1 | 2020

Wenn Plastik drin ist, wo Altpapier draufsteht

Enormes Risiko für Mensch und Umwelt: Importierter Müll auf einer offenen Deponie in Indonesien © Fully Syafi

Indonesien: Recycling soll Ressourcen und somit auch das Klima schützen. Doch statt des für die indonesischen Papierfabriken benötigten Altpapiers beinhalteten importierte Container bis zu 70 Prozent Plastik. Das landet direkt in der Umwelt oder wird verbrannt – sogar in Tofufabriken.

Deutschland ist bekannt für seinen hohen Papierverbrauch: Im Schnitt verbrauchen die Deutschen 250 kg Papier pro Jahr. Als größter Papierproduzent in Europa verbraucht Deutschland viel Frischfaser. Das Holz dazu stammt von Bäumen aus Skandinavien, Indonesien und Brasilien. Wird statt Frischfaser Altpapier eingesetzt, können Energie und Wasser eingespart werden. Somit bleiben die Bäume als Kohlenstoffspeicher und Sauerstofflieferanten erhalten und das bereits produzierte Papier findet seinen Weg zurück in die Recyclingkette. Soweit die Theorie.

Seit 2001 fotografiert Fully Syafi professionell. Er arbeitet seit 2006 in Kooperation mit der EPA (European Pressphoto Agency) als freiberuflicher Fotojournalist für das Gebiet Ost-Java (Indonesien). Zwischen 2008 und 2015 arbeitete er für TEMPO, Indonesiens größtes Nachrichtenmagazin. © privat

Deutschland gilt als Recyclingmeister. Doch unser Müll gilt auch dann als recycelt, wenn er tatsächlich exportiert wird. Was im Importland mit dem Müll passiert, wird von deutscher Seite nicht kontrolliert.

Mit dem Müllimportstopp Chinas Anfang 2018 änderten sich die Wege des Altpapierstroms. China wollte nicht länger die schlechte Qualität des importierten Altpapiers hinnehmen und führte eine 1-Prozent-Fehlwurfquote ein. Diese kann von kaum einem Exportland erfüllt werden. Indien folgte dem chinesischen Vorbild. Infolgedessen wichen die Exporteur*innen auf andere (asiatische) Länder aus, darunter auch Indonesien (mehr zum Thema Plastik und Plastikmüll auf suedostasien.net).

Im Interview erzählt der indonesische Fotograf und Umweltaktivist Fully Syafi von den Auswirkungen des illegalen Plastikmülls im Altpapierimport.

Wie sind Sie auf das Thema Müllimporte aufmerksam geworden?

Als ich anfing für Ecological Observation and Wetland Conversation (ECOTON) zu arbeiten, informierte ich mich verstärkt über das Thema der Müllimporte nach Indonesien. ECOTON ist eine NGO, die sich mit der Erhaltung von Flüssen befasst, vor allem dem Brantas, dem längsten Fluss in Ost-Java. Als ich mich mit dem Problem von Plastikmüll im Altpapier auseinandersetzte, öffnete mir das die Augen dafür, wie komplex dieses Thema ist. Meiner Meinung nach ist es hochproblematisch, dass Indonesien seinen eigenen Müll noch nicht verarbeiten kann und zusätzlich mit Müll aus dem Ausland belastet wird.

Wie läuft der legale Altpapierimport ab?

In Ost-Java gibt es sehr viele Papierfabriken. Es gibt ungefähr 22 Fabriken, die im Zusammenhang mit den illegalen Plastikmülleinfuhren stehen. Es gibt auch Papierabfälle aus dem Ausland, aus Deutschland, den USA, Japan, aus verschiedenen Ländern. Am Ende aber kommt der Plastikmüll hierher. Dieser ist nicht legal, weil eigentlich ja nur Papier importiert wird. Also, nur der Altpapierimport ist legal. Aber das Altpapier enthält bis zu 70 Prozent illegalen Plastikmüll.

Importieres Altpapier enthält bis zu 70 Prozent illegalen Plastikmüll © Fully Syafi

Wie hoch ist das Bewusstsein der Bevölkerung über diesen illegalen Handel innerhalb des legalen Altpapierhandels? Sind sich die Leute in Ost-Java, also in und um Surabaya, dessen bewusst?

Eigentlich wissen sie darüber Bescheid, aber die Importfirmen des Altpapiermülls können sich den Müll ja nicht aussuchen. Sie nehmen das an, was ankommt. Die Papierfabriken benutzen dann das Altpapier, der Plastikabfall wird verkauft und den Anwohner*innen, die in der Umgebung der Fabrik leben, zur Verfügung gestellt. Diese verkaufen den Plastikabfall dann weiter.

Wer klärt die Bevölkerung über diese Geschäfte und die Auswirkungen auf?

Es gibt keine Aufklärung. Zumindest nicht an den Orten, an denen ich die Berichterstattung für ECOTON gemacht habe

Kann man Ihrer Meinung nach gegen diese Geschäfte vorgehen?

Ja, das ist sehr gut möglich. Die Lösung liegt bei der Regierung, da dies ein regulatorisches Problem ist. Hier geht es um Einfuhrvorschriften für Plastik. Aber auch in den Exportländern, wie zum Beispiel Deutschland, sollten entsprechende Vorschriften umgesetzt werden, sodass die anfallende Müllmenge im eigenen Land bewältigt werden kann.

Wenn wir über das Geschäftliche reden: Das importierte Papier und auch das Plastik wird in den lokalen Papier- und Plastikfabriken benötigt. Die Bedarfe der Fabriken können nicht durch die lokal erzeugten Müllmengen erfüllt werden. Es gibt Vorschriften, die das regeln. Aber es wird illegal, wenn zusätzlich falsch deklarierter Plastikmüll und medizinischer Abfall eingeführt werden. Was da eingeführt wird, ist zum Teil giftiger Müll.

Aus den Tofufabriken steigt der schwarze Rauch des verbrannten Plastiks © Fully Syafi

Welche Auswirkungen hat der Altpapierimport mit diesen „Zusatzbestandteilen“ auf die Umwelt?

Ich glaube, das Papier hat keine Auswirkungen auf die Umwelt, denn genau das wird von den Papierfabriken gebraucht. Auswirkungen hat der Kunststoff. Nicht alle Kunststoffe, die hier aus dem Ausland ankommen, haben einen Verkaufswert. Es können also nicht alle weiterverkauft werden. Die negativen Auswirkungen entstehen dadurch, dass dieser Müll dann einfach in der Umgebung abgeladen wird. Wenn er dort lange liegt, werden die Gewässer und der Boden verschmutzt. Letztens betrifft es auch das Grundwasser. Der wertlose Plastikmüll wird aber auch von Tofu-Fabriken gekauft und als Brennmaterial für die Tofuherstellung verwendet.

Das ist doch aber sehr giftig.

Ja, in Deutschland weiß man sicher, dass das Verbrennen von Plastik Giftstoffe freisetzt. Wenn der Kunststoff verbrannt wird, tritt schwarzer, dioxinhaltiger Rauch aus. Die New York Times berichtete, dass die Organisation Ecological Observation and Wetlands Conservation ECOTON Eier aus der Region einer Tofufabrik testen ließ. Die Eier aus dem Dorf Tropodo (an der Ostküste Javas) enthalten einen der höchsten Dioxinwerte, die jemals in Asien gemessen wurden. Trotzdem wird weiterhin Plastik als Brennstoff verwendet, weil es günstiger als Holz ist.

Ist das Verbrennen von Plastik in Indonesien legal?

Es ist nicht verboten, es gibt keine Gesetze oder Vorschriften dazu. Das ist wie eine schlechte Angewohnheit der Indonesier*innen – der Müll wurde schon immer verbrannt.

Gibt es in diesen Orten niemanden, der*die Fabriken daran hindern kann, Plastik zu verbrennen?

Der Dorfvorsteher könnte das. Der Dorfvorsteher gibt eine Empfehlung ab, spricht aber kein Verbot aus. Doch die Empfehlungen sind nicht verpflichtend. Es gibt auch keine Strafen.

Gibt es eine Bewegung gegen den Plastikmüll?

Es gibt Widerstand, aber keine große Bewegung gegen den Müllschmuggel. Es gibt Programme an Schulen und viele Kampagnen wie den autofreien Tag oder Kampagnen gegen den Gebrauch von Plastik.

Was muss sich ändern?

Regierung, Einwohner*innen und NGOs müssen gemeinsam denken und zusammenarbeiten, um dieses Problem zu lösen. Dabei muss für Arbeit für die Anwohner*innen gesorgt werden, die aktuell auf den Verkauf von Plastikmüll angewiesen sind. Es müssen Regelungen gemeinsam mit der Regierung beschlossen werden, damit niemand benachteiligt wird.

Altpapierimport auf einen Blick

Durch den hohen Anteil an Plastik im Altpapierimport nach Ost-Java fehlen nach Angaben von ECOTON pro Tag 1,5 Millionen Tonnen Altpapier. Das fehlende Material muss zusätzlich aus anderen Ländern importiert werden. Nicht zuletzt trägt Plastik bei seiner Verbrennung und Zersetzung auch zum Klimawandel bei: Durch das Verbrennen einer Tonne Plastikmüll werden Treibhausgase äquivalent zu 2,9 Megatonnen CO2 ausgestoßen.

Inzwischen hat auch Indonesien damit begonnen, Müllcontainer mit kontaminiertem Inhalt abzuweisen und zurückzuschicken. Die Philippinen und Malaysia folgten. Schon der Importstopp von China hat den weltweiten Altpapierpreis stark gesenkt. In den Exportländern gibt es nun ein Überangebot an Altpapier, das vor allem aus Verpackungskartons besteht. Diese als ‚braune Ware‘ bezeichnete Altpapiersorte hat nach der Deinkingware (Zeitungen und Zeitschriften) die zweitbeste Qualität. Durch den florierenden Onlinehandel steigt die Menge an ‚brauner Ware’ ständig. In Privathaushalten fällt zudem das eher minderwertige Mischpapier an. Neben Regularien in den Importländern besteht also auch Handlungsbedarf in den Exportländern. Hier wird in den nächsten Jahren eine Umstrukturierung stattfinden müssen: Papiermaschinen müssen von Deinkingware auf Pappe umgestellt werden, in den Exportländern mehr Papierfabriken eröffnet werden. Womöglich könnten Kartons direkt in den Exportländern hergestellt und als Verpackung oder als Pulp (Vorstufe von Papier) anstelle des Altpapiers exportiert werden.

Doch Klimaschutz heißt vor allem, Müll sortenunabhängig so weit wie möglich zu vermeiden.

Zum Weiterlesen:

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Die Autorin

Sophie Haiker studiert aktuell den Master Languages and Cultures of Southeast Asia mit dem Schwerpunkt Austronesistik an der Universität Hamburg.

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Karan Kapoor hat Sprachen und Kulturen Südostasiens mit dem Nebenfach Sprachen und Kulturen Indiens und Tibets an der Universität Hamburg studiert. Derzeit befindet er sich im International Master in Languages and Cultures of Southeast Asia mit dem Schwerpunkt Austronesistik.
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Die Autorin
Mandana Uriep hat Sprachen und Kulturen Südostasien mit dem Schwerpunkt Austronesistik in Hamburg und Yogyakarta studiert. Derzeit absolviert sie ihren Master in Social and Cultural Anthropology und Deutsch als Fremdsprache in Halle (Saale). Sie ist vor allem interessiert an Feminismus, Frauen und Arbeit und Klimagerechtigkeit in Indonesien.
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K. Kapoor, S. Haiker, M. Uriep

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