3 | 2020, Indonesien,
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Feminismus als Klassenfrage (Teil II)

Indonesien sexualisierte Gewalt GERWANI

Gefangene mit ihren Kindern im Bulu Gefängnis, Ambarawa 1969, aus privater Fotosammlung © Fatia Nadia.

Dies ist der zweite Teile des Artikels “Feminismus als Klassenfrage” (hier geht es zu Teil I):

Indonesien: Bei den antikommunistischen Massakern von 1965 setzte die indonesische Armee sexualisierte Gewalt gezielt ein, um die linke, feministische Massenorganisation GERWANI zu vernichten.

Für die reaktionären Kräfte unter der Führung von General Suharto stellte die Massenbewegung der feministischen und sozialistischen Aktivistinnen, vertreten durch GERWANI, eine ernsthafte Bedrohung dar, die ausgerottet werden musste. Ende 1965 legte die Armee die Ermordung der obersten Armeeführung durch die Bewegung vom 30. September der Kommunistischen Partei Indonesiens (Partai Kommunis Indonesia, PKI) zur Last. Die Beteiligung von GERWANI an der Ausbildung von PKI-Freiwilligen wurde als Vorwand benutzt, ihr eine organisatorische Verbindung zur PKI und zum angeblichen Versuch der Machtergreifung zu unterstellen.

Zusammen mit antikommunistischen paramilitärischen Gruppierungen begann die Armee, einen gewalttätigen Angriff auf die PKI und alle ihr angeschlossenen oder nahe stehenden Organisationen, bei dem schätzungsweise 500.000 Menschen ermordet und Hunderttausende weitere ohne Gerichtsverfahren inhaftiert wurden. GERWANI-Frauen waren das Ziel dieser Angriffe, weil sie als Teil einer größeren kommunistischen Familie angesehen wurden, aber auch, weil ihre emanzipatorische Politik die ideologische Basis der Kräfte in Frage stellte, die dann das Regime der Neuen Ordnung [Eigenbezeichnung der Suharto-Diktatur, d.Red.] bilden sollten. Sexualisierte Gewalt wurde systematisch gegen diese mächtigen und feministischen Frauen angewandt, um ihren Willen zu zerstören und ihre Organisation zu vernichten.

Frauen, die verdächtigt wurden, Mitglieder oder Sympathisantinnen von GERWANI zu sein, wurden zur Zielscheibe von willkürlichen Verhaftungen, Folter, sexueller Gewalt, Vergewaltigungen, gewaltsamem Verschwinden lassen und Mord. Frauen, die in der Internationalen Demokratischen Frauenföderation (IDFF) aktiv gewesen waren, wie Sudjinah, Sulami, Maasje Siwi, Tanti Aidit und Umi Sardjono, waren lange Zeit im Frauengefängnis Bukit Duri in Jakarta inhaftiert und Folter und Missbrauch ausgesetzt.

Die Konstruktion des GERWANI-Bildes durch die Neue Ordnung

Bildquelle: Screenshots Pengkhianatan G30S/PKI, YouTube.

Ein Hauptstrang der Erzählung, die von militärischen und zivilen Propagandisten konstruiert wurde, um die Vernichtung der Linken zu legitimieren, war die Behauptung, dass während des Putschversuchs GERWANI-Frauen in Jakarta nackt vor den von den ‚PKI-Verschwörern’ entführten Generälen getanzt, sie später kastriert, ihnen die Augen ausgestochen und sie von ihren männlichen Kameraden töten lassen hätten. Die Zeitungen berichteten über GERWANI-Frauen, die sich im Tausch gegen Waffen an Angehörige des Militärs prostituiert hatten. In diesen Diskursen wurde die politische Handlungsfähigkeit von Frauen mit einer unkontrollierten und räuberischen Sexualität gleichgesetzt, wobei auf patrilineare Geschlechterideologien angespielt wurde, die die Sexualität und Reproduktion einer Frau als unter der Kontrolle ihrer männlichen Verwandten stehend betrachteten. Während männliche Kommunisten als böse Ideologen dargestellt wurden, die die politische Ordnung in Frage stellen, wurden weibliche Kommunisten als unmoralisch und unnatürlich dargestellt, die die Grundlagen von Religion, Tradition und Kultur in Frage stellen.

Anfang 1966, nachdem diese Geschichten über GERWANI monatelang in allen Ecken des Landes verbreitet worden waren, wurden Tausende von Frauen, meist junge, unverheiratete Teenager, deren männliche Verwandte bereits als angebliche Kommunisten getötet, inhaftiert oder bedroht worden waren, organisierten Kampagnen des sexuellen Terrors ausgesetzt. Paramilitärische Banden und das Militär zogen von Haus zu Haus und führten Leibesvisitationen durch. Sie behaupteten, sie suchten nach Beweisen für die kommunistischen Sympathien der Frauen in Form von Hammer- und Sicheltätowierungen auf der Vagina, dem Unterleib oder dem Oberschenkel. Häufig wurden diese ‚Durchsuchungen’ in Gegenwart verängstigter Familienmitglieder durchgeführt. Manchmal wurde den Frauen befohlen, sich bei Regierungs- und Militärbehörden für weitere ‚Untersuchungen’ zu melden, was oft in Vergewaltigung und Zwangsprostitution, die sich über Wochen, Monate oder sogar Jahre erstreckten, endete.

Indonesische Aktivisten haben festgestellt, dass solche ‚Durchsuchungen’ in vielen Orten stattfanden. Sie dienten als eine Technik des Terrors, die die Verwundbarkeit der inzwischen diskreditierten Hinterbliebenen sichtbar machte, indem sie sowohl die Körper der Frauen Erniedrigung und Misshandlung aussetzte als auch die Ohnmacht ihrer männlichen Verwandten und Kameraden, diese zu schützen, verdeutlichte. Die Gewalt und ihre Folgen waren in hohem Maße geschlechtsspezifisch, wobei Männer und Frauen in besonderer Weise ins Visier genommen und betroffen wurden und kulturelle Vorstellungen von Geschlecht, Sexualität, Körper und Familie manipuliert und fetischisiert wurden.

Indonesien sexualisierte Gewalt GERWANI

Jakarta 2012: Jede dieser Frauen war während der Suharto-Diktatur mehr als zehn Jahre im Gefängnis. Erst nach dem Rücktritt Suhartos 1998 konnten die Überlebenden der Kommunistenverfolgung ihre Stimme erheben. Eine staatliche Aufarbeitung der Verbrechen findet bis heute nicht statt. © Anett Keller, alle Rechte vorbehalten.

Vor der Tragödie vom 1. Oktober 1965 war GERWANI eine legale Organisation, die ihre Aktivitäten in ähnlicher Weise wie andere Frauenorganisationen durchführte und Mitglied des Indonesischen Frauenkongresses war. Mehrere ihrer Führerinnen waren Mitglieder der gesetzgebenden Versammlung, und zwei von ihnen saßen in der Parlamentsfraktion der PKI. Doch die symbolischen und physischen Angriffe auf weibliche Aktivistinnen, die sich GERWANI oder anderen Massenorganisationen angeschlossen hatten, zerstörte die größte Frauenorganisation vollends. Von diesem Zeitpunkt an wurde die Frauenbewegung vom Staat kontrolliert.

Auswirkungen auf die Frauenbewegung

Unter dem Suharto-Regime, der so genannten Neuen Ordnung, definierte der Staat die Identität und Rolle der Frauen in der Gesellschaft aktiv neu und schuf eine staatlich geförderte soziale Konstruktion von Geschlechterrollen. Die Neue Ordnung entwarf Politiken und Programme sowie landesweite Institutionen, die auf der Vorstellung von der Rolle der Frau als Ehefrau und Mutter basierten.

Die Rolle und Stellung der Frau stand in engem Zusammenhang mit der Politik der nationalen Entwicklung. In den 1970er Jahren wurde die nationale Entwicklung zur Verantwortung der gesamten indonesischen Bevölkerung, einschließlich der Frauen erklärt. Zu diesem Zweck verabschiedete die Regierung das Gesetz Nr. 5 von 1974. Dieses Gesetz stellte eine besondere Beziehung zwischen Frauen und dem Staat auf Regierungsebene her. Als soziale Gruppe wurde die Rolle der Frauen als wichtig für die erfolgreiche Umsetzung der nationalen Entwicklungsbemühungen angesehen. Das Regime der Neuen Ordnung definierte Frauen als Hausfrau und Mutter im häuslichen Bereich (vgl. dazu auch Artikel Das Heiratsgesetz macht Männer zu Hausherren von Lina Knorr auf suedostasien.net). Gleichzeitig wurden Frauen als Quelle billiger Arbeitskräfte für das Programm der raschen Industrialisierung und nationalen Entwicklung ausgebeutet. Zu diesem Zweck schuf der Staat die Geschlechternorm für indonesische Frauen mit dem Namen Panca Dharma Wanita Indonesia (Fünf Pflichten der indonesischen Frauen):

  1. Frauen als Ehefrau und Gesellschaft des Ehemannes.
  2. Frauen als Haushaltsmanagerinnen
  3. Frauen als Mütter und Reproduzentinnen der Kinder.
  4. Frauen als Erzieherinnen
  5. Frauen als indonesische Staatsbürger

Diese staatlich verordneten Frauenrollen wurden zu einer Ideologie für jede Frauenorganisation, unter dem Vorwand, dass Mütter oder Frauen dafür verantwortlich seien, eine harmonische Familie zu erhalten und die Entwicklung des Landes zu unterstützen. Die Vereinnahmung der Frauenrolle durch Frauenorganisationen, die vom Staat auferlegt wurde, war sehr effektiv.

Indonesien sexualisierte Gewalt GERWANI

Weibliche Überlebende der Massaker von 1965 mit Schauspielerinnen des 2014 uraufgeführten Theaterstückes Nyanyi Sunyi Kembang-Kembang Genjer/Der schweigende Gesang der Genjer-Blüte. Grundlage für das Stück waren die Erfahrungen überlebender Frauen. © Anett Keller

Zusammen mit der Einführung dieser Geschlechternormen bezeichnete sich Präsident Suharto als ‚Vater der Nation’, und er verbot auch alle massen-basierten Frauenorganisationen und -politiken, wie z.B. GERWANI. Der Begriff GERWANI wurde selbst als Stigma benutzt, um Frauen daran zu hindern, sich an politischen Aktivitäten zu beteiligen, insbesondere jene, die für die Rechte von Frauen und Marginalisierten kämpften.

Die Reduzierung der politischen Rolle der Frau auf eine der Mütter und Ehefrauen durch das Regime der Neuen Ordnung sorgte dafür, dass Frauen ihre politischen und wirtschaftlichen Räume verloren. Frauen wurden systematisch domestiziert und von der politischen Sphäre ausgegrenzt und als Bürgerinnen entmachtet.

Erst in den 1980er Jahren entstanden neue unabhängige Frauenrechtsorganisationen, die sich mit Arbeitsrechten, Gewalt gegen Frauen und staatlicher Gewalt, Wanderarbeitern und Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung befassten. Einige der ersten Organisationen waren Kalyanamitra, Solidaritas Perempuan und YASANTI in Yogyakarta. Diese Frauenorganisationen spielten eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung des Sturzes des Suharto-Regimes im Jahr 1998.

Noch heute kämpft die Frauenbewegung mit dem Trauma der sexualisierten Gewalt, die gegen so viele Aktivistinnen verübt wurde. Es bleibt noch viel zu tun, um Gerechtigkeit für die an GERWANI und Anderen begangenen Verbrechen zu erreichen und die von der Neuen Ordnung etablierten Geschlechterstereotypen zu überwinden.

Übersetzung aus dem Englischen von: Oliver Pye

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