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Fuchshaie und Korallenschutt – Tauchen auf den Philippinen
Die Philippinen zählen zu den Ländern mit der höchsten maritimen Biodiversität weltweit. Die Übernutzung der Meere bedroht diese Vielfalt. Liegt im Tauchtourismus ein Potential für ihren Schutz?
Vier Uhr. Das Handy dudelt eine fröhliche Melodie. Am Horizont, im Osten, ist der heraufziehende Morgen zu erahnen. In der Tauchbasis verbreitet eine einsame Glühbirne an der Decke milchiges Licht. Alles liegt bereit: Neopren-Anzug, Bleigürtel, Flossen, Maske. Die Tarierweste ist bereits mit der Druckluftflasche verbunden.
Halb fünf. Knirschend schiebt sich der Bug des Auslegerboots durch den Sand. Der Boatman gibt einen letzten Stoß, springt auf und wirft den Motor an. Monad Shoal, die versunkene Insel, ist unser Ziel. Ich habe keine Ahnung, wie der Bootsführer sich orientiert, wie er den unsichtbaren Punkt auf dem dunklen Meer ansteuert. Dann springen wir ins Wasser, bald wird die orange-rote Sonne den Horizont erhellen.
Wir lassen uns auf 14 Meter sinken, auf ein kleines Unterwasser-Plateau. An der Seite geht es noch einmal über 20 Meter weiter in die Tiefe. Auf einem schmalen Absatz, der einem Unterwasser-Balkon gleicht, knien wir nieder und halten uns an dort verankerten Leinen fest. Das Wasser ist dämmrig blau-grau, hier unten gibt es kaum noch Farben. Wir blicken in die Tiefe. Und dann sind sie plötzlich da, die majestätisch-souveränen, bizarren Fuchshaie. Erst einer, dann zwei, schließlich ein Dritter tauchen sie aus der bodenlosen Tiefe auf, ihre Körper vielleicht zwei Meter lang, der schräg nach oben gerichtete obere Teil der Schwanzflosse noch einmal fast ebenso lang. An ihnen, um sie herum machen sich Putzerfische zu schaffen. Gemächlich ziehen die Haie vor uns ihre Kreise. Versunken in den Anblick vergesse ich die Zeit.
So geht es mir beim Tauchen immer wieder. Die Unterwasserwelt ist so anders als alles, was es auf dem Land gibt. Nirgendwo an Land kann ich mit einem einzigen Blick so viel buntes Leben entdecken: Korallen in den absonderlichsten Formen, elegante Nacktschnecken, Fische in grellen Farben, bizarre Krebse mit riesigen Scheren. Ich bewege mich in einem dreidimensionalen Raum, nicht eingeschränkt durch einen festen Boden unter den Füßen. Atem und Flossen bestimmen die Position. Auch über Kopf lässt sich die Korallenwelt prima beobachten.
Zentrum maritimer Biodiversität
Die Philippinen liegen im Coral Triangle, dem Weltzentrum der marinen Biodiversität. Hier findet man knapp 600 von insgesamt 800 Riffbildenden Korallen. Zum Vergleich: das australische Great Barrier Reef weist nur knapp 400 Arten auf und liegt damit auf der Biodiversitätsskala an dritter Stelle (Jürgen Freund, Hg.; Sulu-Sulawesi-Seas; Manila 2001). In den philippinischen Wassern findet man 33 Mangrovenarten, 800 Algenarten, mehr als 1.200 Arten von Rifffischen, 22 Wal- und Delfinarten. Außerdem leben hier Seekühe (Dugong) und Walhaie, die größten Fische der Welt.
Die Philippinen verfügen als Inselnation zwischen Pazifik und Südchinesischem Meer (das wegen der aggressiv vorgetragenen Gebietsansprüche von China inzwischen gern Westphilippinische See genannt wird) einschließlich der Ausschließlichen Wirtschaftszone AWZ über eine Wasserfläche von 2.200.000 km². Im Vergleich dazu macht die philippinische Landfläche gerade einmal 300.000 km² aus. Korallenriffe finden sich auf 27.000 km². Damit sollten die Voraussetzungen für eine gute Eiweißversorgung der Bevölkerung aus dem Meer gegeben sein. Allerdings stellt sich bei genauerer Betrachtung heraus, dass die Fischbestände der Philippinen an ihre Grenzen gekommen sind. Man unterscheidet bei der Fischproduktion drei Sektoren: den gemeindebasierten (municipal) Fischfang mit Booten unter drei Bruttoregistertonnen und bis zu 15 km von der Küstenlinie, den kommerziellen Fischfang mit größeren Booten abseits der Küste und die Aquakultur.
Grenzen und Folgen der Fischproduktion
Die gesamte Fischproduktion der Philippinen in allen drei Sektoren zusammen erreichte 2010 mit rund fünf Millionen Tonnen ihren Höhepunkt. Seitdem nimmt sie kontinuierlich ab, 2021 waren es nur noch rund vier Millionen Tonnen. Interessant dabei ist, dass dieser Rückgang alle drei Sektoren betrifft. Vor allem der gemeindebasierte Fischfang stellt traditionell eine günstige Eiweißquelle für die ländliche Bevölkerung sicher. Bei einer insbesondere auf dem Land und in ärmeren Gemeinden stetig wachsenden Bevölkerung ist der Rückgang des Fischfangs jedoch nicht durch eine abnehmende Nachfrage zu erklären. Vielmehr hat die intensive Befischung die philippinischen Bestände an ihre Grenzen gebracht und sie vielerorts bereits überschritten.
In einer Situation abnehmender Fischbestände greifen Fischer*innen immer häufiger zu destruktiven Methoden. Ich kann mich an keinen einzigen Tauchgang vor der Insel Cebu erinnern, bei dem ich keine Unterwasserexplosion gehört hätte. Dynamit-Fischen ist eine Fischereimethode der Verzweiflung. Dabei werden meist aus Glasflaschen und Sprengstoff selbstgebaute Granaten im Wasser zur Explosion gebracht. Die Druckwelle zerstört die Schwimmblasen der Fische und tötet oder betäubt sie. Diese Methode ist höchst ineffizient, weil von 10 getöteten Fischen nur einer oder zwei an die Oberfläche treiben und eingesammelt werden können, der Rest sinkt zu Boden. Zugleich wird alles Meeresleben im Umkreis geschädigt oder zerstört. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 70.000 der einen Million Kleinfischer*innen in den Philippinen mit Hilfe von Sprengladungen fischen.
Weit verbreitet ist auch die Fischerei mit Zyanid, das vor allem für den Fang von Zierfischen für den Aquarienhandel eingesetzt wird. Dabei wird das Gift aus einer Spritzflasche ins Wasser gegeben. Ziel ist es, die Fische zu betäuben, damit sie eingesammelt und lebend verkauft werden können. Da aber die Dosierung im Meer kaum zu kontrollieren ist, sterben auch bei dieser Methode zahlreiche Fische, Korallen und anderes Meeresleben.
Gefährliches Tauchen
Eine besondere und besonders gefährliche Form des Tauchens zum Fischfang ist das Kompressortauchen, pa’aling genannt. Dabei springen Gruppen von Fischern ins Meer, um gemeinsam ganze Fischschwärme in riesige Netze zu treiben. Sie tauchen bis zu 40 Meter tief; mit Atemluft versorgt sie ein kleiner Plastikschlauch, der an einem rostigen Kompressor auf einem Boot hängt. Ein Boot trägt bis zu 25 Taucher, oft operieren vier Boote gemeinsam. Pa’aling ist vor allem um die Insel Palawan herum verbreitet. Es wird geduldet, weil es die noch viel schädlichere und gefährlichere muro-ami Fischerei abgelöst hat, bei der Gruppen von Kindern unter Wasser mit Steinen auf Riffe und Korallen schlagen, um Fische in die Netze zu treiben.
Eine häufige Erscheinung beim Kompressortauchen ist die Dekompressionskrankheit, bei der unter Druck im Blut gelöster Stickstoff beim schnellen Auftauchen Bläschen bildet und eine Lungenembolie auslösen kann. Sie verläuft oft tödlich. Druckkammern, die Betroffene retten könnten, stehen in den Fischereikommunen nicht zur Verfügung.
Auch das Freizeittauchen verursacht Schäden. Schlecht ausgebildete und unerfahrene Taucher, häufiger Männer als Frauen, schlagen mit ihren Flossen auf Korallen und brechen Stücke ab. Sie versuchen, Fische und Federsterne zu berühren, und lassen sich von großen Meeresschildkröten durchs Wasser ziehen. Zugleich liegt im Freizeittauchen auch eine Chance für den Erhalt der philippinischen Unterwasserwelt.
Tauchtourismus als Wirtschaftsfaktor
Tauchtourismus ist ein wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung in vielen philippinischen Regionen. Einige der besten und bekanntesten Tauchgebiete weltweit sind hier zu finden: das Tubbataha-Riff, seit 1993 UNESCO Welterbe, das Apo-Riff, Coron mit seinen bizarren Weltkriegswracks, Malapascua mit seinen Fuchshaien, Anilao, das Nacktschnecken-Paradies, Apo Island mit einer Vielzahl an Schildkröten und den behäbigen Anglerfischen. Über 300 Tauchbasen im Land gehören zum Netzwerk der bekanntesten Tauch-Zertifizierungs-Organisation Professional Association of Diving Instructors (PADI). Zahlreiche andere sind mit weiteren Organisationen verbunden.
In der Frühzeit des Tauchtourismus in den Philippinen in den 1970er und 80er Jahren waren Betreiber*innen der Tauchbasen, Tauchlehrer*innen und Guides überwiegend ausländischer Herkunft, vor allem aus Europa. Das hat sich inzwischen geändert. Auch wenn es in der Freizeit-Tauchindustrie noch immer viele Ausländer*innen gibt, ist die Mehrheit der dort Tätigen nun einheimisch.
Das Tourismusministerium misst dem Tauchtourismus große Bedeutung und ein starkes Wachstumspotenzial zu. Das Ministerium schätzt, dass etwa fünf Prozent der ausländischen Tourist*innen Freizeittaucher*innen sind. Das Einkommen aus Tauchtourismus weltweit wurde für 2022 mit knapp vier Milliarden US-Dollar angegeben. Zahlen für die Philippinen sind nicht bekannt. Man geht aber davon aus, dass Tauchtourist*innen über eine höhere Bildung und ein größeres Einkommen verfügen, mehr Nächte im Land verbringen und pro Tag mehr ausgeben als der Durchschnitt der Tourist*innen. Hinzu kommt eine stark wachsende Zahl einheimischer Taucher*innen.
In agrarisch geprägten Gesellschaften sind Konzepte von Urlaub und Freizeit einer kleinen Schicht von Grundbesitzenden und anderweitig Wohlhabenden vorbehalten. In der Ära der Call Center und des so genannte Business Process Outsourcing eröffnen sich für gebildete, Englisch sprechende junge Menschen zahlreiche Möglichkeiten, um mehr zu verdienen als sie für den unmittelbaren Lebensunterhalt brauchen. Seitdem boomt auch der lokale Tourismus, einschließlich des Tauchtourismus. Hinzu kommen die Überweisungen der philippinischen Arbeitsmigrant*innen, die zahlreichen Familien einen Lebensstil jenseits ihrer eigenen Einkommensmöglichkeiten eröffnen.
Schutz der Tauchgebiete
Für viele Fischereigemeinden ergeben sich daraus neue Perspektiven. Wo die Fischerei fast nichts mehr einbringt, lässt sich mit Beherbergung und Verköstigung von Tourist*innen, mit dem Verleih von Tauch- und Schnorchelausrüstung, mit Bootstouren und -verleih, Tauchunterricht und Tauchführung ein Einkommen erzielen. Dazu gehören allerdings intakte Korallenriffe.
Bisher gibt es für die Philippinen keine wirklich belastbare Berechnung des ökonomischen Werts intakter Korallenriffe. Eine Studie von 2018 schätzt den Total Economic Value eines Korallenriffs aus Fischerei, Gesundheits- und Freizeitwert auf etwa 140.000 US-Dollar pro km² und Jahr. Viele Gemeinden haben daher inzwischen Initiativen für den Schutz ihrer Riffe ergriffen, Meeresschutzgebiete ausgewiesen, eine Gruppe von Wachleuten namens Bantay Dagat mit ihrem Schutz beauftragt, und erheben Gebühren für den Zugang zu den Riffen. Feste Bojen werden angelegt, damit die Tauch- und Freizeitboote die Korallen nicht mit ihren Ankern zerstören. Tauchbasen, einheimische Nichtregierungsorganisationen, Lokalverwaltungen und Schulen engagieren sich in Umweltbildung. Apo Island, die kleine Insel vor Dumaguete auf Negros und eines der bekanntesten Tauchgebiete, hat seine Korallenriffe bereits vor dreißig Jahren unter Schutz gestellt und erhebt Gebühren von allen Besucher*innen. Hier kann man eine unvergleichlich schöne Unterwasserwelt erleben und große Seeschildkröten beim Weiden in den Seegraswiesen beobachten. Fischerei spielt kaum noch eine Rolle. Die Riffe sind dafür einfach zu kostbar.
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