Indonesien: Der Dokumentarfilm „Tonotwiyat [Der Wald der Frauen]“ von Yulika Anastasia Indrawati erzählt die bewegende Geschichte von Frauen aus Westpapua.
Seit Generationen sind die Frauen aus der Youtefa-Bucht in Westpapua eng mit einem Mangrovenwald verbunden. Der Wald ist wirtschaftliche Lebensgrundlage und zugleich essenzieller Ort des Austauschs und des Geschichtenerzählens. Der Film Tonotwiyat [Der Wald der Frauen] von Yulika Anastasia Indrawati hält bildliche Eindrücke aus dem Leben an diesem einzigartigen Ort fest und beleuchtet zugleich die Herausforderungen, vor denen die Frauen und ihr Wald stehen.
Der Dokumentarfilm begleitet drei Frauen unterschiedlichen Alters aus dem Dorf Enggros in ihrem alltäglichen Leben. Nachdem einige von ihnen ihre Kinder morgens per Boot zur Schule gebracht haben, fahren sie in Gruppen gemeinsam zum Frauenwald. Dort angekommen, legen sie ihre Kleidung ab, die sie beim Suchen nach Muscheln und anderen Meeresfrüchten behindern würde. Die Frauen stehen im flachen Wasser und suchen behutsam mit ihren Füßen nach den kostbaren bia noor-Muscheln, die sich durch eine besonders dünne Schale auszeichnen. Neben Meeresfrüchten sammeln sie auch Brennholz und fangen Fische. Alles, was sie nicht für den Eigenbedarf benötigen, verkaufen sie auf dem nahen gelegenen Markt, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Der Frauenwald ist ein zentraler Treffpunkt und Ort des Austauschs für die Frauen der Dorf-Gemeinschaft. Hier können sie frei miteinander sprechen, ohne von Männern gehört oder gesehen zu werden, da diesen der Zutritt zum Frauenwald untersagt ist. Bei Verstößen gegen dieses Verbot entscheidet der Dorfälteste über angemessene Strafen.
Der ungestörte Austausch der Frauen über persönliche Angelegenheiten und Gemeinschaftsbelange erfüllt eine entscheidende Funktion als Ausgleich für ihren Ausschluss von den Dorfentscheidungsprozessen, die als para-para bekannt sind. Während Frauen nicht an den Diskussionsforen im Dorf teilnehmen dürfen, bietet der Wald ihnen die Möglichkeit, ihre Geschichten und Erfahrungen zu teilen, Ratschläge zu geben und Unterstützung zu finden – was ihnen in anderen Bereichen des Dorflebens verwehrt bleibt.
Der Mangrovenwald ist jedoch gefährdet. Infrastrukturprojekte wie Landaufschüttungen, Straßen- und Brückenbau sowie die Verschmutzung durch enorme Mengen von Plastikmüll bedrohen seine Existenz. In den letzten 50 Jahren hat sich die Waldfläche bereits halbiert. Dies gefährdet nicht nur die Lebensgrundlage der Frauen, sondern auch die ökologische Stabilität der Küstenregion. Mangrovenwälder spielen eine zentrale Rolle bei der Erhaltung der Küstenumgebung, schützen vor Erosion und bieten Lebensraum für zahlreiche Arten. Die Schrumpfung des Waldes erschwert den Frauen die Suche nach Meeresfrüchten, was ihre wirtschaftliche Sicherheit und das Gemeinschaftsleben gefährdet. Mama Ani Meraudje verdeutlicht dies: „Früher füllten wir unser Boot mit Muscheln in einem halben Tag, jetzt brauchen wir den ganzen Tag und füllen kaum die Hälfte.“
Die Schwierigkeiten bei der Muschelsuche führen dazu, dass jüngere Frauen weniger Interesse an den Aktivitäten im Mangrovenwald haben und nach Alternativen suchen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Gleichzeitig sind ältere Frauen entschlossen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen in Gesprächen an die jüngere Generation weiterzugeben, um die Tradition des Tonotwiyat zu bewahren.
Mit Tonotwiyat hat Yulika Anastasia Indrawati einen unkonventionellen Dokumentarfilm geschaffen. Sie folgt keinem zuvor festgelegten Drehbuch und verzichtet auf Interviews und eine direkte Interaktion mit den Protagonistinnen. Stattdessen lebt der Film von den aufgezeichneten Gesprächen zwischen den Frauen. Der Film verzichtet auch auf umfangreiche Hintergrundinformationen und technische Effekte und konzentriert sich stattdessen auf die Darstellung des alltäglichen Lebens und der Umweltgeräusche in der Youtefa-Bucht. Trotz begrenzter technischer Ressourcen gelang es der Filmemacherin und ihrem Team, diesen eindrucksvollen Film in nur zwei Wochen aufzuzeichnen, wobei 95 Prozent der Aufnahmen auf dem Wasser gemacht wurden. Die Regisseurin führte oft selbst die Kamera, da ihr Kameramann den Wald nicht betreten durfte.
In papuanischen Online-Medien wird der Film dafür gelobt, dass er die jüngere Generation Westpapuas – über die Grenzen der Youtefa-Bucht hinaus – für lokale Traditionen und die Bedeutung des Umweltschutzes sensibilisiert. Doch nicht nur für die Jugend in Papua ist der Film lehrreich. Auf eindringliche Weise führt der Film vor Augen, dass es häufig gerade Frauen sind, die die negativen Auswirkungen von ‚Entwicklungs‘- und Infrastrukturprojekten besonders stark zu spüren bekommen. Damit unterstreicht er auch die Notwendigkeit, die Stimmen und Lebenswirklichkeiten von Frauen bereits ab dem Planungsbeginn solcher Projekte mit einzubeziehen.
Rezension zu: Tonotwiyat (Hutan Perempuan). Regie: Yulika Anastasia Indrawati, Indonesien, 2019. 92 Minuten.
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