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Entwicklung? Wessen Entwicklung?

Arbeiter*innen protestieren im Oktober 2018 vor dem Parlament gegen zu niedrige Mindestlöhne © Choo Chon Kai

Proteste vor dem Parlament im Oktober 2018 gegen zu niedrige Mindestlöhne. Im September 2018 gab die Regierung eine Anhebung des monatlichen Mindestlohn um RM 50 (ca. 10,80 Euro) bekannt. © Choo Chon Kai

Malaysia: Die wirtschaftliche Entwicklung Malaysias ruht auf dem Rücken von Millionen Arbeiter*innen. Anstelle von Wertschätzung für deren Leistung untergräbt die pro-kapitalistische Regierung jedoch die grundlegende Rechte von Arbeiter*innen. Dieser Artikel beschreibt die vier Hauptprobleme mit denen die Arbeiter*innenschaft konfrontiert ist.

 

Die Anzahl malaysischer Erwerbstätiger liegt derzeit bei rund 14,4 Millionen, die Arbeitslosenquote liegt bei rund 3,5 %. Dazu kommen Millionen von Arbeitsmigrant*innen aus Süd- und Südostasien, die in der verarbeitenden Industrie, auf Plantagen, im Bauwesen, in der Landwirtschaft, im Dienstleistungssektor oder als Hausangestellte beschäftigt sind. Seit den 1990er Jahren ist die Arbeitslosenquote sehr niedrig, obwohl immer mehr Arbeitsmigrant*innen nach Malaysia kommen. Tatsächlich sind die Verhältnisse in Malaysia der Vollbeschäftigung nahe. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Arbeitnehmer*innen in Malaysia unter angemessenen Arbeitsbedingungen beschäftigt sind. Die pro-kapitalistische Politik der malaysischen Regierung untergräbt die Grundrechte der Arbeiter*innen ständig. Zu den vier Hauptproblemen, mit denen die Arbeiter*innenschaft konfrontiert wird, zählen unsichere Beschäftigungsverhältnisse, lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne und schwache Gewerkschaften.

Änderung des Beschäftigungsgesetzes zu Gunsten von Leiharbeitsfirmen

Arbeitskräfte über Leiharbeitsfirmen zu beschäftigen, wird in Malaysia immer verbreiteter und bringt Arbeiter*innen in wachsende Arbeitsplatzunsicherheit. Die Regierung hat das Beschäftigungsgesetz im Jahr 2011 geändert, um Klauseln zur Anerkennung von ‚contractor of labour‘ (‚Arbeitsvermittler*in‘) als Hauptarbeitgeber*innen aufzunehmen. Diese Änderung hat die Beziehung der Vertragsarbeiter*innen (die bei Leiharbeitsfirmen angestellt sind) zu ihren tatsächlichen Arbeitgeber*innen (die Eigentümer*innen von Fabriken oder Unternehmen sind, die Arbeitnehmer*innen durch Leiharbeitsfirmen beschäftigen) getrennt. Leiharbeitsfirmen können jederzeit Insolvenz anmelden, um sich ihrer Verantwortung für das Wohlergehen der Arbeitnehmer*innen zu entziehen, während es den Arbeitnehmer*innen schwer fällt, ihre Rechte und den Schutz ihres Wohlergehens von den tatsächlichen Arbeitgeber*innen zu fordern (vgl. zum Thema Kontraktarbeit auch den Artikel von Luke Espiritu in dieser Ausgabe).

Leiharbeit im öffentlichen Sektor

Outsourcing von Arbeitskraft ist nicht nur auf den privaten Sektor beschränkt. Der öffentliche Sektor nutzt diesen Ansatz seit den 1990er Jahren, während der von Mahathir geführten Barisan Nasional-Regierung. In staatlichen Schulen und Krankenhäusern wurden Dienstleistungen, zum Beispiel Sicherheitsdienste oder Reinigung, an private Auftragnehmer*innen outgesourct. Die privaten Auftragnehmer*innen zahlen ihren Beschäftigten sehr niedrige Löhne. Arbeitnehmer*innen, die im Rahmen eines solchen vertraglichen Systems eingestellt werden, haben auch keine Arbeitsplatz-Sicherheit. Die Dauer dieser Verträge beträgt in der Regel zwei bis drei Jahre. Es besteht keine Garantie, dass die Arbeitnehmer*in bei Vertragsende wieder beschäftigt wird. Selbst wenn die Arbeiter*in wieder eingestellt wird, wird sie als „neu“ eingestuft und bekommt somit keine Gehaltserhöhung. Die Beschäftigten bekommen keine Sozialleistungen, sie sind weder im Gesundheitssystem versichert noch können sie Rente beziehen. Manchmal werden Löhne nicht gezahlt, oder es werden nur Teile des Lohns einbehalten. Zum Beispiel gibt es viele Fälle, bei denen der/die Arbeitgeber*in Beiträge für den Employee Provident Fund (EPF) abzieht, sie aber nicht einzahlt.

Indonesien: Proteste vor dem Parlament im Oktober 2018 gegen zu niedrige Mindestlöhne © Choo Chon Kai

Proteste vor dem Parlament im Oktober 2018: Gewerkschaften forderten eine Anhebung des Mindestlohns von RM 1000 (ca. 217 Euro) auf RM 1800 (ca. 390 Euro). Am 1. Januar 2019 änderte die malayische Regierung den gesetzlichen Mindestlohn erneut, diesmal setzte sie ihn auf RM 1100 (ca. 239 Euro) fest © Choo Chon Kai

Das Vertragssystem eignet sich nur für Zeitarbeit oder Saisonarbeit. Der Sicherheitssektor, Reinigung, Gartenbau, Wäscherei und viele weitere Supportdienste in Regierungsgebäuden wie Schulen und Krankenhäusern sollten permanente Stellen sein, um sicherzustellen, dass unsere öffentlichen Einrichtungen wie gewohnt funktionieren. Die Regierung sollte das Vertragssystem, das nur für Leiharbeit geeignet ist, nicht dazu verwenden, Arbeitnehmer*innen dauerhaft zu beschäftigen. Outsourcing oder Vertragssysteme für Dauerarbeit sind einige der Faktoren, die dazu führen, dass die Niedriglohnarbeiter*innen in Malaysia in Armut bleiben.

Niedriglohn zwingt zu Überstunden

Die Arbeiter*innenbewegung hat es geschafft, Acht-Stunden-Arbeitstage durchzusetzen. Doch solche Erfolgserlebnisse sind durch das andauernde Streben nach Profitmaximierung im Kapitalismus gefährdet. Mit der Entwicklung moderner Technologien wurde die industrielle Produktionsweise immer mehr automatisiert. Maschinen ersetzen menschliche Arbeitskraft. Der Anstieg an Automation bedeutet auch, dass die Produktivität der Gesellschaft ebenfalls zugenommen hat und das sollte eigentlich Gutes für die Menschheit bedeuten. In der Realität ist dies allerdings schlecht für die Arbeiter*innen eines kapitalistischen Systems. Auch wenn menschliche Arbeitskraft durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt wird, verbessern sich die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter*innen nicht. Stattdessen verlieren mehr und mehr Arbeiter*innen ihre Stellen und enden in Armut.

Es ist widersprüchlich: Obwohl es mehr arbeitslose Menschen gibt, sind Arbeiter*innen gezwungen, viele Überstunden zu machen. Viele Arbeiter*innen ‚entscheiden‘ sich dazu, Überstunden nach einem Acht-Stunden-Tag zu machen, nicht, weil sie Überstunden so gerne mögen, sondern weil die niedrigen Gehälter die Arbeiter*innen zu Überstunden zwingen. Sie arbeiten häufig auch an Feiertagen und freien Tagen, um genug Geld zum Überleben zu verdienen. Sicherheitspersonal in Malaysia arbeitet zum Beispiel fast immer mehr als zwölf Stunden pro Tag. Wenn jedoch viele Arbeitnehmer*innen lange arbeiten, werden insgesamt weniger Arbeiter*innen gebraucht. Das führt zum Verlust von Arbeitsplätzen und zu Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche.

Was für eine entwickelte Nation ist das, wenn sich die tägliche Arbeitszeit von acht auf zwölf Stunden erhöt?

Die malaysische Regierung hat 1980 im Rahmen des Beschäftigungsgesetzes eine „Regulierung der Arbeit“ (Begrenzung der Überstundenarbeit) eingeführt, damit die Höchstbegrenzung für Überstunden von 32 Stunden pro Monat auf 64 Stunden pro Monat ansteigen konnte. Die damalige Mahathir-Regierung, die Malaysia zum Industrieland machen wollte, änderte 1991 die Regelung und erhöhte die zulässige Überstundengrenze auf 104 Stunden pro Monat, was vier Überstunden pro Tag entsprechen. Was für eine entwickelte Nation ist das, wenn sich die tägliche Arbeitszeit von acht Stunden auf zwölf Stunden erhöht ?

Niedrige Löhne

Im Jahr 2013 hat Malaysia endlich ein Mindestlohngesetz eingeführt, nach einem Jahrzehnt Druck- und Kampagnenarbeit von Arbeitsrechtsgruppen wie dem Netzwerk der Unterdrückten (JERIT), der Sozialistischen Partei von Malaysia (PSM) und Gewerkschaften. Die Regierung hat jedoch einen sehr niedrigen Satz für den Mindestlohn festgelegt. 2013, betrug der Mindestlohn für Penisula Malaysia RM 900 (ca. 194 Euro) pro Monat und RM 800 (ca. 173 Euro) für Sabah und Sarawak. Es war ein extrem niedriger Lohn für die Arbeiter in Malaysia. Nach dreieinhalb Jahren hob die Regierung den Mindestlohn an, mit RM 1000 (ca. 217 Euro) für Peninsula und RM 920 (ca. 199 Euro) für Ost-Malaysia. Nach dem Regierungswechsel im Jahr 2018 hat die neue Regierung von Pakatan Harapan den Mindestlohn sowohl für West- als auch für Ost-Malaysia „standardisiert“. Anfänglich erhöhte die Pakatan Harapan-Regierung den Mindestlohn auf nur RM 1050 (ca. 227,80 Euro) pro Monat, die Erhöhung sollte ab 1. Januar 2019 in Kraft treten. Nach Protesten von Arbeitsgruppen, der Zivilgesellschaft und der Sozialistischen Partei Malaysias (PSM) wurde die Erhöhung auf monatlich RM 1100 (ca. 239 Euro) festgelegt. Die Forderung des Malaysian Trade Unions Congress (MTUC) besteht darin, den Mindestlohn auf monatlich RM 1800 (ca. 390 Euro) zu erhöhen.

Die Festsetzung eines so niedrigen Mindestlohns hilft nicht, die Arbeitsbelastung zu verringern und das Leben der Arbeitnehmer*innen zu verbessern. Mit dem permanenten Preisanstieg von Konsumgütern des täglichen Bedarfs, befinden sich Niedriglohnarbeiter*innen weiterhin im täglichen Kampf ums Überleben. Da die Löhne auf sehr niedrigem Niveau gehalten werden, verwundert es nicht, dass die meisten Arbeiter*innen sich ‚aussuchen‘ Überstunden zu machen. Die prekären Arbeitsbedingungen migrantischer Arbeiter*innen haben dazu beigetragen, dass auch die Löhne der malaysischen Arbeiter*innen nach unten gedrückt werden.

Indonesien, May Day 2017: Arbeitnehmer*innen fordern einen Ausgleichsfond. Die Regierung führte im folgenden Jahr ein Arbeitslosenversicherungssystem ein. © Choo Chon Kai

Indonesien, May Day 2017: Arbeitnehmer*innen fordern einen Ausgleichsfond. Die Regierung führte im folgenden Jahr ein Arbeitslosenversicherungssystem ein. © Choo Chon Kai

Die Einführung des Mindestlohns mag zu wettbewerbstechnischen Nachteilen für Malaysia in der Weltwirtschaft führen, aber wir könnten das Problem mit regionalen Mechanismen wirtschaftlicher Zusammenarbeit überwinden. Die PSM hat vorgeschlagen, dass Malaysia die Führungsrolle innerhalb ASEANS übernehmen solle, um regionale Mechanismen zur Einführung des Mindestlohns voranzutreiben. Zum Beispiel sollten – trotz landesspezifischer unterschiedlich hoher Mindestlöhne der ASEAN Länder – Lohnerhöhungen mit dem gleichen Prozentsatz für alle Länder eingeführt werden. Länder, die sich nicht an die Abmachung halten würden, sollten bestraft werden, indem sie höhere Importgebühren für die anderen ASEAN Länder zahlen müssten.

Hindernisse für Gewerkschaften

Die radikale Gewerkschaftsbewegung in Malaysia wurde während der britischen Kolonialzeit, seit den 1940er Jahren, brutal unterdrückt und durch eine pro-koloniale und Arbeitgeber*innen- freundliche „Gelbe Union“ ersetzt. Abgesehen von der Unterdrückung durch die Kolonialregierung und die pro-westlichen Regierungen nach der Unabhängigkeit wurden noch viele heldenhafte Arbeiter*innenkämpfe durch Gewerkschaften organisiert, wie zum Beispiel der Eisenbahner*innenstreik 1962 bei dem ca. 9000 Arbeiter*innen 22 Tage streikten, der Plantagenarbeiter*innenstreik in Asahan 1967 und viele mehr. Viele Arbeitsaktivist*innen wurden unter dem Gesetz über Notstandsverordnung und dem Gesetz zur inneren Sicherheit Internal Security Act (ISA) festgehalten. (Anmerkung: ISA wurde 2012 aufgehoben.)

Das Gewerkschaftsgesetz aus dem Jahr 1959 beinhaltet bereits verschiedene Einschränkungen in Bezug auf die Gewerkschaftsorganisation. Die Einschränkungen nahmen mit jeder Gesetzesänderung zu. Die schlimmste Gesetzesänderung des Gewerkschaftsgesetzes wurde unter der Mahatir 1.0 Regierung eingeführt.

Heutzutage sind nur 7 % der Arbeitnehmer*innen Mitglieder in Gewerkschaften in Malaysia, dies ist sehr wenig. Darüber hinaus sind die meisten Gewerkschaften ‚zahnlose Tiger‘, da viele ihrer organisatorischen Funktionen durch die Gesetzeseinschränkungen, die Bürokratie innerhalb der Organisation und durch den Verlust der Klassenkampfpolitik innerhalb der Gewerkschaften geschwächt wurden. Auch das Leiharbeiter*innensystem schwächt die Gewerkschaften.

Der Kampf für eine bessere Zukunft

Obwohl die Arbeiter*innenbewegung in Malaysia schwach ist, gibt es Arbeiter*innenorganisationen und politische Parteien wie PSM, die danach streben die Macht der Arbeiter*innen zu stärken und ihre Rechte zu verteidigen. Die Forderungen, die im Arbeiter*innenkampf in Malaysia gestellt werden, beinhalten bezogen auf die genannten vier Hauptprobleme der Arbeiter*innen: 1. die Beendigung des Vertragssystems für Dauerarbeit, 2. die Anhebung des Mindestlohns auf ein Niveau, das einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglicht, 3. die Reduzierung der Arbeitszeit (oder die Beendigung der erzwungenen Überstunden), ohne dabei die Löhne zu senken sowie 4. die vollständige Anerkennung von Gewerkschaften.

Übersetzung aus dem Englischen von: Andrea Höing

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