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Entwicklung für wen?
Die Krisen der Gegenwart betreffen auch Südostasien: die andauernde COVID-19 Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die sich immer deutlicher abzeichnende Klimakrise. Betrachtet man die Zahlen, scheinen die meisten Volkswirtschaften Südostasiens relativ glimpflich davongekommen zu sein. Doch die Belastungen für die Bevölkerung, aufgrund schwacher staatlicher Gesundheitssysteme, unterbrochener Lieferketten und steigender Preise für Energie und Grundnahrungsmittel haben ihre Spuren hinterlassen.
Das wirtschaftliche Wachstum in der Region hat in der Vergangenheit dazu beigetragen, dass die Zahl der Menschen, die in absoluter Armut leben, deutlich zurückgegangen ist. Eine kaufkräftige Mittelschicht hat sich in vielen Ländern etabliert. Doch der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung stehen erhebliche Defizite in anderen Bereichen gegenüber. Zwar ist die absolute Armut deutlich zurückgegangen, doch gleichzeitig hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in vielen Ländern weiter vergrößert. Die Möglichkeiten, am gestiegenen Wohlstand partizipieren zu können, sind höchst ungleich verteilt. Sowohl innerhalb der Gesellschaften als auch zwischen Stadt und Land sind die Unterschiede beim Lebensstandard teils enorm. Blickt man auf den Zustand der Umwelt, Geschlechtergerechtigkeit, Bildung, Gesundheitsversorgung, Rechtsstaatlichkeit oder die Verwirklichung der Menschenrechte, fallen die Fortschritte in vielen Ländern eher bescheiden aus – im Gegenteil: man gewinnt den Eindruck, dass diese dem Primat wirtschaftlichen Wachstums untergeordnet oder sogar geopfert wurden.
Eigentlich waren die 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen Sustainable Development Goals (SDGs), zu deren Umsetzung sich auch die Staaten Südostasiens bekannt haben, ihrem Anspruch nach ganzheitlich gedacht. Zu den 17 Zielen gehören neben wirtschaftlichen auch soziale und ökologische Aspekte, die als zentral für eine nachhaltige Entwicklung erachtet werden. Doch trotz der Formulierung ambitionierter Entwicklungsziele sowie erheblicher finanzieller Mittel, die für deren Erreichung bisher aufgebracht wurden, ist die Bilanz eher ernüchternd. Laut ESCAP, der Wirtschafts- und Sozialkommission für Asien und den Pazifik der Vereinten Nationen, wird Südostasien voraussichtlich keines der 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung erreichen. Die Treibhausgasemissionen steigen weiter an, die Verfügbarkeit sauberen Trinkwassers hat sich im Durchschnitt verschlechtert und auch die Arbeits- und Menschenrechte geben Anlass zur Sorge.
In dieser Ausgabe der südostasien beleuchten wir anhand verschiedener Themenaspekte und Schauplätze, wie es um die Entwicklung in der Region bestellt ist. Welche Faktoren tragen zu ihrem Gelingen bei und welche Kräfte und (globalen) Machtverhältnisse stehen einer nachhaltigen Entwicklung im Weg? Dass es nicht die eine Entwicklung gibt, sondern unterschiedliche Vorstellungen darüber existieren, woran sich Entwicklung überhaupt bemisst und wie sozial, gerecht und nachhaltig diese gestaltet sein muss, zieht sich durch zahlreiche Beiträge dieser Ausgabe. Deutlich wird dies unter anderem im Interview von Marina Wetzlmaier mit Joseph Purugganan über Ernährungssicherheit und Landwirtschaft.
Nicht selten gehen diese unterschiedlichen Vorstellungen und Interessen mit Konflikten einher. So zeigt Mark P. Stadler in seinem Beitrag über die urbane Entwicklung in Jakarta, wie arme Bevölkerungsgruppen Mitbestimmung bei der zukünftigen Gestaltung der Megametropole einfordern. Statt bloße Objekte oder Hilfsempfänger einer staatlich gelenkten und durch privatwirtschaftliche Interessen getriebenen Entwicklung zu sein, werden sie selber zu Akteuren einer urbanen Transformation.
Eric Gutierrez berichtet über die Rolle des Militärs in Myanmar, Thailand und Kambodscha und erklärt, wie die Wirtschafts- und Machtinteressen des Sicherheitsapparats Entwicklungsfortschritte systematisch untergraben, wenn nicht gar zunichte machen. Auf diesen Punkt geht auch Sophal Ear ein und zeigt auf, wie und warum Entwicklungshilfegelder der Demokratie in Kambodscha geschadet haben.
Die internationale Entwicklungszusammenarbeit ist kein ‘Wohltätigkeitsunternehmen’, sie ist ebenfalls Instrument zur Durchsetzung staatlicher Interessen der Geberländer. Dass die Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards so oft zum Politikum wird, zeigt der Beitrag von Joanna Klabisch am Beispiel chinesischer Investitionen in Indonesien. Chinas Engagement in der Region, auch mittels der in Peking ansässigen Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), verweist auch auf die zunehmende geopolitische Bedeutung, die Südostasien im internationalen Machtgefüge beigemessen wird. Ob EU, Australien, USA oder China – alle bemühen sich um eine verstärkte Einbindung der Region in ihre eigene Außen- und Sicherheitspolitik. Rivalitäten zwischen China und den USA sowie die Auswirkungen auf Entwicklungspolitik und für die Menschenrechte in der Region sind auch Thema des Beitrags von Salvador Santino Reglime.
Welche Folgen all diese Entwicklungen für die globalen Beziehungen haben und inwieweit es den Staaten Südostasiens gelingt, ihren eigenen Interessen auf internationaler Ebene Geltung zu verschaffen, erläutert Anna-Katharina Hornidge.
Diese und viele weitere spannende Artikel zum Thema Entwicklung und Entwicklungspolitik werden wir in den nächsten drei Monaten in dieser Ausgabe 1/2023 nach und nach veröffentlichen.
Unsere darauf folgende Ausgabe 2/2023 wird im Mai erscheinen und sich mit Klimabewegungen in Südostasien beschäftigen. Hier geht’s zum Call for Paper.
Viel Freude mit Eurer neuen südostasien wünscht das Redaktionsteam.
Wir danken der W.P.Schmitz-Stiftung in Düsseldorf für die finanzielle Unterstützung dieser Ausgabe der südostasien.
Dieser Text erscheint unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.