Indonesien: Nach der globalen Wirtschaftskrise im Jahr 2008 kam es zu technologischen Innovationen im Plattformkapitalismus, die zu Neuerungen in Vertriebsprozessen führten. Seitdem nimmt der Onlinehandel zu. Durch Nutzung digitaler Technologien wurden Vertriebsprozesse wesentlich schneller. Im Mittelpunkt dieses Artikels stehen Chancen und Herausforderungen von Frauen im Onlineshop-Geschäft.
Im „Plattformkapitalismus“ besitzen Kapitalisten die Onlineplattformen, das heißt, die „digitale Infrastruktur“. Durch das Nutzen digitaler Werkzeuge und Technologien, einschließlich Daten und Netzwerke, wird es zum Geschäftsmodell. Das Online-Geschäft bietet flexible Arbeitszeiten und Arbeitsplätze, jedoch geht es häufig mit geringer Bezahlung einher.
Im Onlineshop-Geschäft kann zwischen zwei Formen unterschieden werden: Zum Einen gibt es online-basierte Kaufhäuser, so genannte „Marktplatzfirmen“, wie zum Beispiel Amazon und Ebay. Zum Anderen finden sich die auf „sozialen Medien“ basierenden Onlineshops (social media-based online stores – SMBOS), bei denen Verkäufer*innen ihre Onlineshops auf „sozialen Netzwerken“ anlegen, wie zum Beispiel auf Instagram und Facebook, zwei der gängigsten Plattformtypen im Plattformkapitalismus. Im Jahr 2016 wurde ein signifikanter Anstieg im Logistiksektor in Indonesien bemerkt. 60% des Umsatzes kamen vom Onlinehandel. Indonesische Arbeiterinnen im SMBOS-Sektor werden daher im Folgenden näher betrachtet.
SMBOS werden überwiegend von Frauen betrieben. Flexibilität, eine der Haupteigenschaften des Plattformkapitalismus, erlaubt es jeder Person im Onlineshop-Sektor zu arbeiten oder Onlinegeschäfte selber zu betreiben und das von überall aus, sogar von zu Hause. Dies führte zu einer hohen Beteiligung von Frauen in allen möglichen Arbeitsbereichen von SMBOS. Bekanntermaßen wird in einer kapitalistischen Gesellschaft das Bild der Frau so konstruiert, dass sie die Verantwortliche für Aufgaben der sozialen Reproduktion ist, wie zum Beispiel Haushaltsführung und Kindererziehung. Um diese Aufgaben meistern zu können, benötigen Frauen, wenn sie zusätzlich Lohnarbeit nachgehen wollen, räumliche und zeitliche Flexibilität. Genau diese bieten SMBOS.
Frauen nehmen drei verschiedene Rollen in indonesischen SMBOS ein. Es gibt die SMBOS-Eigentümerinnen: Diese stellen ihre eigenen Angestellten ein und treten in Partnerschaften, zum Beispiel mit Stoff-Fabriken so genannten konveksi. Konveksi sind kleine hausbasierte Stoff-Fabriken die dem Kleinunternehmermodell folgen. Konveksi ist die Hauptproduktionsart im Fashion-Sektor der SMBOS. Im Gegenzug zu den „reinen“ Eigentümerinnen gibt es Frauen, die als Besitzerin und Arbeiterin gleichzeitig agieren. Als Geschäftsführerinnen der SMBOS stellen sie die Produkte her und vertreiben diese eigenständig. Außerdem gibt es Arbeiterinnen, zum Beispiel im Konveksi Modell, die unter Fabrik-ähnlichen Umständen beschäftigt sind. Ihre Aufgaben sind unter anderem das Sortieren, Verpacken und Versenden der bestellten Ware an Logistikunternehmen.
Die zeitliche und räumliche Flexibilität des Onlinegeschäfts führt dazu, dass viele Frauen denken, Arbeit im Onlinesektor sei der „perfekte Job“. Sie könnten Geld verdienen, indem sie für SMBOS arbeiten und „nebenbei“ ihre sozialen Reproduktionsaufgaben zu Hause erledigen. Einige Frauen haben daher ihre bisherigen Stellen aufgegeben, um sich voll auf die Arbeit mit den SMBOS zu konzentrieren und gleichzeitig für ihre Familien zu sorgen. Besonders Frauen, die Bürojobs hatten, aber sich keine Babysitter oder Tagespflegeeinrichtungen leisten konnten, empfinden dies als eine „perfekte“ Lösung. Doch so perfekt ist der Job nicht.
Mit der Flexibilität, die die SMBOS einerseits bieten, z.B. keine geregelten Arbeitszeiten, entsteht ein immenser permanenter Wettbewerbsdruck, Kund*innen zu halten und ständig neue Kund*innen zu werben. Das Einkommen bzw. der Gewinn wird durch die Transaktionen der Kund*innen bestimmt. Dadurch entsteht der Bedarf eines zeitintensiven Kund*innenkontakts, um diese an das Geschäft zu binden. Einige Frauen klagen darüber, dass das Online-Geschäft – genau wie jede andere Arbeit – sehr viel Zeit in Anspruch nimmt.
So sagte eine der Betroffenen im Interview mit der Autorin: „Es ist schwierig, meiner Arbeit im Online-Geschäft und der Hausarbeit für meine Kinder und meinen Mann, gerecht zu werden. Es ist so herausfordernd, dass ich glaube, dass ich entweder den Onlineshop oder meine Familie opfern muss, um erfolgreich zu sein.“
Eine Ausnahme sind Frauen der höheren sozialen Schichten, die Hausangestellte und Kindermädchen beschäftigen können, um ihre SMBOS-Arbeit zu erledigen. Besonders im Nahrungsmittelsektor, wo hausgemachte Produkte verkauft werden, werden Hausangestellte als Köch*innen eingesetzt. Die SMBOS-Eigentümerinnen behandeln ihre Angestellten häufig auf eine sehr ausbeutende Weise, indem sie von ihnen lange exzessive Arbeitszeiten fordern, bei geringem Lohn und keinerlei sozialer Absicherung. In manchen Fällen leben die SMBOS-Angestellten in den Häusern der Eigentümer*innen, vernachlässigen dadurch ihre eigenen Familien und werden sehr schlecht bezahlt.
Im Kapitalismus wird soziale Reproduktion als Verantwortung der Frau bestimmt, während die Arbeit von Männern, als die eigentliche „Arbeit“ angesehen wird. Die Arbeit die Frauen verrichten, wird häufig als selbstverständlich angesehen. Sie ist „unsichtbar“, im Bewusstsein der Gesellschaft nicht präsent und wird häufig nicht als Arbeit anerkannt. Die Arbeit der sozialen Reproduktion wird häufig mit „Diensten aus Liebe zur Familie“ gleichgesetzt.
Trotz der harten Arbeit haben Frauen somit ein niedriges Selbstwertgefühl. Auch die Arbeit, die die Frauen in SMBOS verrichten, kann als reproduktive Arbeit bezeichnet werden. Dazu gehören Unterhaltungen mit Kunden über Online-Chats, die häufig als Fürsorgetätigkeit angesehen werden oder als Kundendienst, aber nicht als „echte Arbeit“. Sogar Frauen, die Onlineshops auf ihren Social Media-Kanälen besitzen werden generell dennoch als Hausfrauen bezeichnet und nicht als Arbeiter*innen. Eine Frau berichtete, dass sie bis zu acht Stunden pro Tag als „Resellerin“ agiert. Dennoch beschrieb sie sich selber wie folgt: „Ich bin eine ganz normale Hausfrau. Ich helfe nur meinem Mann.“ Die Frau generierte allerdings das höchste Einkommen in der Familie. Trotz solcher Tatsachen werden Frauen höchstens als „Zuverdienerinnen“ angesehen.
Einige Frauen suchten sich Arbeitsstellen außerhalb des Hauses, um nicht komplett zu vereinsamen. Die meisten Frauen strebten danach, finanziell unabhängiger von ihren Ehemännern zu werden, um den patriarchalischen Strukturen zu Hause zu entkommen. In kapitalistischen Strukturen haben Frauen fast keinen Zugang zu „eigenem“ Geld und leben häufig in Armut. Gleichzeitig ist es schwierig für Frauen, Arbeit außerhalb des Hauses anzunehmen, da sie für die Hausarbeit zuständig sind. Daher stellt das Onlineshop-Geschäft eine der wenigen Optionen für sie dar, der Armut zu entkommen.
Die flexiblen Gegebenheiten der Arbeit im Online-Geschäft hat dazu geführt, dass „Zuhause“ zum zentralen Arbeitsplatz wurde. Das beeinflusst die Arbeit von Frauen. Mitten in der „Fürsorgekrise“ – „Crisis of Care“ beteiligen sich immer mehr Frauen im Onlinegeschäft, in der Hoffnung Einkommen zu generieren während sie gleichzeitig die Aufgaben im Haushalt erledigen. Allerdings macht es die zeitintensive Arbeit in den SMBOS schwierig, parallel auch noch Haushaltsaufgaben zufrieden stellend zu erledigen.
Gleichzeitig werden Frauen, die im SMBOS arbeiten, dennoch als Hausfrauen bezeichnet, die Zusatzeinkommen für die Familie generieren, obwohl sie häufig die Hauptverdiener*innen sind. Und allzu häufig verrichten die Frauen diese Arbeit unter sehr schlechten Arbeitsbedingungen.
Der Artikel basiert auf der Forschung der Autorin für ihre Masterarbeit im Studiengang „Labour, Social Movements and Development“ der SOAS University of London.
Übersetzung aus dem Englischen von: Andrea Höing
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