Philippinen

Das Pork Barrel-System der Philippinen

Schweinefleisch bekommt eine mehrfache Bedeutung © Lilli Breininger

Reichtum kann sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene generiert werden. Ein System, das für die Entwicklung einzelner Regionen in Hinsicht auf die Schaffung besserer Infrastruktur, einer besseren medizinischen Versorgung und besseren Bildungsmöglichkeiten gedacht war und damit mehr gesellschaftlichen Reichtum schaffen sollte, bestand aus Entwicklungsfonds, wie dem Country Development Fund (CDF) oder dem Priority Development Asisstance Fund (PDAF). Diese Fonds waren dabei in der Realität oft mehr politische Instrumente als wirkliche Entwicklungsinstrumente und als solche auch anfällig für politische Korruption.

Die Fonds waren dabei schon immer nicht nur eine Entwicklungshilfe für Regionen, sondern dienten auch als Mittel für ein Patronage-System, da Kongressabgeordnete durch sie gezielt Gelder in ihre Wahlbereiche fließen lassen konnten. Die Fonds, die aber eigentlich auch einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen sollten, sind dabei von Einzelnen oft in einem extremen Maß korrumpiert worden, um somit einen größeren individuellen finanziellen Mehrwert zu generieren. Der Output für die Gesellschaft wurde dabei meist entweder stark geschmälert oder war quasi nicht mehr vorhanden. Auf der anderen Seite stieg der Output für einzelne Politiker extrem an. Diese Fonds, die auch Pork-Barrel Fonds genannt werden, haben dabei eine lange Geschichte in den Philippinen und reichen als solche zurück bis in das Jahr 1922.

Als Pork Barrels werden Regierungsfonds bezeichnet, in denen Pauschalbeträge für lokale Projekte zur Verfügung gestellt werden. Man kann hier eine Unterscheidung aufmachen zwischen presidential und congressional Pork Barrel Fonds. Als presidential Pork Barrel Fonds wird dabei der Presidential Social Funds sowie auch der Malampaya Fonds bezeichnet. Auf diese Fonds hat nur die präsidentielle Administration Zugriff.

Im Weiterem sollen hier aber zunächst die congressional Pork Barrel Fonds betrachtet werden. Congressional Pork Barrel Fonds sind Regierungsfonds, in denen Pauschalbeträge für Projektimplementierungen vorhanden sind auf die jeder Kongressabgeordnete Anspruch hat. Auf die Gelder dieser Fonds hat jede und jeder Kongressabgeordnete Zugriff, um bestimmte Projekte in ihrem und seinem Wahlbereich fördern zu lassen. Die Auswahl der zu fördernden Projekte sowie den exakten Vorgang der Förderung, also der Auswahl an Vertragspartnern und die Planung, ist dabei auch den Kongressabgeordneten überlassen. Es gibt nur grobe Bestimmungen über die Aufteilung der Gelder und darüber, in welchen Gebieten die Förderung stattfinden muss. So wird z.B. beim PDAF der Betrag geteilt in einen Teil der für soft projects, z.B. Gesundheits- und Erziehungsbelange und einen anderen Teil, der für hard projects, also Infrastrukturprojekte, bestimmt ist.

Als erster Pork Barrel Fonds gilt dabei der Public Works Act von 1922. Der Public Works Act hat sich mit Unterbrechungen bis zu dem Anfang des Kriegsrechts gehalten. In der Zeit unter Kriegsrecht (1972-86) wurde das Pork Barrel System ab 1972 temporär abgeschafft. 1982 allerdings ist mit dem „Support for Local Development Project“ wieder ein Pork Barrel Fonds implementiert worden, welcher im Gegensatz zu dem Public Works Act nicht nur noch Infrastrukturprojekte umfasste, sondern auch soft Projects. Nach der Zeit Marcos wurden vorerst zwei Fonds, die auf regionalen Pauschalbeträgen beruhten, für bestimmte Regionen eingesetzt. Dies waren der „Mindanao Development Fund“ und der Visayas Development Fonds, wobei der erste mit 480 Millionen Pesos und der zweite mit 240 Millionen Pesos ausgestattet wurde. 1990 wurde dann ein Fond für alle Regionen eingeführt, der Country Development Fonds, welcher bis 1999 bestand. Im Jahr 2000 wurde schließlich der Priority Development Assistance Fonds implementiert. Im Jahr 2001 beinhaltete dieser Fond noch eine Summe von 2,3 Milliarden Pesos und im Jahr 2013 war die Gesamtsumme mit welcher der Fonds ausgestattet wurde bereits auf 24,79 Milliarden Pesos angestiegen.

Die Gelder der Fonds sind dabei für die Verwendung zur Förderung von gesellschaftlich wichtigen Projekten bestimmt, jedoch wird, wie Earl Parreno oder auch Yvonne T. Chua und Booma B. Cruz zeigen, fällt ein Großteil der Gelder oft den Kongressabgeordneten selber und ihren nepotistischen Verbindungen zu. Auf diesem Wege geht ein großer Teil des Geldes, welches eigentlich für die Entwicklung der Regionen bestimmt ist, verloren. Dabei handelt es sich teilweise um Spannen von 12 Prozent bis 50 Prozent oder auch 60 Prozent. Auch wenn ein Teil des Geldes (außer bei Ghost Projects) trotzdem noch für diese Projekte ausgegeben wird, kommt den Projekten dadurch nie so viel Geld zugute, wie ohne diese zuvor stattfindende große Abschöpfung. Die Pork Barrels dienten also Kongressabgeordneten sowie anderen Beteiligten lange Zeit als Mittel zur Wertschöpfung.

Im Jahr 2013 wurde schließlich ein großer Korruptionsfall um den PDAF aufgedeckt, in welchen die Senatorin Janet Lim-Napoles und mehrere Abgeordnete und Regierungsmitglieder verwickelt waren. In diesem Fall wurden mehrere Milliarden Pesos aus dem Fonds akquiriert und Schein-NGOs überschrieben, um somit letztendlich das Geld selbst zu erhalten. Die Comission on Audit, welche den PDAF genauer untersucht hat, ist bei dieser Untersuchung auf viele Unregelmäßigkeiten gestoßen, welche in dem über 400 Seiten langen Bericht beschrieben werden. Als Reaktion auf diesen Korruptionsfall sind im ganzen Land mehrere Proteste gegen das Pork Barrel System entbrannt. Das Verfahren um Janet Lim-Napoles ist bis heute noch nicht zu einem Ende gekommen und es wird immer noch gegen mehrere Senator*innen, Abgeordnete und Gefolgsleute ermittelt.

Im selben Jahr noch, am 19.11. 2013, wurden die Pork-Barrel Fonds als verfassungswidrig eingestuft. Die Verfassungswidrigkeit kommt dabei durch die Verletzung des Prinzips der Gewaltenteilung zustande. Die Legislative, also der Kongress, kann zwar die gesetzlichen Richtlinien für die Ausgaben der Gelder beschließen, jedoch hört die Befugnis bei der Implementierung der Gesetze, also in diesem Fall der Implementierung des Budgets auf. Diese Implementierung ist Aufgabe der Exekutive und muss von den Aufgaben der Legislative getrennt werden. Durch die congressional Pork Barrels wird diese Trennung aber aufgehoben, da hier die Legislative die Gelder auch eigenständig einsetzen darf und durch die Implementierung der Gelder seitens der Kongressabgeordneten die eigentliche Grenze zur Exekutiven transzendiert wird. Exekutiv- und Legislativgewalt fusionieren in diesem Akt der Implementierung des Budgets durch Kongressabgeordnete und die Gewaltenteilung ist folglich nicht mehr ausreichend gegeben. Allerdings gilt diese attestierte Verfassungswidrigkeit nur für die congressional Pork Barrels und nicht bei presidential Pork Barrels.

Die congressional Pork Barrels bestehen zumindest in dieser Form nicht mehr weiter, jedoch gab es im Jahr 2017 ein Disput zwischen Kongressabgeordneten, ob Pork Barrel Gelder im Haushalt eingeplant sind, was exakt das Verbot von Pork Barrels bedeutet und worauf es sich bezieht. Dies hat Senator Lacson als Pork Barrel und als Wiederaufbereitung des PDAFs identifiziert, da durch die eingeplanten Gelder die Gewaltenteilung verletzt werden würde. Seine Gegner hielten dagegen, dass der Unterschied darin besteht, dass über diese Gelder schon bestimmt wird vor dem Einreichen des Budgets und deswegen keine Verfassungswidrigkeit vorliegt.

Auch in dem Haushalt für 2018 waren Gelder eingeplant, die den Kongressabgeordneten als Pauschalbetrag für die Entwicklung in ihren Wahlbereichen zur Verfügung stehen sollten. Es handelte sich bei den Geldern um ein Summe von 69 Milliarden Pesos. Die strittigen Gelder wurden schließlich nach dem Protest von Kongressmitgliedern nicht in den Haushalt des Jahres 2018 aufgenommen. Pork Barrel Gelder scheinen jedoch keineswegs vollständig verschwunden, sondern in kleinerer Form in den Budgets der einzelnen Departments untergebracht worden zu sein. Dadurch muss kein offizieller Fonds etabliert werden, aber trotzdem stehen noch Gelder zur Projektimplementierung für die Kongressmitglieder zur Verfügung.

Das Pork Barrel System hatte, auch wenn es inzwischen Verfassungswidrigkeit besitzt, einen langen Bestand in den Philippinen und hat somit auch Einfluss auf die Art der Politikführung in dem politischen System genommen. Die Vorteile die es für die Kongressabgeordnete besaß sind groß gewesen und die Ablegung solcher Privilegien stößt meist nicht nur auf Akzeptanz. Es bleibt deswegen die Frage bestehen, ob und inwiefern von politischer Seite versucht wird, das alte System wieder vollständig zu rehabilitieren. Ein solcher Versuch der Rehabilitierung von Pork Barrel Fonds wurde auch schon den Entwürfen der Verfassungsänderung zu einem föderalen System attestiert. Durch das Verankern von solchen Fonds in der Verfassung könnte das Urteil des Supreme Court umgangen werden und Pork Barrel Fonds könnten wieder als verfassungskonformes Element in die philippinische Politik zurückkehren.

Zum Weiterlesen:

Berichte über den Nutzen und die Verwendung von Pork Barrel Geldern:

Sammelband mit investigativen Berichten und Artikeln zu dem Pork Barrel System in den Philippinen:

  • Coronel, Sheila S. (Hg.) 1998: Pork and other perks. Corruption and governance in the Philippines. Philippine Center for Investigative Journalism. Quezon City.

Supreme Court Beschluss zu der Verfassungskonformität von Pork Barrels:

  • Philippine Supreme Court Descision: Greco Antonious Beda B. Belgica v. Hon. Executive Secretary Paquito N. Ochoa, G.R. No. 208566
  • Gesammelte Informationen über den PDAF Korruptionsfall um Janet Lim-Napoles. Alle Berichte des Philippine Inquirer, sowie der Comission on Audit Bericht und weitere offizielle Berichte und Dokumente hier abrufbar

  • Artikel
Der Autor

Marcel Frentzel studiert Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Kassel.

DOWNLOAD (PDF)
Marcel Frentzel

Marcel Frentzel studiert Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Kassel.

Share
Published by
Marcel Frentzel

Recent Posts

Klimakolonialität: Das Beispiel Haiyan

Philippinen – Unter dem Klimawandel leiden die Menschen am meisten, die ihn am wenigsten verursachen.…

4 Tagen ago

Kolonialismus im Depot

Philippinen /Schweiz – Die kolonialen Verstrickungen der Schweiz werden selten thematisiert. Ein Verein setzt sich…

3 Wochen ago

Grotesk-satirischer Blick auf das koloniale Erbe

Indonesien/Niederlande – Der Film “Sweet Dreams” beleuchtet mit eindrucksvoller Bildsprache und skurrilem Humor Traumata, die…

4 Wochen ago

Die molukkische Diaspora und ihr kulturelles Erbe

Indonesien/Deutschland – In einer postkolonialen Gesellschaft müssen ethnologische Museen ihre Sammlungen den Herkunftsgesellschaften zugänglich machen

4 Wochen ago

Indigene haben das Recht auf eine eigene Weltanschauung

Kambodscha/Südostasien – Schamanismus kann indigenen Völkern helfen, ihre Identität und ihr Territorium gegen den globalen…

4 Wochen ago

Kunst im Kontext kolonialer Kontinuitäten

Indonesien – Die Werke des Udeido-Kollektivs aus Westpapua spiegeln Hoffnungen, Erfahrungen und Kämpfe der Vergangenheit…

4 Wochen ago