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Heimkehr ins Leere

Philippinen, Buchmesse, Sonderausgabe

Die fiktive philippinische Insel Banwa ist der Schauplatz des Romans „Stille im August“. Dort sind die zwei Hauptpersonen Racel und Lia aufgewachsen. Jetzt leben beide in Singapur. Ansonsten könnten ihre Biographien kaum unterschiedlicher sein. Als sie nach Hause zurückkehren müssen, stehen sie den Geistern ihrer Vergangenheit gegenüber. Und das nicht nur metaphorisch. © NB Photology, pexels.com

Philippinen: Der Roman „Stille im August“ von Caroline Hau beschreibt mit Geschichten über Migration und Klassismus eindrucksvoll philippinische Lebensrealitäten. Anlässlich der Buchmesse ist er auch auf Deutsch erschienen.

Racel steckt mitten in einem ihrer 15-stündigen Arbeitstage in Singapur, als sie die Nachricht erreicht, dass ihre Mutter während eines Taifuns verschwunden ist. Als „Overseas Filipino Worker“ (OFW) hat sie einen straffen Zeitplan und wenige Freiheiten, sodass sie nicht unmittelbar auf ihre Heimatinsel zurückreisen kann und sich zunächst aus dem fernen Singapur sorgen muss.

Lia, deren einflussreichen Eltern jene Heimatinsel gehört, gelangt durch eine gelüftete Affäre in die Schlagzeilen des Stadtstaates Singapur. Zur Schadensbegrenzung zitiert ihre Mutter sie zurück auf das dünn besiedelte Banwa mit den weitläufigen Zuckerrohrfeldern. Dort befindet sich zwar der familiäre Hauptsitz, aber keiner ihrer Verwandten wohnt mehr auf der Insel. Auch Lia trifft das Verschwinden von Racels Mutter, denn diese war früher ihr Kindermädchen. Aus diesem Grund sagt Lia Racel ihre volle Unterstützung zu. So beginnt die Suche nach Spuren der beliebten, allseits bekannten Frau, von der Racel sich schon bald fragt, wie gut sie sie eigentlich selbst kannte.

Geschichten von Armut und Macht

Die Insel Banwa ist der hauptsächliche Schauplatz des Romans, der trotz seiner Fiktionalität eine allgemeingültige Geschichte erzählt. Die Autorin greift im Verlauf des Buches zahlreiche Themen auf und geht besonders detailliert auf die philippinische Küche, den Katholizismus und die Mythologie des Landes ein. Auch Informationen über die Kolonialzeit, über den noch heute vorherrschenden Klientelismus und die Armut der Mehrheitsgesellschaft werden fein mit der Erzählung verwoben.

Philippinen, Buchmesse, Sonderausgabe

Buchcover © Verlag Das Wunderhorn

So schildert Racel beispielsweise die Hungerperioden ihrer Kindheit, in denen es wochenlang nur Süßkartoffeln und Bananen gab, und beschreibt die durch wenig Nahrung immer größer werdenden Bäuche. Auch die regelmäßig von Taifunen zerstörten Hütten sowie die harte Arbeit auf den Feldern gehörten für sie zum Alltag. Lia währenddessen positionierte sich in ihrer Jugend öffentlich gegen politische Maßnahmen des Präsidenten, einem Verbündeten der Familie. Daraufhin wurde sie von ihrem Vater gezwungen, das Land zu verlassen, und musste unter anderem jene Abwertung erfahren, die Philippiner:innen aufgrund ihrer Herkunft in der Fremde oft zuteil wird.

Gemeinsam im Geisterhaus

Zusammen im Anwesen von Lias Familie hängen die beiden Frauen ihren Erinnerungen nach und schildern abwechselnd ihre Beobachtungen und Werdegänge. Dabei wird zwar ihr Klassenunterschied deutlich, aber auch die ihnen gemeinsame Resignation über den Verlauf ihrer Leben und den Zustand ihres Landes. Und ganz nebenbei beschäftigen sie Geräusche in Nebenzimmern und auf der Treppe neu angeordnetes Geschirr – doch niemand in dem alten Haus will es gewesen sein.

„Stille im August“ heißt im Original „Tiempo Muerto“, was „tote Zeit“ bedeutet, eine Bezeichnung aus der Kolonialzeit, die auf den Philippinen noch immer für jenen Zeitraum verwendet wird, in dem die Felder abgeerntet sind und die landwirtschaftliche Arbeit vorerst zum Erliegen kommt. Auch Racel und Lia erleben metaphorisch diese tote Zeit voller Stillstand und der Frage, wie es jetzt weitergehen soll.

Kein Einzelfall – philippinische Migrantinnen

„Stille im August“ ist der erste Roman von Caroline Hau, die Professorin für südostasiatische Literatur an der Universität von Kyoto ist. Das Buch erschien 2019 im Original und wurde nun ins Deutsche übersetzt. In ihrem Roman geht die Autorin stark auf das Leben von OFWs ein. Zu Beginn befindet sich Racel in der Wohnung einer reichen Singapurer Familie, für die sie seit einigen Jahren arbeitet. In ihrem Heimatland eigentlich als Lehrerin ausgebildet, ließ sie sich nach dem Studium über eine Agentur in den Stadtstaat vermitteln. Laut der nationalen philippinischen Statistikbehörde traf diese Form der Arbeitsmigration im Jahr 2023 auf etwa 2,16 Millionen Philippiner:innen zu. Oft üben sie geringqualifizierte Tätigkeiten aus, verdienen aber besser als zu Hause. Die Rücküberweisungen, die sie an ihre Familien tätigen, stellen einen großen Faktor für die philippinische Wirtschaft dar. Als Konzept mit proaktiver Rekrutierung existiert diese Praxis dort seit den 1970ern und wird als Entwicklungsstrategie betrachtet.

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„Stille im August“ ist der erste Roman von Caroline Hau, die bisher vor allem für Sachbücher über philippinische Literatur und Kultur bekannt ist. © Privat

Wie auch Racel verlassen überwiegend Frauen temporär das Land, meistens innerhalb von Asien. Berichte von Missbrauch, Ausbeutung und Belästigung sind dabei nicht selten. Auch im Roman wird darauf Bezug genommen: Wenn Racel zum Beispiel von ihrem einen freien Tag in der Woche spricht und dabei erwähnt, dass es diesen bis 2013 nicht verpflichtend gab. Oder wenn sie Erleichterung darüber äußert, dass sich in ihrer winzigen Kammer in der Wohnung ihrer Arbeitgeber keine Kamera befindet. Auch im Inland sind philippinische Hausangestellte in wohlhabenderen Familien weit verbreitet, oft kämpfen auch sie mit unwürdigen Arbeitsbedingungen und Geringschätzung – wenn nicht sogar mit Schlimmerem. Auch hierauf geht der Roman ausführlich ein.

Ein literarisches Porträt

Trotz Leerlauf und Entfremdung zwischen allen Zeilen liest sich der Text nicht zu zäh und wird sogar immer wieder ziemlich spannend. Einzig die Tatsache, dass die Seiten mit vielen Wörtern in verschiedenen philippinischen und anderen Fremdsprachen gespickt sind, die nur im Glossar auf den letzten Seiten erklärt werden, stört den Lesefluss ungemein und hätte reduziert werden können. Diese Wörter und ihre Bedeutungen sind zwar interessant, führen aber dazu, dass man auch in fesselnden oder emotionalen Absätzen zu den letzten Seiten des Buches blättern muss, um den jeweiligen Kontext vollends zu verstehen.

Caroline Hau hat einen Roman voll von Migrationsgeschichten und Klassismus geschrieben, eine eindrucksvolle Aufnahme philippinischer Lebensrealitäten. Indem sie am laufenden Band die Kultur des Landes in den Text streut, bringt sie den Lesenden die literarisch unterrepräsentierten Philippinen ganz nah und vermittelt das Gefühl, gemeinsam mit Rachel und Lia auf Banwa zu sein.

Rezension zu: Caroline Hau. Stille im August. Übersetzung Susanne Urban. 2025. Verlag Das Wunderhorn. 350 Seiten.

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Tabea Herzgerodt studiert Skandinavistik und Südostasienwissenschaften an der Universität Bonn und arbeitet bei einer NGO. Sie hegt ein besonderes Interesse für Literatur.

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