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Celegrams und Kepoers – Eigenwerbung in Pandemiezeiten
Indonesien: Kulturschaffende mussten in der Corona-Zeit auf den direkten Kontakt zu ihrem Publikum verzichten – und damit auch auf Einnahmequellen. Eigenwerbung über soziale Medien ist ein neuer Trend dieser Zeit.
Um den langweiligen Alltag im Corona-Lockdown zu überwinden, postete Firman Setyo Anam, ein Student aus Yogyakarta (Zentraljava) ein kurzes Video von sich auf TikTok, wie er tanzt. Zugleich ermutigte er andere, ihn nachzuahmen. Wegen der kurzen und leichten Choreographien bekam er viele Likes und merkte bald, dass es TikTok-Nutzer*innen am besten gefiel, wenn er moderne Bewegungen mit javanischen Tanzfiguren kombinierte und mit Koplo-Musik unterlegte. Er begann dann, sich auf dieses neue Tanzgenre zu spezialisieren, das er Ambyar-Tanz nannte (ambyar ist javanisch für „zerbrochen“, „zerschmettert“ oder „zerschlagen“, auch einfach als „chaotisch“ verstanden). Ein geschickter Zug war, dass Firman seine Freunde einlud, mit ihm zusammen seine Ambyar-Choreografie für sein TikTok-Konto, @frfirman01, zu tanzen.
Seit seinem ersten Beitrag bei TikTok am 13. Mai 2020 ist die Zahl seiner Follower auf 1,2 Millionen gestiegen, von denen er bereits 24,7 Millionen Likes bekam. Seine Beliebtheit unter Jugendlichen hat zu Auftritten und Interviews in vielen beliebten Fernsehsendungen geführt. Berühmte Künstler*innen – insbesondere der Koplo-Szene – haben ihn und seine Freunde eingeladen, zusammenzuarbeiten. So werden Firman und seine Tanzfreunde zu Werbeträgern für diese Künstler*innen, indem er ihre Lieder aufführt oder ihnen das Tanzen mit seiner Ambyar-Choreographie beibringt. Im September 2020 gründete er die Tanzgruppe Ambyar People und erstellte zwei Monate später einen Instagram-Account für seine Gruppe. Um Menschen über Youtube zu erreichen, betrat er im Februar 2021 die Videoplattform. Seine Followers auf den beiden Plattformen sind zwar nicht so viele wie auf TikTok, aber innerhalb kürzester Zeit hat er zehntausende Follower und Likes bekommen.
Firman wird in Indonesien Celegram (indonesisch: Selegram) genannt, was die Abkürzung für Celebrities of Instagram ist. Im Gegensatz zu Künstlern, die offline kommerziellen Erfolg haben, sind die Celegrams Menschen, die über Social-Media-Kanäle berühmt werden – insbesondere auf Instagram, das am häufigsten genutzte soziale Medium in Indonesien. Der Begriff Celegram gilt auch für Prominente, die auf anderen Kanälen Aufsehen erregen, wie YouTuber, Vlogger, TikToker oder Facebooker, die durch diese sozialen Medien populär geworden sind. Während die sozialen Medien zweifellos die größte Rolle bei der Karriereentwicklung der Celegrams spielen, verdankt die neuen Generation der Social-Media-Prominenz ihren Blitzerfolg der sogenannten Kepo-Kultur, die besonders bei indonesischen Jugendlichen sehr populär ist.
Kepo-Kultur als Treibstoff des „Kunst-Business“
Das Wort Kepo gehört zur informellen indonesischen Sprache. Laut Ivan Lanin (2012), einem bekannten Enthusiasten der indonesischen Sprache, stammt Kepo, wie es in den Sozialen Medien Indonesiens verwendet wird, nicht von dem englischen Akronym KEPO, das eine Abkürzung für Knowing Every Particular Object ist. Stattdessen wird es aus dem chinesischen Dialekt Hokkien übernommen: Kay poh oder Kaypo ist ein Adjektiv, das „zu viel Neugier auf das Leben anderer Menschen“ bedeutet. Indonesisches Kepo ist nun Teil eines schnell wachsenden indonesischen Vokabulars im Big Indonesian Dictionary und wird seit der Ankunft der Sozialen Medien in Indonesien Mitte 2000 in der Jugendkultur verwendet, hauptsächlich von Familien der Mittel- und oberen Mittelschicht, die in Städten leben.
Diejenigen, die kepo sind, werden Kepoers genannt. Ihre Haltung merkt man an ihren zu privaten, oft kontrollierenden Fragen. Während Menschen aus verschiedenen Gründen sehr neugierig sein können, entwickelt sich die Kepo-Haltung häufig innerhalb einer Gruppe enger Freunde, um die Freundschaft zu stärken, oder – in der Vergangenheit – als eine Form von sozialer Kontrolle.
Jugendliche von heute bewerten die Kepo-Gewohnheit über kulturelle und mediale Grenzen hinweg jedoch positiver. Die jungen Kepoers sind sehr neugierig und auch oft kritisch gegenüber Celegrams, seien es Sänger*innen, Schauspieler*innen, Tänzer*innen oder hochrangige Politiker*innen. Sie sind begierig darauf, das tägliche Leben und die Aktivitäten ihrer ‚gefolgten‘ Prominenten zu sehen und freundliche oder auch mal schroffe Kommentare dazu abzugeben. Die Celegrams sind die ‚Zielscheibe‘ der Kepoers.
Soziale Medien als Werbeplattform für Celegrams
Sehr interessant ist die Änderung des Wortes kepo von einem Adjektiv (passiv) zu einem Verb (aktiv) durch die Celegrams. Sie fordern ihre Followers mit dem Satz „kepo-in aku donk“ (Deutsch: Bitte mach kepo zu mir). Das Verb kepo-in bedeutet etwa „intensives Erkundigen nach weiteren Informationen“. So laden die Celegrams die Öffentlichkeit ein, ihre Aktivitäten oder Ihre Kunstwerke in ihren Instagram-Konten anzusehen und zu überprüfen. So hat sich die Kepo-Kultur zu proaktiven Aktionen und einer verbalen Haltung bei den Kepoers entwickelt.
Ähnlich wie Firman, gewinnen weitere Celegrams wie zum Beispiel Babe Cabita, Awkarin, Dr. Tirta, Nikita Mirzani Millionen von Follower durch die Inhalte, die sie in ihren Instagram-Konten erstellen. Firman, der Celegram-Tänzer, wird inzwischen von Fernsehsendern in Live-Talkshows eingeladen, da sein Stil so viele Zuschauer anzieht, dass die Leute ihn auch offline ‚treffen‘ möchten. Eine sehr wichtige Tendenz, die viele, nicht nur junge, sondern auch erwachsene Kepoers anzieht, sind Instagram-Konten von Einzelpersonen, die in der Öffentlichkeit privat bleiben. Andere Instagram-Accounts wie Lambe Turah, Mak Nyinyir, Rumpi No Secret produzieren Nachrichten rund um Prominente, laden Prominente ein, über ihre Aktivitäten und andere private Angelegenheiten zu sprechen. In solchen Konten übertragen sogar Moderatoren von TV-Sendungen ihre Interviews aus den Häusern der Prominenten.
Online-Kunstausstellungen und -Bühnenauftritte mit Sozialmedien
Während der Pandemie, in der die Menschen die meiste Zeit zu Hause verbracht haben, ist die Nutzung sozialer Medien sprunghaft angestiegen. So nutzen auch viele Künstler*innen ihre Sozialen-Medien-Konten, um online Auftritte und Ausstellungen, oft auch Diskussionen und Seminare, zu organisieren. Das zieht junge Menschen an, die aus geografischen Gründen und aufgrund zu hoher Reisekosten sonst nicht zum Veranstaltungsort hätten kommen können.
Eine Künstlergruppe in Jakarta organisierte zum Beispiel eine Online-Diskussion über die Werke des verstorbenen Dichters, Sapardi Joko Damono, die fast 1.000 Zuschauer anzog. Die meisten davon waren Jugendliche, die dem Dichter auf Instagram folgten, als er noch lebte. Nach seinem Tod wird auf seinem Instagram-Account kontinuierlich weiter über seine Gedichte diskutiert. Einige Künstler, etwa Arman Maulana und Cakra Khan (Sänger), Dian Sastrowardoyo (Schauspielerin) oder der berühmte Maler Eko Nugroho, haben YouTube und Instagram für Live-Streaming von ihren Auftritten und Ausstellungen genutzt.
Für viele kleinere Veranstaltungen hat der Soziale-Medien-Boom einen regelrechten Auftrieb gegeben und so mancher Künstler war durch die Pandemie gezwungen, seine Online-Selbstvermarktung zu verbessern. Für größere Veranstaltungen war der Lockdown eher schwierig, da sie vom Publikum leben. Die größte Kunstausstellung Indonesiens, die jährliche ARTJOG in Yogyakarta, fand 2020 gezwungenermaßen ebenfalls online statt – und warb damit, dass man anders als in den Vorjahren diesmal nicht Schlange stehen müsse. Ironischerweise war die ARTJOG aber zuvor so populär geworden, weil sich so viele junge Menschen vor den oft spektakulären Kunstwerken fotografiert und diese Selfies anschließend bei Instagram gepostet haben. Da dies bei einem Online-Besuch nicht möglich war, fiel in jenem Jahr das Interesse jenes Publikums, das sich gern über Soziale Medien definiert. Es gab dann später noch eine Teilöffnung der Ausstellung.
So sind die Sozialen Medien heute einerseits eine Bühne für indonesische Künstler geworden, um ihre Fans zu treffen, ihre Werke zu präsentieren und zu verkaufen, nachdem sie während der Pandemie nicht offline auftreten konnten. Sie bieten viele Möglichkeiten für indonesische Künstler, weiterhin ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sind aber nicht immer ein adäquater Ersatz für Präsenz-Veranstaltungen.
Der Autor
Dr. Gaston Soehadi ist Dozent für Literaturwissenschaft an der Christlichen Universität Petra in Surabaya, Ostjava.
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Die Autorin
Dr. phil. habil. Jary Saraswati ist freiberufliche Forscherin und Autorin für Soziologie, Religionswissenschaft und Projektmanagement in Düsseldorf.
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