiner Zeit dort hielt Suryadiputra, der heute Exekutivdirektor von Wetlands International Indonesia ist, das ehrgeizige Projekt auf einem Betamax-Camcorder fest. Was er miterlebte, war eine vollständige Katastrophe. „Die Affen rannten weg, als die Bagger anrückten“, sagt er gegenüber Mongabay. „Und es gab eine Menge Bagger, die [im Moor] versanken, weil die Böden weich waren, während die Bagger bis zu 22 Tonnen wiegen konnten“.
Er sah auch, wie tausende Kilometer von Kanälen gegraben wurden, um die Torfböden zu entwässern, und das alles ohne jegliche Umweltverträglichkeitsprüfung. „Als ich dort war, gruben die Arbeiter einen Kanal vom Westen her, während die anderen vom Osten her gruben“, berichtet Suryadiputra. „Kurz bevor diese Arbeiter sich in der Mitte trafen, sagten sie plötzlich ‚Halt‘! Es stellte sich heraus, dass es dort einen See gibt. Damals war die Satellitentechnik vielleicht noch nicht so ausgereift wie heute, also gruben sie einfach ohne einen klaren Plan.“
Die Regierung holte Bäuer*innen aus Java und Bali, um das neu gerodete Land zu kultivieren. Doch der nährstoffarme Torfboden erwies sich als zu ungeeignet für die Art von Reisanbau, wie er auf den mineralreichen Vulkanböden dieser beiden Inseln praktiziert wird. Die Regierung gab das Projekt schließlich auf und hinterließ eine ausgetrocknete Ödnis, die fast jedes Jahr in großem Umfang abbrennt.
Jetzt möchte die Regierung von Präsident Joko Widodo ein ähnliches Megaprojekt starten, ebenfalls im Namen der Ernährungssicherheit, und kündigte vor kurzem die Rodung von 900.000 Hektar zur Anlage von Reisfeldern an – ein Schritt, vor dem Suryadiputra warnt, da sich die Geschichte damit wiederholen könnte.
Die Regierung hält das Projekt für notwendig, da Indonesien bereits die Last einer durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Nahrungsmittelknappheit zu spüren bekommt. Der Präsident zitierte auch eine Warnung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) vor einer drohenden globalen Nahrungsmittelkrise angesichts des Ausbruchs des Corona-Virus.
Wie schon bei MRP vor einem Vierteljahrhundert hat die Regierung wieder die Torfmoorgebiete Zentral-Kalimantans ins Auge gefasst – insbesondere im Bezirk Pulang Pisau, wo sich der größte Kanal des gescheiterten Projekts befindet. „Wir können es uns nicht leisten, den gleichen Fehler zweimal zu machen“, sagte Suryadiputra. „Deshalb ist eine umfassende Studie erforderlich. Denn wenn wir erneut scheitern, dann verschwenden wir Geld.“
Nazir Foead ist der Leiter der Agentur für Moorlandsanierung (BRG), die der Präsident nach den verheerenden Bränden der großen Torfmoorflächen im Jahr 2015 eingerichtet hat. Er sagt, es werde keine Wiederholung des MRP-Fiaskos geben, weil die Regierung aus ihren Fehlern gelernt habe. Viele der jetzt verantwortlichen hohen Beamt*innen seien Veteran*innen des MRP und abgeneigt, den gleichen Fehler noch einmal zu machen.
Das Wissen darüber, wie man Torfmoorgebiete nachhaltig bewirtschaftet, habe sich in den vergangenen Jahren ebenso entwickelt wie die Regierungspolitik zum Schutz von Torfmooren, fügt Nazir hinzu. Letztere wurde erst vor kurzem, nach den Bränden von 2015, ergriffen. Die Feuer wurden zum großen Teil durch die Trockenlegung von Torfsümpfen angeheizt, was diese hoch brennbar macht. Zu den Maßnahmen gehört nun die Einteilung der Torfmoorgebiete in zwei Typen: solche mit tiefen Schichten kohlenstoffreichen Torfs, die geschützt werden müssen, und solche mit flacheren Schichten, die kultiviert werden können. „Was die Politik betrifft, sind wir also besser vorbereitet“, sagt Nazir. „Das Paradigma für die Erhaltung von Torfmoorgebieten ist völlig anders als früher.“
Kritiker*innen verweisen jedoch auf besorgniserregende Anzeichen dafür, dass der neue Plan am Ende ein weiterer Misserfolg sein wird. Dazu gehört vor allem, dass er darauf angewiesen ist, dass große Gebiete von Torfmoorflächen für den Anbau gerodet werden – genau wie beim MRP.
Basuki Sumawinata, ein Boden- und Torfexperte am Institut für Landwirtschaft Bogor (IPB), sagt, es gebe keine erfolgreichen Beispiele dafür, dass Reis in großem Maßstab auf Torf angebaut werde. „In der Vergangenheit wollten wir in Süd-Sumatra 1970 ein Reisanbaugebiet eröffnen. Das ist am Ende gescheitert“, sagt er den lokalen Medien. „Und dann wollten wir 1995 eine Millionen Hektar bereitstellen. Wo auf dieser einen Million Hektar wurde der Reisanbau in Torfmoorgebieten aufrechterhalten?“
Ein jüngeres Projekt ist das Programm Merauke Integrated Food and Energy Estate (MIFEE) in der östlichsten Region von Papua. Es wurde 2011 gestartet und zielte darauf ab, 1,2 Millionen Hektar überwiegend bewaldetes Land in die ‚künftige Kornkammer Indonesiens’ zu verwandeln. Doch die Regierung hat sich mit der Umsetzung schwer getan, vor allem wegen der Landfragen: Das geplante Areal würde sich mit Naturschutzgebieten von Primärwald und Wassereinzugsgebieten sowie den Territorien der indigenen Gruppen überschneiden.
Aktivist*innen sagen, das Projekt sei zu einer „lehrbuchmäßigen Landnahme“ geworden und widerspreche Indonesiens eigenen Verpflichtungen zum Schutz von Torfmoorgebieten, da ein Großteil des Distrikts Merauke aus Torf bestehe. Und mit der Zerstörung des Torfs kommen die Brände: 2015 wurden in Papua mehr als 11.000 Hotspots entdeckt, als Folge von absichtlich gelegten Bränden zur Rodung der Vegetation.
„Es wird befürchtet, dass die Umwandlung von Torf für die Landwirtschaft als Lösung für die Nahrungsmittelkrise dazu führt, dass der Torf austrocknet und das Torfökosystem in großem Maßstab schädigt“, sagt Rusmadya Maharudin, Leiter des Waldkampagnen-Teams von Greenpeace Indonesien, in einer Erklärung.
Im Jahr 2019 brannten Feuer auf fast 270.000 Hektar Fläche in Zentral-Kalimantan. Ein Großteil davon befand sich laut Rusmadya auf ehemaligem MRP-Gebiet, wobei der durch die Brände erzeugte Haze eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit dargestellt habe. Die Rodung von mehr Torfland für das neue Projekt werde die Brände und den Haze nur noch verstärken. Dies hat schwerwiegende Auswirkungen auf den Klimawandel, da Torfmoorgebiete zu den dichtesten Senken für Treibhausgase auf der Erde gehören. Indonesien ist bereits einer der weltweit größten Emittenten. Dabei ist der Großteil seiner Emissionen auf Landnutzungsänderungen zurückzuführen, darunter die Umwandlung von Torfmoorgebieten in Plantagen (vgl. Artikel Torfböden sind quasi reiner Treibstoff auf suedostasien.net).
Expert*innen haben das Beharren der Regierung auf der Bepflanzung von Torfland trotz des Scheiterns des MRP und anderer Projekte in Frage gestellt. Sie weisen darauf hin, dass es für den Anbau von Reis, dem Grundnahrungsmittel in Indonesien, ungeeignet ist. „Torfmoorgebiete enthalten im Allgemeinen wenig Nährstoffe“, sagt Basuki vom ITB. „Wenn sie also für Reisfelder bewirtschaftet werden sollen, bedarf es einer gründlichen und ernsthaften Technologie mit Kosten, die wir uns nicht vorstellen können“.
Suryadiputra von Wetlands International sagt, genau dies sei mit dem MRP geschehen. In einem Pilotprojekt versuchte die Regierung auf 2.000 Quadratmetern Torfland in Sumatras Provinz Riau Reis anzubauen. Sie stellte fest, dass man zwei Tonnen Kalk hinzufügen musste, um den Säuregehalt des Bodens so weit zu senken, dass dieser für Reis geeignet war. „Ich konnte es nicht begreifen“, sagt er. „Würde der Preis für den Reis wegen der Kosten für den Kalk höher werden?“ Suryadiputra meint daher, die Regierung solle sich nicht nur auf den Reisanbau konzentrieren, sondern auch andere Arten von Nutzpflanzen diversifizieren, wie z.B. Sago, ein Grundnahrungsmittel in der östlichen Region Indonesiens.
Nazir von BRG sagt, dass seine Agentur für das aktuelle Projekt ein eigenes Pilotprojekt durchgeführt habe, bei dem Reis auf einem 80 Hektar großen Gelände im ehemaligen MRP-Gebiet gepflanzt wurde. Sie produzierten weniger als 3 Tonnen Reis pro Hektar – halb so viel wie auf Java und Bali und ähnlich wenig wie in Riau, wo ein Großteil der Fläche ebenfalls aus Torf besteht.
Dieses Mal werde die Technologie diese Bedenken ausräumen, sagt die Regierung. Nach Angaben von Landwirtschaftsminister Syahrul Yasin Limpo hat die Regierung eine spezielle Reisvariante vorbereitet, die sich für Torfbedingungen eignet. Der Generaldirektor des Ministeriums für landwirtschaftliche Infrastruktur, Sarwo Edhy, sagt, dass die Landwirte auch eine spezielle Art von Traktor verwenden könnten, der für sumpfige Torfmoorgebiete geeignet ist. Dies würde ihnen erlauben, einen Hektar Land in wenigen Stunden zu säen im Vergleich zu fünf oder sechs Tagen derzeit. Kombiniert mit der Aussicht, während der Trockenzeit Landwirtschaft betreiben zu können, mache dies Torfland zu der Zukunft der Landwirtschaft in Indonesien, sagt Sarwo. Er fügt hinzu, dass zwar die technischen Details des Plans noch geklärt werden müssten, die Beflanzung aber bereits 2020 beginnen könne.
Syahrul sagt, dass die erste Phase der Bepflanzung 164.000 Hektar Torfland umfassen werde, wofür das Landwirtschaftsministerium mindestens 300.000 Bäuer*innen einstellen müsse. Das wäre ein Neuntel der derzeitigen Bevölkerung Zentral-Kalimantans. Er sagt, der Mangel an Bäuer*innen sei einer der Gründe für das Scheitern des MRP; die Hälfte der fast 16.000 Bauernhaushalte, die für MRP von Java und Bali hergebracht wurden, hätten das Land verlassen und seien woanders hingezogen. Dabei wandten sich viele der illegalen Holzfällerei zu.
Diesmal, so Syahrul, werde sich das Ministerium mit der Provinzregierung abstimmen, um sich auf die benötigten Bäuer*innen vorzubereiten. Der koordinierende Wirtschaftsminister Airlangga Hartarto sagt, dass die Regierung in Kürze eine Umweltstudie durchführen und die Verfügbarkeit von Land und Arbeitskräften in einem voraussichtlich drei Wochen andauernden Prozess kartieren werde.
Suryadiputra warnt jedoch davor, den Plan angesichts des Umfangs des Projekts zu überstürzen, und fügt hinzu, dass eine detaillierte Studie mindestens ein Jahr dauern werde. „Ich rate der Regierung, eine sehr umfassende Studie über biophysikalische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte durchzuführen. Sie kann nicht nur in Teilen durchgeführt werden“, sagt er. „Wenn die Regierung lediglich nach einem Berater fragt, dann ist das sehr gefährlich.“
Übersetzung aus dem Englischen von: Dominik Hofzumahaus
Der englische Originalartikel erschien am 19. Mai 2020 bei MONGABAY, News & Inspiration from Nature’s Frontline, und wurde für die südostasien redaktionell bearbeitet und auf zwei Teile aufgeteilt (hier geht es zu Teil II).
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