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Die Geister im Unterholz
Malaysia: Geisterglaube zieht sich durch die gesamte malaysische Gesellschaft – unabhängig von Klasse und Ethnie. Auf den im Land weit verbreiteten Plantagen kann Geisterglaube beispielsweise den Anbau von Mischkulturen oder das Stehenlassen des „wilden“ Unterholzes verhindern. Trotz anders lautender Lehren der Mehrheitsreligion Islam hält sich der Glaube an Naturgeister hartnäckig.
Wasch dir die Füße, nachdem du mit Geistern in Berührung gekommen bist.
(Tamilisch-malayisches Wissen)
Während eines Forschungsaufenthalts in Malaysia nutzte ich die (teils schaurige) Gelegenheit meine neuen Bekanntschaften nach Geistern zu fragen. In diesem Zusammenhang erhielt ich den Tipp, nach einer solchen Begegnung meine Füße zu waschen, auch um eventuelle Geisterverfolger abzuschütteln und sich zu reinigen. Manche Menschen glauben mehr daran und manche weniger. Geisterglaube spielte und spielt eine Rolle in der malaysischen Gesellschaft. Es existiert eine Vielzahl an Geschichten, Gerüchten und Vorstellungen. Es gibt zwar kein offizielles Bekenntnis zum Geisterglaube, inoffizielle jedoch zahlreich. Die Existenz einer ausgeprägten Geisterkultur spiegelt sich in den folgenden Gesprächen und Interviews. Meine Gesprächspartner*innen waren verschiedenen Geschlechts und Alters, gehörten zu verschiedenen in Malaysia lebenden Ethnien und sozialen Schichten. Geister beeinflussen offenbar die Gedanken und Ängste der Menschen quer durch die malaysische Gesellschaft. Die folgenden Zitate entstammen Antworten auf die Frage „Glauben Sie an Geister?“, welche ich meinen Interaktionspartner*innen stellte.
„Glauben Sie an Geister?“
Meiner Erfahrung nach dominieren drei Reaktionen auf diese Frage. Die häufigste Reaktion ist die direkte Abwehr, worauf vorsichtig eine Geistergeschichte folgt, worauf wiederum weitere Geschichten folgen bis man in einen wahren Strudel aus Geschichten gesogen wird.
Hantu – das bedeutet Geist auf malaiisch. Es gibt viele Geschichten. Alle Ethnien haben jedoch ihre eigenen Geister. Ich persönlich bevorzuge die chinesischen. Die hüpfen immerzu und wenn man sich ein Papier vor das Gesicht hält, so hört es auf. Letztendlich sind alle Geister schlecht.
(Angestellter einer Regierungsbehörde)
Die zweithäufigste Reaktion war, dass man mich belächelte oder der Geisterglaube in einer Moralgeschichte verpackt wurde.
Die Frage liegt wie die Antwort bei dir selbst. Wenn du an Geister glaubst, so werden sie bei dir sein. An manchen Tagen erscheint dein eigener Schatten wie ein Geist. Das sind erfundene Geschichten. Ich bin nicht abergläubisch.
(indischer Kautschukplantagenbesitzer)
Ich möchte lieber nicht über Geister nachdenken. Es gab Situationen, da sah ich nachts komische Gestalten neben der Straße. Die Geister wollen niemanden umbringen, sie machen sich bloß lustig. Das Problem ist nur, dass sie die Menschen so sehr erschrecken, dass sie in die offenen Arme des Todes laufen und so umkommen, zum Beispiel, wenn sie beim Wegrennen einen Autounfall haben. Also sei lieber achtsam und weniger schreckhaft.
(Kleinbauer)
Die dritte und seltenste Reaktion war die hastige Verabschiedung meiner Person, offensichtlich verbunden mit Angst und dem Bedürfnis, Konfrontation zu vermeiden. Einen Kleinbauern an der Grenze zu Thailand befragte ich nach den verschiedensten Aktivitäten und Verhältnissen auf seiner kleinen Kautschukplantage. Wir verstanden uns gut, aßen die leckere Durianfrucht und ich fragte ihn, ob es hier Geister gebe. Daraufhin wurde ich schneller verabschiedet als ich die Durian schlucken konnte.
Geisterglaube beeinflusst zuweilen Plantagenbewirtschaftung
Mein damaliges Forschungsziel war es, die Wahrnehmung verschiedener Akteur*innen in der Kautschukproduktion zu natürlichen Unterwuchs und Mischkulturanbau in Kautschukplantagen zu identifizieren. Mischkulturanbau bedeutet, dass andere Pflanzenarten in Kautschukplantagen integriert werden, um so die biologische Diversität zu erhöhen und ein nachhaltigeres Anbausystem zu schaffen. Das gleiche Ziel verfolgt der Ansatz mehr Unterwuchs zwischen den Kautschukbäumen zurückzulassen. Weniger schwerwiegend, aber dennoch ernstzunehmend, wird hin und wieder die Angst vor Geistern als Grund dafür angeführt, keine Mischkulturen anzubauen bzw. die Zwischenreihen der Monokulturen in Kautschukplantagen „sauber“ von Unterwuchs zu halten. Der Geist Pontianak wurde beispielsweise mit Bananenbäumen in Verbindung gebracht. Dies sei der Baum an dem „sie“ sich am liebsten aufhielte.
Pontianak ist ein weiblicher Geist, der im Nacken aufsitzt und in Bananenbäumen lebt. Sie kann töten. Schwangere Frauen sterben ihretwegen. Wenn sie sich nähert riecht es nach Blumen und Hunde fangen an zu wimmern. Eine leise und sanfte Stimme ist zu vernehmen, wenn man genau hinhört. Laute Stimmen und bellende Hunde hingegen, verweisen darauf, dass Pontianak weit weg ist. Man sagt sie riecht an frischer Wäsche, die vor Häusern aufgehängt wird, woran sie erkennt, dass hier Menschen leben. Das ist der Grund, weshalb manche Malaien ihre Wäsche über Nacht reinhängen. Hat jemand bei der Begegnung mit Pontianak unglücklicherweise die Augen geöffnet, so reisst sie dessen Geschlechtsorgane durch den Magen nach außen, um sie zu erhalten. Sie hat ein weißes Gesicht, rote Augen, schwarzes Haar und ein weißes Gewand, welches blutgetränkt ist.
(Angestellter einer Regierungsbehörde)
Pontianak lebt im Dschungel. Sie hat ein sehr gruseliges, hässliches Frauengesicht, lange Haare und Vampirzähne. Wie ein Vampir beißt sie nur Frauen in den Hals. Alte und große Bäume können Geisterbäume sein, an denen sie hängt.
(Angestellte einer Fabrik)
Manche Menschen glauben hingegen auch, dass es möglich ist, sich Geister zu halten, um die eigenen Plantagen vor Diebstahl zu schützen. Dieb*innen können von diesen Geistern umgebracht werden. Manch einer ist deshalb den Gefahren von Diebstahl gegenüber sehr entspannt. Wenn die Leute glauben, dass ein Bauer oder eine Bäuerin einen Geist besitzt so werden sie sich nicht trauen ihn zu bestehlen, so die „beruhigende“ Annahme.
Hantu Raya ist ein malaiischer Geist mit einer langen Zunge, der von einem Menschen aufgezogen wird, um sein Grundstück zu beschützen. Im Gegenzug muss der Geist gefüttert werden, mit sieben Eiern und Klebreis. Man benutzt Hantu Raya ebenfalls, um Plantagen zu schützen. Menschen können den Geist nicht sehen. Ein Indiz dafür, dass jemand einen Hantu Raya hat, ist, wenn das Gras plötzlich sehr kurz geschnitten ist und niemand gesehen hat, wie es geschah. Wenn der Besitzer im Sterben liegt, dann leidet er unter dem Geist und wenn er stirbt, vererbt er den Geist automatisch an seine Kinder. Ich würde nicht sagen, dass es Geister und Hantu Raya nicht mehr gibt. Wir können sie nur nicht sehen. In isolierten Gegenden sind Geister eher anzutreffen. Hantu Raya kann seinen Besitzer auch umbringen, zum Beispiel passiert dies, wenn er nichts zu Essen bekommt. Er kann auch Fremde umbringen. Heute jedoch glauben die Leute, dass Geister nicht mehr besessen werden und trauen sich zu klauen. Denn, wenn etwas Derartiges geschehen würde, dann würde sich die Neuigkeit rasend schnell verbreiten. Hier gibt es ein Grundstück, dessen Besitzer gestorben ist. Er hatte einen Hantu Raya und keine Kinder, weshalb sich keiner traut die Früchte zu stehlen, obwohl der Garten voll davon ist. Da der Geist nicht vererbt wurde ist er frei und sucht nach einem neuen Besitzer. Wenn diese Plantage nun plötzlich vom Unterwuchs gesäubert wäre, so könnte man mit Gewissheit sagen, dass sich dort ein Geist befindet. Trotzdem haben die Menschen Angst und trauen der Sache nicht, denn sie denken sehr traditionell und auch ich meide diesen Ort.
(Angestellte einer Fabrik)
Omnipräsenz von Naturgeistern
Vereinzelt wurde die Verbindung zu Mischkulturanbau beschrieben. Auffallend ist, dass sich vor allem um Bananenbäume zahlreiche Mythen ranken. Ein Beispiel ist die Angst davor, dass jemandem eine Frucht während der Arbeit auf den Kopf fällt und so für dessen plötzlichen Tod sorgt. Bei einem solchen Unfall bleibt es jedoch nicht beim Tod. Der unglücklich Getroffene wird zum selbst zum Geist und ist an den Baum, von dem die Frucht fiel, sein komplettes Geisterleben lang gebunden.
Die Leute glauben, dass es viele Geister in Bananenbäumen gibt. Es gibt Geschichten, wie zum Beispiel jene, wenn du unter einem Jackfruchtbaum gehst, eine Frucht auf deinen Kopf niederstürzt und dich so tötet, so wirst du zum Geist des Baumes. Dies geschieht mit vielen Bäumen.
(Kautschukkleinbauer)
Viele Erzählungen über Geistergeschichten haben ihren Ort in der Wildnis. Spirituelles sei hier besonders stark präsent und spürbar.
Ich habe weniger Angst vor Geistern, wenn die Sicht klarer ist, aber wenn du sie in Ruhe lässt, so lassen sie dich in Ruhe. Desto mehr du darüber nachdenkst, desto wahrscheinlicher ist es, dass du sie sehen kannst.
(Kautschukkleinbauer)
Im Urwald darf man nicht unnötig mit Wörtern um sich werfen. Vor allem darf man über keine Kreatur behaupten sie sähe lustig aus. Ich war mit einem Praktikant im Wald, als es passierte. Schau wie witzig das Ding da aussieht, sagte er zu mir. Ich dachte mir, das war es. Das Unglück ist beschworen. Der Praktikant hatte einen Käfer entdeckt. Das ist die Art und Weise wie die Lebewesen sind. Sie sind nicht lustig. Sie sind so. So verirrte ich mich. Dies ist die Lektion des Dschungels. Stunden später erreichen wir mein zu Hause, was eine halbe Stunde hätte dauern sollen. Nie wieder wollte ich ab da an mit einem Praktikanten in den Dschungel gehen.
(Kleinbauer)
Der traditionelle Geisterglaube steht zuweilen im Konflikt mit dem Islam, welcher die größte Religionsgemeinschaft in Malaysia darstellt. Trotzdem ist der Glaube an paranormale Phänomene bei einem Großteil der Bevölkerung präsent. Auf Grund dieses Konfliktes jedoch kommt es zur Distanzierung gegenüber Geistergeschichten. Geisterglaube wird von manchen als Gegenpart zur Religion gesehen. So erklärte ein Kautschukbauer, dass ein starker religiöser Glaube vor Geistern schützt. Speziell jüngere Farmer*innen halten sich stark daran. Man lerne schon in Kindertagen, dass es wichtig ist alles sauber zu halten sowohl sich selbst, als auch die Umgebung und die Plantagen. Dies ist für manche Kleinbäuerinnen und Kleinbauern Teil der Religion und wird auch als religiöse Verpflichtung gesehen. Deshalb wird Geisterglaube nicht immer öffentlich bestätigt und diskutiert.
Ein Geist berührte mich an meiner Schulter. Ich schrie, ich glaube nur an Gott.
(Kautschukkleinbauer)
Wir dürfen nicht an Geister glauben, wegen des Islam. Deshalb können wir auch keine Geistergeschichten erzählen. Man ist glücklich über innere und äußere Reinheit. Das ist die Voraussetzung zum Gebet.
(Angestellter einer Regierungsbehörde)
Verlassene Gebäude, in denen es „spukt“
Geistergeschichten beschränken sich nicht nur auf Kautschukplantagen. Auch verlassene Gebäude und Orte werden aus Angst vor Geistern meist gemieden. Vor den Highland Towers in Kuala Lumpur beispielsweise findet sich häufiger eine „Autotraube“. Die meisten Fahrer schauen sich den Ort aus der Ferne an und bekommen schon bei dem Gedanken daran, das Gelände zu betreten, Gänsehaut. In Gesprächen über alte Kolonialhäuser und verlassene Fabriken wird klar, dass viele Geschichten über „verfluchte“ Gebäude existieren. Man möchte kein Risiko eingehen und hält sich lieber von diesen Orten fern. Es könnte passieren, dass sich Geister an die Fersen des Besuchers heften und ihm nach Hause folgen, um zum Beispiel dessen Kinder zu besetzen.
Schaman*innen, sogenannte Bohmos, würden verfluchte Gebäude besuchen, wo sie in der Erde graben und danach „den Verstand verlieren“ und „im Wahn“ ins Dorf rennen. Bohmos existieren auch heute noch, vor allem in den ländlicheren Regionen. Das Wissen der Bomohs geht jedoch allmählich verloren, da sie keine Nachfolger*innen finden. Mir wurde erklärt, dass Bomohs normalerweise sogar selbst Geister halten. Sie benutzen diese zum Beispiel, um die Gegend vor Diebstahl zu schützen oder Besessenen zu helfen. Weitläufig existieren auch Geschichten über Besessenheit. Während eine Gesprächspartnerin von der schockierenden Besessenheit ihres Sohnes berichtet, erzählt ein anderer von seiner Kindheit in einem Geisterhaus.
Als ich einst auf einer Kautschukplantage wohnte, starb einige Häuser weiter ein kleiner Junge. Er war um die zwei Jahre alt. Er hatte das gleiche Alter wie mein Sohn. Unser Haus war das einzige Haus mit Licht, da mein Mann der Chef des Dorfes war. Irgendwas musste uns zu unserem Haus gefolgt sein, Plötzlich fing mein Sohn an sich zu winden und zu verdrehen und verlor das Bewusstsein. Ich versuchte in das Zimmer zu gelangen. Etwas hielt mich ab. Ich konnte nicht eintreten und hatte überall Gänsehaut. Mein Mann ging hinein und holte unseren Sohn heraus und legte ihn vor eine braune Heiligenfigur (die auch heute noch in meinem Haus steht) und betete, bis unser Sohn zu sich kam. Unser Sohn ist auch 30 Jahre später noch sehr stolz darauf, dass er einst besessen war.
(Rentnerin)
Meine Eltern erzählten mir, dass ich nachts aufgewacht sei und mich wie ein Tier, wie ein Hund, um genau zu sein, verhielt. Ich jaulte und ich bellte. Wir verließen daraufhin das Haus und diese nächtlichen Aktivitäten fanden ein Ende.
(Rentner)
Mona Fandey, eine Frau, die 2001 aufgrund eines Mordes zum Tode verurteilt wurde, ist ein bekanntes Beispiel einer Gänsehaut erzeugenden Geschichte eines Bomohs. Ihr wird nachgesagt, schwarze Magie angewendet zu haben, um so Politiker bei Wahlkämpfen zu unterstützen. Im Zuge dieser Aktivitäten zerstückelte sie mit einer Axt den Kopf eines Politikers. Ihre letzten Worte vor der Hinrichtung waren „Ich werde niemals sterben!“, und sie verkündete sie mit einem Lächeln im Gesicht. Das Haus der Mona Fandey steht noch immer in Kuala Lumpur. Hier soll sich angeblich kein einziges Staubkorn absetzen. Es sei, so meinen die Anwohner*innen, verflucht.
Es gibt zigtausend weitere Geistergeschichten und Geisternamen. Alle aufzuzählen würde wohl den Rahmen eines tonnenschweren Buches sprengen. Eine stark ausgeprägte Geisterkultur existiert und beeinflusst viele Menschen in ihrem Tun und Handeln, auch auf Plantagen und im Dschungel, wo die Undurchsichtigkeit die natürliche Angst der Menschen bestärkt. Trotzdem gibt es Unterschiede in der Zuwendung zum Geisterglaube, wenn sie denn besteht, Ein Kautschukbauer verdeutlicht die Situation mit einem bildlichen Vergleich: „Nimm deine Hand. Es ist eine Hand, aber mit unterschiedlichen Fingern. So verhält es sich auch mit der Ausprägung des Geisterglaubens der Malaien.“
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