2 | 2020

Nachhaltigkeit als ‚Gesetz Allahs‘

Bei Bumi Langit werden landwirtschaftliche Produktion und Umweltschutz zusammengeführt © Foto mit freundlicher Genehmigung von Bumi Langit

Indonesien: Mit nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion und der Verbesserung der Lage der Kleinbäuer*innen beschäftigen sich zunehmend auch islamische Initiativen. Ihre individuellen Projekte sowie politisch angelegte aktivistische Bewegungen werden hier vorgestellt und in ihre Reichweite geschildert.

In den letzten Jahren ist das Umweltbewusstsein unter islamischen Gelehrten und Organisationen in Indonesien deutlich gestiegen. Einige beginnen, eine islamische Umwelt- und Sozialethik zu artikulieren und versuchen aktiv, Probleme wie Klimawandel, Umweltverschmutzung und die zunehmend prekäre Lage von Kleinbäuer*innen anzugehen. In ihren Bemühungen haben islamische Gelehrte eine ethische Grundlage entwickelt, die auf dem Koran und den Hadithen (sunnitischen Sammlungen von Überlieferungen über Mohammed und sein Leben) basiert, um eine sozial und ökologisch nachhaltige Praxis zu unterstützen.

Viele dieser Projekte werden lokal von Individuen oder Kleingruppen angestoßen oder haben sich, sofern sie aufs ‚Große Ganze‘ abzielen, noch nicht durchgesetzt. In diesem Artikel beleuchten wir einerseits individuelle Projekte und andererseits politisch angelegte aktivistische Bewegungen, die sich der nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion widmen.

Iskandar Waworuntu © Foto mit freundlicher Genehmigung von Bumi Langit

Permakultur nach islamischen Prinzipien: Das sozial-ökologische Projekt Bumi Langit

Im Jahr 2006 gründete Iskandar Waworuntu die Permakultur-Farm Bumi Langit [deutsch: Erde und Himmel] bei Yogyakarta, wo etwa zehn Menschen leben und arbeiten. Sie produzieren Lebensmittel im Rahmen von Permakultur, fördern so die Biodiversität in der Region, und bieten Kurse für nachhaltige Landwirtschaft an. Des Weiteren unterstützt und integriert Bumi Langit Dorfbewohner*innen der Umgebung, die auf der Farm arbeiten.

Dieses sozial-ökologische Projekt ist zwar klein, erlangte aber durch die intensive Zusammenarbeit mit einer Vielzahl bekannter zivilgesellschaftlicher Organisationen, Aktivist*innenen und Universitäten nationale und internationale Bekanntheit. Gemeinsam mit (oft selbst ausgebildeten) Bäuer*innen betreibt Bumi Langit einen biologischen Erzeuger*innenmarkt. Inzwischen finden in und um Yogyakarta an mehreren Tagen pro Woche solche Märkte statt, die auch das Bewusstsein für nachhaltige und gesunde Nahrungsmittel steigern sollen.

Permakultur-Farm Bumi Langit bei Yogyakarta © Foto mit freundlicher Genehmigung von Bumi Langit

Für Iskandar ist Bumi Langit sowohl ein Ausweg aus einem exzessiven, ignoranten und verschmutzten Leben als auch eine Gelegenheit, die islamische ethische Verpflichtung zu Nachhaltigkeit und Umweltschutz zu praktizieren. Neben dem Training und dem Aufbau einer Zivilgesellschaft und der Umsetzung weiterer islamischer Konzepte ist ein Leben nach dem Gesetz Allahs ein zentrales Ziel von Bumi Langit, was für Iskandar untrennbar mit dem Konzept der Nachhaltigkeit verbunden ist.

Wachsendes Umweltbewusstsein in Sufi-Organisationen

Der kosmologisch-religiöse Ansatz von Bumi Langit zeigt Ähnlichkeiten mit denen anderer islamischer Gelehrter, die sich durch Bezugnahme auf den Koran und die Hadithen für den Umweltschutz einsetzen. Sie argumentieren, dass der Mensch in seiner einzigartigen Stellung als Khalifah (Stellvertreterschaft Allahs) den übermäßigen Verbrauch von natürlichen Ressourcen missbilligen sollte, und betrachten den Kapitalismus als die Quelle von Umweltproblemen.

Vor allem für Gruppen, die sufistisch [eine spirituelle, asketische Strömung des Islam] orientiert sind, spielt Umweltschutz eine zunehmend zentrale Rolle. Auch Teile von Nahdlatul Ulama (NU), der größten islamischen Organisation in Indonesien, die überwiegend im ländlichen Raum agiert, beziehen in zunehmendem Maße Stellung zu umweltpolitischen Fragen, welche besonders die Landbevölkerung betreffen. So machte etwa die nationale Versammlung 2017 nicht nur Fragen des gerechten Zugangs zu Land zu einem Schwerpunkt ihrer Empfehlungen und Rechtsurteile, sondern auch die des Umweltschutzes.

Einer der lokalen Bio-Märkte, wo Bumi Langit sein Gemüse anbietet, ist der Milas-Markt in Yogyakarta © Anett Keller

Seit den 1980er Jahren gibt es zunehmend viele Kyai [Gelehrte, Leiter von Pesantren, religiösen Internaten], die einen ökologischen Fokus auf ihre Arbeit legen und Umweltschutz und nachhaltige Landwirtschaft vorantreiben. So etwa Pesantren Mursidul Hadi nahe Yogyakarta, das in Zusammenarbeit mit der Bäuer*innen-Gewerkschaft SPI (der indonesischen Mitgliedsorganisation von La Via Campesina) Kurse in nachhaltiger Landwirtschaft für junge Bäuer*innen anbietet.

Interessanterweise bildet eine beträchtliche Anzahl von Pesantren die Schüler*innen nicht nur in der Durchführung von Umweltpraktiken gemäß der islamischen Theologie aus, sondern auch in der Entwicklung unternehmerischer Fähigkeiten, um die Rentabilität der Einrichtung zu erhöhen. So können Pesantren eine vermittelnde Rolle gegenüber der jeweiligen lokalen kleinbäuerlichen Gesellschaft einnehmen.

Religiöse Autoritäten und die staatliche Entwicklungsagenda

In den 2010er Jahren richtete auch die Regierung in Zusammenarbeit mit NU Dutzende von so genannten ‚Öko-Pesantren’ ein, um der Umweltzerstörung entgegenzuwirken. Im Zuge der globalen Diskurse über die Bekämpfung des Klimawandels wollten Ministerien und Kommunalverwaltungen das Bewusstsein für Umweltprobleme stärken.

Dazu wandten sie sich an lokale Kyai und nutzten deren breite Netzwerke in Pesantren sowie ihre einflussreiche Position in der Gesellschaft, um Informationen zu verbreiten und Projekte umzusetzen. Da die Verbindungen zwischen NU und Regierungsinstitutionen stark sind, arbeiteten muslimische Gelehrte mit Regierungsvertreter*innen zusammen, um eine islamische Ökotheologie zu entwickeln und Programme wie Abfallwirtschaft und ökologische Landwirtschaft umzusetzen.

Immer wieder stehen Umweltprojekte in Pesantren aber auch indirekt der nationalen Entwicklungsagenda entgegen, etwa wenn sie erneuerbare Energien und Biotreibstoffe fördern. Da die Regierung unter Joko Widodo für die javanische Wirtschaft der Zukunft vor allem auf Tourismus und die Förderung fossiler Brennstoffe setzt, ist die Unterstützung kleinbäuerlicher Existenzen demgegenüber nicht in ihrem Sinne. Die landwirtschaftliche Produktion soll nach Regierungswillen in Zukunft auf andere Inseln ausgelagert werden (vgl. dazu auch den Artikel zum Megareisprojekt auf südostasien.net). In diesen Fällen erhalten Pesantren keine staatliche Förderung und es ist oft schwer für sie, ihre Existenz aufrecht zu erhalten.

Lokale Aktivistinnen in Banyuwangi erklären FNKSDA-Aktivist*innen die Auswirkungen der Tujuh Bukit Mine auf ihre Fischerei- und Ackerbauerträge © Sophia Hornbacher-Schönleber

Lokale Aktivist*innen immer berichten außerdem immer wieder empört davon, dass manche Kyai mit Geldgeschenken oder anderen Vergünstigungen von Unternehmer*innen ‚gekauft‘ würden, um in ihrer Funktion als lokale religiöse Autoritäten deren Projekten zuzustimmen und die Bevölkerung zu beeinflussen.

Im Fall der Tujuh Bukit Goldmine (Tumpang Pitu) in Banyuwangi im Osten Javas etwa, die trotz massiver Proteste der Lokalbevölkerung in einem Umweltschutzgebiet genehmigt und errichtet wurde, wurden Anwohner*innen zu einem interreligiösen Gebet eingeladen, das die Goldmine buchstäblich absegnen sollte.

Hierzu hatten die Betreiber*innen Kleriker*innen aller relevanten lokalen religiösen Gruppen bewegen können. Mitglieder der lokalen Protestbewegung waren empört und äußerten den Verdacht, möglicherweise habe Bestechung eine Rolle gespielt. Die Mine gefährdet massiv die Nahrungsmittelversorgung und Lebensgrundlage lokaler Bäuer*innen und Fischer*innen, da durch den Bergbau Schlammlawinen ausgelöst werden, welche Felder überfluten, sowie giftige Abwässer ins Meer geraten, die die Lebewesen dort töten.

Kapitalismuskritischer islamischer Aktivismus

Die NU-nahe Bewegung FNKSDA (NU Front für die Souveränität über natürliche Ressourcen) ist eine Initiative junger Sufi-Aktivist*innen, die sich auch im Fall Tujuh Bukit auf die Seite lokaler Aktivist*innen stellt. Anders als die zuvor beschriebenen Initiativen setzt die Bewegung auf einen explizit politischen Kurs, indem sie mit säkularen Agrar-Aktivist*innen kooperiert sowie daran arbeitet, auf nationaler und regionaler Ebene NU-Entscheidungsträger*innen dahingehend zu beeinflussen, Stellung zugunsten der Bäuer*innen zu beziehen (vgl. dazu auch Artikel Religionsschüler gegen Agrarkapitalismus in südostasien 2/2017).

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Viele der theologischen Begründungen von FNKSDA haben große Überschneidungen mit den bereits beschriebenen Gruppen, doch sind die politischen Forderungen weit reichender, da sie strukturell angelegt und expliziter antikapitalistisch formuliert sind. Es geht der Gruppe um soziale Gerechtigkeit, den Zugang zu und die Souveränität über natürliche Ressourcen, wozu wesentlich die Kontrolle über die Lebensmittelproduktion gehört. So setzen sich die jungen Aktivist*innen etwa gegen den Bau neuer Flughäfen in Yogyakarta und Cirebon und Kohlekraftwerke entlang der Nordküste Javas ein.

Am Beispiel Tujuh Bukit wiederum zeigt sich die Komplexität der Angelegenheit: unter den Investor*innen, die den Betreiber PT Merdeka Copper Gold fördern, sind nicht nur einige der größten Unternehmer Indonesiens (Edwin Soeryadjaya, Garibaldi Tohir) und einflussreiche Politiker*innen wie Sandiaga Uno, amtierender Vizegouverneur von Jakarta, vertreten. Auch eine so hochrangige NU-Figur wie Yenni Wahid saß bis 2015 im Aufsichtsrat von Merdeka Coppercold. Inzwischen trat sie – womöglich wegen des Protests gegen diese Beteiligung – zurück, während ihr Mann, Dhohir Farisi, weiter involviert ist.

Yenni ist nicht nur Politikerin, sondern auch in der Wahid-Stiftung involviert, die das geistige Erbe ihres Vaters, des humanistischen NU-Gelehrten und ehemaligen Präsidenten Indonesiens, Abdurrahman Wahid, fortführen soll. Die jungen Aktivist*innen stellen sich also mit ihrer Kritik nicht nur gegen politische, sondern auch gegen religiöse Autoritäten und unterstützen ein Modell dezentraler landwirtschaftlicher Produktion auf kleinbäuerlicher Basis. Weitere vergleichbare aktivistische Gruppen, auch in der modernistischen Organisation Muhammadiyah, gewinnen zunehmend an Einfluss.

Ein FNKSDA-Aktivist hält einen Vortrag über Kapitalismus in einer Dorfmoschee © Sophia Hornbacher-Schönleber

Auf Java begrenzte Wirkung?

Die Förderung des ökologischen Bewusstseins durch islamische Massenorganisationen hat auf der Insel Java ihre größte Reichweite gefunden. Ein Hindernis für die flächendeckende Umsetzung von Umweltprojekten durch NU und Muhammadiyah ist die begrenzte Verbreitung von Wissen an deren Gruppen außerhalb Javas sowie die mangelnde Aufklärung der Religionsgelehrten auf dem Land über Klima- und Umweltveränderungen und ein wahrgenommenes Gefühl von Elitismus bei Kampagnen zum Klimawandel.

Die islamischen Umweltschutzprogramme haben in Gebieten wie Kalimantan und Sumatra nicht Fuß gefasst, obwohl diese Regionen unter dramatischen Auswirkungen der Umweltzerstörung leiden. Kalimantan ist das Zentrum der Kohleförderung und der ständig wachsenden Palmölplantagen.

Aufgrund dessen erleben viele Bewohner*innen derzeit drastische Veränderungen ihrer Lebensgrundlagen und kämpfen mit Konflikten um den Zugang zu Land, die Verteilung der Erträge aus den ausgebeuteten Ressourcen sowie mit einem erschwerten Zugang zu Nahrungsmitteln, die vielfach importiert und teuer bezahlt werden müssen. Da die Mehrheit der Bevölkerung Kalimantans muslimisch ist, gäbe es ein großes Potential für muslimische Gelehrte und Vertreter islamischer Institutionen, sich für den Erhalt der Umwelt und Nahrungsmittelsicherheit einzusetzen.

Diese Beispiele zeigen, dass Elemente des islamischen Kanons Anhaltspunkte für die Entwicklung einer Ökotheologie bieten, die Muslime zu aktivem Umweltschutz und nachhaltiger Nahrungsmittelproduktion inspiriert. Islamische sozial-ökologische Kleinprojekte erhöhen die Biodiversität und stärken die Lebensgrundlage der Landbevölkerung. Dennoch ist der „grüne Islam“ immer noch ein zahnloser Tiger, wenn es darum geht, die staatliche Entwicklungsagenda generell in Frage zu stellen. Aktivistische Bewegungen wie FNKSDA versuchen, in diesem Bereich größeren politischen Einfluss zu erlangen.

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Die Autorin
Sophia Hornbacher-Schönleber promovierte in Social Anthropology zu linkem muslimischem Agraraktivismus in Indonesien an der University of Cambridge, wo sie weiterhin lehrt und forscht. Zuvor studierte sie Ethnologie und Philosophie in Freiburg und Frankfurt. Ihre Forschung befasst sich schwerpunktmäßig mit politischem Aktivismus, Ethik, Agrarpolitik und Religion.
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Die Autorin

Kristina Großmann ist Professorin für Ethnologie Südostasiens am Institut für Orient- und Asienwissenschaften/Abteilung für Südostasienwissenschaft an der Universität Bonn. Von 2017-2020 leitete sie das transdisziplinäre Forschungsprojekt „FuturEN. Governance, Identitäten und Zukunft innerhalb von Differenzkategorien im Kohlebergbau in Zentralkalimantan, Indonesien“ an der Universität Passau.

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