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Gastarbeit – Gast-Aktivismus: Indonesische Kurzzeit-Migrant*innen in Taiwan

Ein indonesischer Arbeiter*innenverein zeigt Flagge am Hauptbahnhof in Taipeh © Petra Melchert

Ein indonesischer Arbeiter*innenverein zeigt Flagge am Hauptbahnhof in Taipeh © Petra Melchert

Indonesien/Taiwan: Migrant*innen werden in Taiwan als sogenannte „Nutzmenschen“ ausgebeutet. Arbeiter*innenorganisationen konnten aber trotzdem einige Erfolge bei der Durchsetzung ihrer Rechte erzielen.

 

Seit den 1980er Jahren hat sich in Südostasien ein System der Kurzzeit-Migration entwickelt, welches Niedriglohn-Länder in Entsendungsstaaten und aufstrebende Volkswirtschaften in Aufnahmeländer verwandelt hat.

Die entsendenden Staaten profitieren von dem heimgebrachten Geld ihrer Bürger*innen; in Indonesien werden die Arbeitsmigrant*innen deshalb als pahlawan devisa („Devisen-Held*innen“) bezeichnet. Da die Kurzzeit-Migrant*innen aber vor allem in so genannten 3D-Jobs (dirty, dangerous, and demanding) eingesetzt werden, werden sie von der Aufnahmegesellschaft nur gering geschätzt und ungleich behandelt. Die Arbeitsbedingungen sind häufig geprägt von Ausbeutung, niedriger Bezahlung, Ausschluss aus dem Sozialsystem und – im schlimmsten Fall – von körperlicher sowie sexueller Gewalt und Menschenhandel. Obwohl dieses Problem seit Jahren bekannt ist und bilateral diskutiert wird, lassen einheitliche Gesetze und Kooperationen auf sich warten.

Für die Migrant*innen wird die Wahl des Arbeitslands deshalb zur Suche nach dem „kleinsten Übel“. Taiwan ist bei vielen der Kurzzeit-Migrant*innen beliebt, da es sowohl in politischer als auch in religiöser Hinsicht liberal ist und der Mindestlohn etwas höher liegt als in den Vergleichsländern. Insbesondere bei Indonesier*innen, welche für ihren Aufenthalt nicht die muslimischen Gesellschaften von Saudi Arabien oder Malaysia bevorzugen, ist Taiwan in den letzten Jahren zum beliebtesten Arbeitsland geworden. Sie stellen deshalb mittlerweile die größte Gruppe der Kurzzeit-Migrant*innen in Taiwan.

Die „Nutz-Menschen“ Taiwans

Die schlechten Arbeitsbedingungen und das Risiko, Opfer von Ausbeutung oder Misshandlung zu werden, sind in Taiwan allerdings ebenso vorhanden wie in den übrigen Zielstaaten. Kurzzeit-Migrant*innen werden von Taiwan schon per Gesetz schlechter behandelt als die Allgemeinbevölkerung oder immigrierte Fachkräfte. Von Sozialwesen, Familiennachzug und Einbürgerung ausgeschlossen, gilt für sie ein niedrigerer Mindestlohn, eine eigene Steuer und ein Arbeitgeber*innen-gebundenes Visum./

Die wenigen Regelungen zu ihrem Schutz werden häufig nicht umgesetzt. Zwischen Opfern von Menschenhandel und irregulären Migrant*innen wird meist nicht unterschieden. Innerhalb des Migrationsprozesses sind die Arbeitsmigrant*innen einer ständigen Fremdbestimmung ausgesetzt: von den teils dubiosen Vermittlungsagenturen, die horrende Preise verlangen, bis zu den Privathaushalten, Fischerbooten oder Fabriken, in denen die Migrant*innen letztlich arbeiten, bleibt das Risiko, ausgebeutet zu werden, konstant hoch.

Umgangssprachlich wird diese Gruppe von Migrant*innen von der Mehrheitsbevölkerung deshalb yong ren (用人, „Nutz-Menschen“) genannt, ihre ständige Verfügbarkeit wird von ihren Arbeitgeber*innen oft vorausgesetzt.

Viele der Migrant*innen sind sich über ihre Rechte nicht im Klaren; die Arbeitsverträge liegen häufig nur auf Chinesisch vor und werden von den Eingewanderten arglos unterschrieben. In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Selbstorganisation der Kurzzeit-Migrant*innen in eigens gegründeten Arbeiter*innenorganisationen deshalb stark an Bedeutung gewonnen.

Wer setzt sich für die Rechte der Migrant*innen ein?

Um die Jahrtausendwende konnten auf Taiwan etwa 20 Einrichtungen gezählt werden, welche sich mit den Belangen von Migrant*innen auseinandersetzten, dazu zählten neben den Botschaften der jeweiligen Herkunftsländer vor allem Kirchen. Diese Angebote wurden überwiegend von den philippinischen Hausmädchen genutzt, welche mittlerweile zahlenmäßig von indonesischen Arbeiter*innen abgelöst wurden. Letztere nutzen die große Moschee in der Hauptstadt sowie die indonesischen Auslandsvertretung als zusätzliche Anlaufstellen. Beide Institutionen werden aber nur dann aktiv, wenn indonesische Migrant*innen in Abschiebegefängnissen sitzen.

Deshalb haben die indonesischen Arbeiter*innen begonnen, eigene Organisationen zu gründen. Dies geschah vorrangig mithilfe der nationalen Migrant*innenorganisation Taiwan International Workers Association (TIWA), welche ebenfalls zur Jahrtausendwende entstand und welche weiterhin die einflussreichste Organisation ist, wenn es um die Rechte der Migrant*innen in Taiwan geht.

Indonesische Migrant*innen lernen, wie man Pilze anpflanzt © Petra Melchert

Indonesische Migrant*innen lernen, wie man Pilze anpflanzt © Petra Melchert

Erfolge der Migrant*innenorganisationen

Hauptziel der Migrant*innenorganisationen ist es, die ausländischen Arbeiter*innen über das Gesetz und ihre Rechte zu informieren, ihnen den Rücken zu stärken und auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Neben Kursen zum taiwanischen Arbeits- und Migrationsgesetz bieten viele Organisationen Sprachkurse für Chinesisch und Englisch an. Einige Gruppen haben darüber hinaus Computer- und Businesskurse eingeführt sowie Workshops zu Landwirtschaft und Viehzucht, um den Kurzzeit-Migrant*innen nach ihrer Rückkehr ins Heimatland den Einstieg in die Selbstständigkeit zu ermöglichen. Daneben gibt es Arabischkurse, Koranstunden sowie gemeinsame Wochenendausflüge. In akuten Fällen werden Spenden gesammelt für Opfer von Menschenhandel oder Naturkatastrophen im Heimatland.

Am Sonntag, regulär der einzige freie Tag der Woche (um den die Kurzzeit-Migrant*innen oft kämpfen müssen), finden Demonstrationen vor populären Einkaufszentren statt. Die verschiedenen Organisationen kooperieren sehr eng miteinander, viele Mitglieder sind in mehreren Gruppierungen gleichzeitig aktiv.

Schon einige Erfolge konnten die Migrant*innenorganisationen durch ihr Engagement erzielen: die Sondersteuer für ausländische Arbeitskräfte wurde reduziert, der verpflichtende Schwangerschaftstest für Migrantinnen wurde abgeschafft, Fällen von Menschenhandel wurde durch Publikmachung der Organisationen erfolgreich nachgegangen, Täter landeten vor Gericht.

Herausforderungen für Migrant*innen-Organisationen

Ein Problem, mit dem sich die Organisationen kontinuierlich konfrontiert sehen, ist der Zugang zu den eigenen Mitgliedern. Da vielen Migrant*innen, insbesondere solchen in Privathaushalten oder auf Fischerbooten, selten oder nie Freizeit zugestanden wird, können sie schwer erreicht werden.

Für die Zukunft ergeben sich spezielle Herausforderungen für die Organisationen vor allem aus dem grundlegenden Charakter der Kurzzeit-Migration. Durch den auf maximal sechs Jahre befristeten Aufenthalt der Arbeiter*innen ist die Mitgliederfluktuation extrem hoch, ständig gehen engagierte Mitglieder, Neuankömmlinge wissen oft nicht um die Existenz der Organisationen. Die einzigen dauerhaften Mitglieder sind taiwanische Sozialarbeiter*innen und Indonesier*innen, die durch Heirat ein dauerhaftes Bleiberecht erworben haben. Viele kleinere, lokale Organisationen verschwinden zusammen mit ihren Gründer*innen wieder oder verfallen in Inaktivität. Der temporäre Status der Migrant*innen verwehrt es ihnen, sich als vollumfängliche Mitglieder der Organisationen oder der Aufnahmegesellschaft zu etablieren. Hier könnte eine bessere Koordination und Öffentlichkeitsarbeit durch die indonesische Auslandsvertretung abhelfen, welche die Organisationen idealerweise schon im Heimatland bekannt macht.

 

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