2 | 2024, Indonesien,
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Die Hüter von Wasser und Land

Indonesien, Haruku, Fischerei

Schonender Umgang mit natürlichen Ressourcen ist auf der Insel Haruku in traditionellen Regeln verankert. Die nächtlichen Fackeln kündigen den Beginn der ‘Fisch-Ernte’ an. © Michael Schnitzius, alle Rechte vorbehalten

Indonesien: Die ‘Fischernte’ auf der Insel Haruku auf den Molukken richtet sich nach den Zyklen des Mondes und der Tiere. Rituale zeigen den Menschen, dass sie Verantwortung haben.

Diese Geschichte zum Thema Wasser beginnt im Februar 2024 auf der Insel Haruku, bei Eliza Kissya. Om Elly [Onkel Elly], wie er respektvoll genannt wird, lebt in einem Haus mit einer großen offenen Veranda Richtung Westen, von der man aufs Meer und auf die Insel Ambon blickt.

Südlich wird das Grundstück durch eine Flussmündung begrenzt. Der Kali Learissa Kayeli mündet hier in die Bandasee und wird so Teil des Pazifischen Ozeans. Von seiner Veranda aus beobachtet der 74-jährige Om Elly mit ruhigem Blick die Boote, die Richtung Meer aufbrechen und ebenso jene, die vom offenen Meer nach Hause zurückkehren.

Om Elly ist in Haruku verwurzelt, einer Insel im Osten Indonesiens, die zu den Molukken gehört. Diese Region ist bekannt für ihr komplexes und wirkmächtiges Gewohnheitsrecht (adat). So gibt es in dieser Gegend keinen gewählten Ortsvorsteher, sondern einen durch Erbfolge bestimmten raja. Der raja leitet die Ortsangelegenheiten aber keineswegs allein. Er erhält (unter anderem) Unterstützung durch den kewang darat, den Aufseher des Landes und den kewang laut, den Aufseher des Meeres. Der kewang ist so etwas wie ein Hüter, eine traditionelle Institution, die mit der Aufgabe betraut ist, die Natur an Land (darat), was Flüsse einschließt, sowie auf See (laut) zu schützen. Er hütet ebenfalls die Sitten und Bräuche des Dorfes. Om Elly ist der kewang-Älteste der Insel Haruku und steht seit 1979 allen kewangs der Insel vor. Auch das Amt des kewang-Ältesten wird durch Erbfolge weitergegeben.

Traditionelle Regeln zum Erhalt natürlicher Ressourcen

Als kewang-Ältester pflegt und bewahrt Om Elly die traditionellen, kulturellen und sozialen Werte des Ortes. Eine Aufgabe innerhalb dieser Pflichten ist die Umsetzung und Bewahrung der sasi-Struktur in Haruku. In Haruku (und auf weiteren Inseln der Molukken) ist sasi eine Regel zur Entnahme bestimmter natürlicher Ressourcen in bestimmten Zeitperioden. Die Intention ist die Erhaltung der Qualität und Quantität der natürlichen (tierischen und pflanzlichen) Vielfalt. Der kewang entscheidet über den Zeitpunkt für den Erlass und die Aufhebung von sasi, also eines zeitlich begrenzten Ernte-Verbots.

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Eliza Kissya (Om Elly) wacht als kewang-Ältester über die Regeln zum schonenden Umgang mit der Natur. © Yvonne Kunz, alle Rechte vorbehalten

Ein paar Tage vor der sasi-Zeremonie beginnt Om Elly geduldig, aus Kokospalmblättern einen zweidimensionalen Fisch zu weben. Er stellt den Fisch an einem Gerüst auf und hängt junges Obst daran: eine kleine Ananas und eine kleine, noch unreife Mango.

Wasser und das Land könnten nicht getrennt gedacht werden, sagt Om Elly, und dass der Fisch mit den Früchten für eine Kombination aus See- und Land-sasi stehe. Die jungen Früchte am Körper des jungen Fisches bedeuten, dass es verboten ist, sie zu ernten. Das gilt für den Fisch ebenso wie für die Früchte. Das bedeutet, natürliche Ressourcen dürfen nur dann verzehrt werden, wenn sie reif sind.

Die Zeremonie, für die Om Elly Jahr für Jahr einen Fisch webt, heißt sasi lompa. Om Elly erklärt es so: “Sasi lompa ist ein Verbot, lompa-Fische auf See zu stören. Der lompa-Fisch (Thryssa baelama) ist eine Sardellenart, die im Meer und in Flüssen lebt. Basierend auf den Lebensbedingungen des lompa-Fisches ist sasi lompa eine der lokalen typischen sasi-Arten, da es sich um eine Kombination aus Meer-sasi und Fluss, also Land-sasi handelt.”

Sasi lompa habe zum Ziel, dass die Menschen zu Beginn der ‘Wellensaison’, wenn es schwierig werde, auf dem offenen Meer zu angeln, bereits über einen Fischvorrat (sowohl für den Familienkonsum als auch für den Verkauf) verfügten, sagt Om Elly. Lompa Fische dürften also für die Zeit, in der das sasi gelte, überhaupt nicht gefischt werden. In diese Phase falle die Laichzeit der Fische.

Eine weitere Zeremonie, buka sasi, hebt das Verbot wieder auf. Hierzu werden die Fische in den Fluss gelockt, um so eine ausreichende Menge Fisch entnehmen zu können. Bei buka sasi gewonnene lompa-Fische werden anschließend gereinigt und durch Trocknen konserviert.

Der richtige Zeitpunkt

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Die jungen Früchte am Körper des jungen Fisches bedeuten, dass es verboten ist, sie – und den jungen Fisch – zu ernten. © Yvonne Kunz, alle Rechte vorbehalten

Bereits einige Tage vor der eigentlichen Zeremonie, in der das Verbot aufgehoben wird, reisen Menschen von benachbarten Inseln an, um dem Fest beizuwohnen. Der Zeitpunkt, ungefähr sechs Monate nach Beginn von sasi, wird von Om Elly bestimmt, mit Hilfe von nanaku, ein Wort der lokalen Sprache, das “aufmerksam sein” bedeutet. Bedingungen, die beobachtet und notiert werden, um den Zeitpunkt zur Aufhebung des Verbotes zu bestimmen, sind unter anderem die Farbe des Fischrückens. Ist der Rücken des lompa-Fisches grau, bedeutet das, dass der Fisch noch keine Eier gelegt hat. Wenn die Rückseite des Fisches braun ist, bedeutet das, dass der Fisch bereits Eier gelegt hat. Damit ist der Zeitpunkt näher gerückt, um das Verbot aufzuheben, also das sasi zu öffnen.

Außerdem basiert die Bestimmung der sasi-Öffnung auf der Beobachtung des Mondes. Etwa drei bis vier Tage nach Vollmond ist beste Zeit, um das sasi zu öffnen, da das Wetter zu diesem Zeitpunkt heiß ist. Das ist günstig, um den ‘geernteten’ Fisch in der heißen Sonne zum Konservieren zu trocknen. In der Vergangenheit wurde der lompa-Fisch im Oktober eingeholt. Aufgrund des Klimawandels, der sich auch auf den Zyklus von lompa-Fischen auswirkt, kam es jedoch zu einer Verschiebung des Rhythmus.

Die Ergebnisse der Beobachtungen werden dem raja übermittelt, mit dem sich die Gruppe der kewang jeden Freitag trifft. Sobald der endgültige Zeitpunkt der Zeremonie bestimmt ist, wird er der Öffentlichkeit mitgeteilt.

Zwei Monate vor dem Termin beginnen die Vorbereitungen: Jede Nacht wird ein Bündel getrockneter Kokos-Palmenblätter (lobe) am Strand angezündet, das so genannte lobe-Brennen. Diese Aufgabe wird von einem der kewangs im Wechsel ausgeführt. Das lobe-Brennen bewirkt eine gesteigerte Aufmerksamkeit bezüglich der Küsten- und Flussbedingungen. Außerdem lockt das Licht den lompa-Fisch an. Neben der besonderen Pflege der Küsten- und Flussgebiete, achten die kewangs in dieser Zeit auch besonders auf harmonische Beziehungen der Dorfbevölkerung untereinander.

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Das Brennen der lobe-Fackeln ist Teil der Vorbereitungen für die ‘Fisch-Ernte‘, © Yvonne Kunz, alle Rechte vorbehalten

Am Abend vor der Aufhebung des sasi lompa – Ernteverbots wird nach Einbruch der Dunkelheit, gegen 20 Uhr eine Prozession in Gang gesetzt. Alle kewangs der Insel versammeln sich in traditionellen Kleidern im Haus von Om Elly und ziehen mit menschengroßen Fackeln aus Kokos-Blättern, den lobe, zum ‘Stein der kewangs‘ (batu kewang, dieser Ort ist einer von mehreren spirituellen Orten, die pamali genannt werden), um hier um Erlaubnis für die Zeremonie zu bitten. Anschließend zieht die Prozession durch die Dörfer, bis zum Versammlungshaus der Insel. An jeder Straßenkreuzung wird ein Halt eingebaut, um die Menschen das Feuer sehen zu lassen und sie auf die Zeremonie am nächsten Tag einzustimmen. An der Kreuzung zum Dorf-Haus angekommen, liest die Dorfsekretärin alle Vorschriften und Sanktionen bezüglich sasi lompa vor, um die Menschen an den Hintergrund und die Regeln von sasi zu erinnern. Zum Abschluss werden die Reste der Fackeln, der lobe, ins Meer geworfen.

Fisch-Ernte sichert Versorgung für eine Saison

Sasi lompa ist ein wichtiger Teil unserer Kultur”, erklärt Om Elly, “es muss existieren und erhalten bleiben. Es kann die Menschen erziehen, damit sie die Natur mit Bedacht und Weisheit betrachten, bewachen, pflegen und schützen können. Wenn wir das sasi nicht aufrechterhalten, werden die Menschen diese Fische willkürlich und unverantwortlich nehmen, sodass es zu einer Verknappung oder sogar zum Aussterben kommen könnte.”

Nach der intensiven Prozession, die heutzutage von vielen Menschen mit Handys gefilmt wird, ruhen die kewangs sich aus, um Kraft zu schöpfen für die nächsten Schritte des zeremoniellen Ablaufs. Um Mitternacht versammeln sie sich wieder im Haus von Om Elly, um gemeinsam zu essen und Wasser aus Kokosnussschalen zu trinken. Um vier Uhr morgens steuern die Aktivitäten auf den Höhepunkt des Festes zu. Da, wo der Fluss ins Meer mündet, werden Fackeln entzündet. Menschen versammeln sich schweigend, um die Flammen zu beobachten. Das Licht ruft die Fische zum Fluss. Mit Anbruch des Tages wird es hektisch. Netze werden installiert, um dem lompa-Fisch, vom Licht in den Fluss gelockt, die Rückkehr ins offene Meer zu erschweren.

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Ausgelassene Stimmung beim gemeinsamen Fischfang, der die Vorräte für die nächsten Monate sichert. © Yvonne Kunz, alle Rechte vorbehalten

Om Elly beobachtet den Wasserstand und wählt einen Moment während der Ebbe, bittet den Pastor, ein Gebet zu sprechen und macht sich dann mit einer Trommel, der sogenannten tifa und einem Horn, dem tahuri, auf in den Fluss. Hunderte Menschen folgen ihm. Die Geräusche schrecken die Fische auf und lassen sie springen. Der raja, also der Ortsvorsteher, wirft, begleitet von Om Elly, das erste Netz aus und gibt somit den Startschuss, der die ‘Erntesaison’ eröffnet. Menschen mit Eimern, Netzen und Tüten laufen emsig und fröhlich umher und fangen Fische. Die Proteinversorgung und ein Teil des Einkommens für die nächsten Monate sind nun gesichert.

Eine Botschaft für uns alle

Am Abend ist alles vorbei. Die Schaulustigen von benachbarten Inseln, denen daran gelegen war, dass Event live auf TikTok zu streamen, sind wieder abgereist. Alle Netze sind eingeholt. Die Hühner, Hunde und Katzen beseitigen die letzten Spuren, die davon zeugen, dass mehrere hundert Kilo Fisch an dieser Stelle dem Fluss entrissen wurden.

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Der Schutz von Mangroven liegt dem kewang-Ältesten Eliza Kissya (Om Elly) besonders am Herzen. © Yvonne Kunz, alle Rechte vorbehalten

Om Elly wandert über das Grundstück und sammelt Müll ein. Wir unterhalten uns mit ihm und erzählen ihm von der Ausgabe des südostasien-Magazins, die das Thema Wasser als Fokus gewählt hat. Es freut ihn, dies zu hören. Aber er ermahnt uns auch. Der lompa-Fisch sei nicht ausgestorben, sein Überleben hänge von der Natur als Ganzem ab, insbesondere von Mangroven, die eine Nahrungsquelle für Fische und einen Schutzraum für Jungfische böten. Die Erhaltung von lompa-Fischen könne nicht von ökologischer Nachhaltigkeit im weiteren Sinne getrennt werden. Nur durch die Begrünung der Insel und den Schutz der Umwelt könnten lompa-Fische erhalten werden.

Sasi Lompa ist eine Möglichkeit, lompa-Fische zu erhalten und den Menschen Verantwortlichkeit in Erinnerung zu rufen. Durch die Umsetzung und Bewahrung der sasi lompa– Kultur schützen und bewahren wir auch die Umwelt und unsere Gemeinschaft”, so Om Elly. Zum Abschluss sagt er: “Ich habe eine Botschaft: Unsere Natur muss gut beschützt werden. Wenn wir uns zu viel Zeit lassen und zu spät sind, dann bestimmten wir so unser eigenes Schicksal”.

 

 

Der Aufenthalt von Yvonne Kunz in Indonesien wurde ermöglicht durch das interdisziplinäre Projekt sea4soCiety, das vom Bundesminsterium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert wird.

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Die Autorin


Yvonne Kunz ist promovierte Humangeographin und beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit Mensch-Umwelt-Beziehungen und Regularien natürlicher Ressourcen, vor allem in Indonesien. Bei Watch Indonesia! e.V. war sie Umwelt- und Klimareferentin und ist bis heute aktives Mitglied. Nachdem sie als Wissenschaftlerin am KITLV, dem niederländischen Institut für Südostasien und Karibikwissenschaften, beschäftigt war, arbeitet sie aktuell an der Universität Hamburg. Hier forscht sie in einem Projekt das sich mit Küstenökosystemen im Kampf gegen den Klimawandel beschäftigt.

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Die Autorin


Dessy Huwaa studiert Forstwissenschaften an der Pattimura Universität in Ambon im Masterstudiengang. Sie arbeitet gleichzeitig in der Abteilung der Provinzregierung des Forstministeriums auf der Insel Ambon. Sie hat als Forschungsassistentin Yvonne Kunz bei ihrer Feldforschung auf Haruku begleitet und maßgeblich unterstützt.

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