2 | 2023

Die Sama Badjao und der Klimawandel

Provisorische Häuser in der Sama Badjao-Gemeinde in Bato, Leyte, Philippinen nach dem Super-Taifun Rai. © Gretchen Gonzaga

Philippinen/Südostasien: Die indigenen Gemeinschaften der Sama Badjao leben am Meer und sind damit anfällig für Klimaschocks. Wiederkehrende Extremwetterereignisse gefährden ihren Lebensraum, zerstören ihre Häuser und Fischerboote. Zivilgesellschaftliche Projekte wollen die Sama Badjao schützen.

Sama Badjao (auch: Sama Bajau/Sama Dilaut) nennen sich in den Philippinen und in Booten der Sulu- und Celebes-See lebende indigene Gemeinschaften. Als eng verbundene Gruppen bewahren sie ihre Bräuche, Traditionen, Rituale und die Sinama-Sprache. Viele der Sama Badjao sind aufgrund der herausfordernden Bedingungen im Süden des Inselstaates in den 1960er Jahren – verschärfte Grenzkontrollen, ununterbrochene bewaffnete Konflikte, der allmähliche Rückgang der Fischbestände und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit – sesshaft geworden und in die Küstengebiete der zentralen und nördlichen Philippinen migriert [Uy, Z., & Neri, M. E. (1979). The Badjao Communities in Metro Cebu and Bantayan and Islands: Some Ethnographic Data and Observations. Agham-Tao, 2, S. 185–190].

Die maritime Lebensweise der Sama Badjao, in Verbindung mit ihrer Sesshaftigkeit, macht sie anfällig für Klimaschocks. Die Bevölkerung war in den letzten Jahren durch wiederkehrende Unwetter und Überschwemmungen stark gefährdet. Durch die Super-Taifune Haiyan (2012) und Rai (2021) und den Taifun Nalgae (2022) wurden Häuser und Fischerboote stark beschädigt und viele Menschen mussten evakuiert werden.

Der Nutzen von traditionellem Wissen

Ein üblicher Tag in der Gemeinde während der Flut. © Gretchen Gonzaga

Die Ältesten der Sama Badjao glauben, dass Katastrophen eine Form der Bestrafung für ihre Sünden durch ihren Gott Mboh Tohan sind. Zu diesen Sünden zählen: nicht mehr an die Sama-Traditionen zu glauben und diese zu praktizieren, freizügige Kleidung zu tragen und weitere Untugenden wie Glücksspiel und Alkoholkonsum. Ein zentraler Bestandteil der Verehrung von Mboh Tohan sind Geistwesen, die in Mangroven, Meeren, Korallenriffen und weiteren Orten leben. Die Sama Badjao achten darauf, die Mangroven und Meereslebewesen nicht zu verletzen, da sie sonst verflucht oder bestraft würden, zum Beispiel mit Bauchschmerzen oder unerklärlichen Krankheiten.

Die zweiten und dritten Generationen der Sama-Gemeinschaften wenden, wenn auch nicht in dem Maße wie die Ältesten, immer noch das indigene Wissen an, indem sie die Gezeiten nach dem Mondstand vorhersagen und ihre Fischereiaktivitäten danach ausrichten. Anhand ihrer Vertrautheit mit dem Meer erkennen sie bevorstehende Wetterstörungen schon Tage vorher an der Windrichtung und -stärke, einem düsteren Himmel oder einer bedrohlichen Stille der Umgebung. Die Intensität eines bevorstehenden Taifuns lässt sich dennoch schwer vorhersagen. Außerdem haben die Vertreibung aus ihrem angestammten Seegebiet und ihre Sesshaftwerdung zu einem Verlust an traditionellem Wissen geführt, das die häufig auf ökologischen Zusammenhängen beruhte und an bestimmte Orte gebunden war. Die Wahrnehmung der Umwelt wird inzwischen auch durch Veränderungen im Zuge des Klimawandels gestört, vor allem wenn diese Veränderungen die ökologischen und kulturellen Anhaltspunkte beeinträchtigen, die in der Vergangenheit den Zeitpunkt für das Fischen und andere Rituale bestimmt haben.

Evakuierung und Wiederaufbau

Sama Badjao bauen schrittweise ihre Häuser wieder auf. © Gretchen Gonzaga

Bei starken Taifunen werden die Frauen, Kinder, Älteren und Kranken der Sama als Erstes von der Küste evakuiert. Währenddessen bleiben die Männer dort und suchen Schutz in Gemeinschaftsräumen aus Beton, um auf ihre Häuser, Boote und andere persönliche Gegenstände achtzugeben. Durch den Super-Taifun Rai (2021) wurden insgesamt 140 Haushalte in der Gemeinde Sama Badjao zerstört.

Aufgrund ihrer Abschottung von der Öffentlichkeit haben die Sama Badjao in den letzten Jahrzehnten ihre Unabhängigkeit von der Regierung und externen Unterstützungsleistungen demonstriert und organisieren jeden Wiederaufbau eigenständig.

Die Sama glauben, dass sie dem Wiederaufbau ihres Elternhauses Vorrang einräumen müssen, da sonst ihre verstorbenen Ahnen unruhig werden und sie mit einer Krankheit verfluchen. Nach den Bräuchen der Sama sollten diese Häuser aus Nipa – Palmen, Bambus und Holz gebaut sein – ohne Trennwände oder Fenster. Doch der Wiederaufbau verändert traditionelle Baumaterialen: Bambus wird durch Beton, traditionelle Nipa-Palmblatt-Dächer durch verzinkte Eisenbleche ersetzt. Einige Haushalte leihen sich Geld oder verpfänden ihren Goldschmuck, um ihre Häuser sofort zu reparieren. Diejenigen, die es sich nicht leisten können, eine provisorische Unterkunft zu errichten, finden vor allem in regnerischen Nächten Zuflucht auf ihren Booten, während andere Familienmitglieder verstreut bei ihren Verwandten leben. Da der Fischfang in den Tagen nach einem Super-Taifun nicht möglich ist, konzentrieren sich die Männer auf den Bau, den Anstrich oder die Reparatur der Boote. Jugendliche, Kinder und Frauen sichern zusätzlich den Lebensunterhalt durch den Ver- oder Ankauf von defekten Teilen von Schmuck, Mobiltelefonen und anderen Geräten.

Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaft

Sama Badjao bauen schrittweise ihre Häuser wieder auf, im Vergleich die alte Bambusstelzenbauweise vs. die neuen Betonstelzen. © Gretchen Gonzaga

Die Widerstandsfähigkeit der Sama Badjao nach Taifunen speist sich aus ihrer maritimen Lebensweise und ihrem Gemeinschaftsgefüge. Der Fischfang wird mit der Verwandtschaft und dem gesamten Stamm geteilt. Das schafft ein fließendes System von Geben und Nehmen, Gefallen und Verpflichtungen in Zeiten der Not oder bei familiären Notfällen. Ein Beispiel dafür sind männliche Jugendliche und Kinder, die sich nachts bis 2:00 Uhr auf einem lantay aus Bambuslatten unter ihren Stelzenhäusern aufhalten. Dort warten sie auf den Fischüberschuss ihrer Verwandten, die im Meer gefischt haben. Sie verkaufen ihren Anteil auf dem Markt oder heben ihn für den Eigenbedarf ihrer Familie auf. Ein kleiner Gewinn ist schon viel wert, damit die Kinder mit Taschengeld für Mahlzeiten oder Schulbedarf zur Schule gehen können.

Ein weiterer wichtiger Ort nach einem schweren Wetterereignis ist die Goodjao-Kirche der wiedergeborenen Christen in der Gemeinde Sama Badjao. Da es in diesem Gebiet keine Gemeindehalle gibt, ist die Kirche zu einem wichtigen Gemeinschaftsort geworden, an der neben der indigenen Bevölkerung auch Gäste willkommen geheißen werden, die die Gemeinschaft regelmäßig besuchen, um Lebensmittelpakete oder Hygienesets zu verteilen.

Beteiligung an der Ressourcenverwaltung

Sama Badjao bauen schrittweise ihre Häuser wieder auf, statt Bambuspfeiler werden Betonpfeiler gegossen. © Gretchen Gonzaga

Indigenes Wissen, wie das der Sama Badjao ist eine wichtige Informationsquelle für Veränderungen des Meeres und des maritimen Ökosystems, für die Auswirkungen des Klimawandels auf die lokalen Gemeinschaften sowie für Strategien zur Verringerung des Katastrophenrisikos und zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit. In Südostasien haben die Maßnahmen zur Rehabilitation und Erhaltung der Meere, mit denen die Folgen des Klimawandels und der Ressourcenübernutzung bekämpft werden sollen, die Fähigkeit der Sama Badjao beeinträchtigt, ihre traditionellen Methoden der Nutzung und Sammlung von Meeresressourcen weiterzuführen. Es wäre also durchaus sinnvoll, die Zukunft der Bewirtschaftung der Küstenressourcen partizipativ zu gestalten und das Wissen und die Praktiken indigener Gesellschaften wie der Sama Badjao mit einzubeziehen. [Macalandag, R. (2021). Recognition and the Mobile Indigene: Periphery and Possibility The Badjao of the Philippines. The Australian National University]

Darüber hinaus erkennen Initiativen zur Bewirtschaftung der Meeresressourcen zunehmend an, dass wirksame und lokal angemessene Maßnahmen nur durch Beteiligung an der Basisebene zustande kommen können. Dies schließt das gemeinsame Schaffen von Wissen und Praktiken ein, die traditionelles Wissen und westliche technologische Managementprinzipien miteinander verbinden.

Gemeinschafts- basiertes Engagement fördern

Mangrovenpflanzung unter Beteiligung der Sama Badjao, verschiedener Organisationen und weiterer Freiwilliger. © Gretchen Gonzaga

Um eine höhere Resilienz gegenüber Fluten und Taifunen aufzubauen, arbeiten lokale Behörden und Zivilgesellschaften Hand in Hand bei der Rehabilitation von Mangroven in den Küstengebieten. In der Küstengemeinde Bato in Leyte hat die Sama Badjao-Gemeinde zusammen mit der Edmund Rice Ministries Foundation Philippines, Inc. (ERMFPI) und der lokalen Regierungseinheit ein Projekt zur Bereicherung der biologischen Vielfalt der Mangroven in diesem Gebiet initiiert. Das Projekt Increasing biodiversity and reinforcing mangrove habitats as a natural response system to combat the effects of climate change on the Sama Bajau community (deutsch: Förderung der biologischen Vielfalt und Stärkung der Mangrovenlebensräume als natürliches Reaktionssystem zur Bekämpfung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Gemeinschaft der Sama Bajau) soll die Beziehungen zwischen nicht- indigenen und indigenen Gemeinschaften, die an der Küste leben, stärken, indem ein integratives gemeinschaftsbasiertes Katastrophenschutzsystem eingerichtet wird.

Die Jugendorganisation der Sama Badjao wird dazu angeregt, die Partnerschaft mit ihrem Nachbardorf durch aktive Teilnahme an projektbezogenen Aktivitäten zu fördern, wie zum Beipiel Ausbau der Abfallentsorgung, Anpflanzung von Mangroven, Seminare und Schulungen zur Katastrophenvorsorge und -bewältigung sowie Lobbyarbeit zum Schutz der Mangroven. „Für uns als Jugendliche ist dies von Vorteil für unsere Zukunft. Sollten Katastrophen wie ein Taifun oder starke Böen auftreten, können die Mangroven zumindest die Auswirkungen auf uns, die an der Küste leben, verringern“, sagt Alex Yundam, Präsident der Sama Badjao Jugendorganisation. Über das Bato Municipal Environmental and Natural Ressources Office (MENRO) und die Sama Badjao Homebased Women’s Association werden Freiwillige aus der Gemeinde und zivilgesellschaftliche Organisationen dazu aufgefordert, die Küste zu säubern und Mangroven zu pflanzen. Eine Aktion zur Säuberung der Küste fand im Mai 2021 statt, gefolgt von der Pflanzung von Mangroven im September 2022 und im Februar 2023.

In Aktion, Mangrovenpflanzung im Sama Badjao Gemeinschaften. © Gretchen Gonzaga

Dieses Programm könnte Probleme, die im Zuge der Sesshaftwerdung entstanden sind, adressieren. Maritime semi-migrierende und nomadische Gemeinschaften wie die Sama Badjao sind wichtige Partner bei Initiativen zur Ressourcenbewirtschaftung, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die maritime Ernährungssicherheit zu verstehen, zu überwachen und zu bekämpfen. Die Beteiligung der Sama Badjao nutzt der Gestaltung von Programmen, die eine langfristige nachhaltige Nutzung der Meeresressourcen gewährleisten sollen. Das aktive Einbeziehen der Sama Badjao am Mangroven-Rehabilitationsprogramm in Bato, Leyte, ist eine Möglichkeit, ihre Sichtbarkeit als Verwalter*innen der Meeresressourcen zu erhöhen.

Übersetzt aus dem Englischen von: Talia Willich, Kathrin Eitel und Mirjam Overhoff

  • Artikel
Die Autorin

Gretchen Gonzaga ist Doktorandin am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Ihre Forschungsinteressen umfassen Gender und Entwicklung, Rehabilitation und Wiederaufbau nach Katastrophen sowie Monitoring und Evaluation.

  • Die Sama Badjao und der Klimawandel

    Philippinen /Südostasien – Die indigenen Gemeinschaften der Sama Badjao leben am Meer und sind damit anfällig für Klimaschocks. Wiederkehrende Extremwetterereignisse gefährden ihren Lebensraum, zerstören ihre Häuser und Fischerboote. Zivilgesellschaftliche Projekte wollen die Sama Badjao schützen

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Gretchen Gonzaga

Gretchen Gonzaga ist Doktorandin am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn. Ihre Forschungsinteressen umfassen Gender und Entwicklung, Rehabilitation und Wiederaufbau nach Katastrophen sowie Monitoring und Evaluation.

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