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Auf Rizals Spuren in Deutschland
Deutschland/Philippinen – José Rizal, scharfer Kritiker der spanischen Kolonialherrschaft, lebte zeitweise in Heidelberg und Berlin. 1896 wurde er wegen Hochverrats in Manila hingerichtet. Mary Montemayor berichtet im Interview über das Erinnern an den philippinischen Nationalhelden in Deutschland.
Als Tochter philippinischer Eltern, die Anfang der 1980er Jahre nach Deutschland gekommen sind, bist Du in Rheinland-Pfalz aufgewachsen. Wann und wie bist Du auf José Rizal aufmerksam geworden?
Mary Montemayor ist in Deutschland aufgewachsene Wissenschaftsmanagerin, arbeitet an einem naturwissenschaftlichen Institut in Mainz und hat philippinische Wurzeln. Sie engagiert sich unter anderem in philippinischen Diasporaorganisationen und ist Mutter eines Sohnes.
Meine erste Erinnerung an das Rizal- Denkmal und nicht die Person José Rizals ist mit einem kleinen ‚Unfall‘ verbunden: Ich bin tatsächlich als Kind ‚in den Brunnen gefallen’ – in das Wasserbecken, in dem sich die Bronzestatue in Wilhelmsfeld befindet. Während die Erwachsenen die beste Lage für das Gruppenfoto um Rizal herum diskutierten, bin ich beim Herumtoben ausgerutscht und ins Wasser gefallen. Ich war drei Jahre alt und wir waren mit unserem Besuch aus den Philippinen in Wilhelmsfeld, um die ‚Rizal-Sehenswürdigkeiten’ zu besichtigen und viele Erinnerungsfotos zu machen. In meiner frühen Kindheit interessierte es mich natürlich nicht, wen wir da besuchten. Mir war später nur bewusst, dass er jemand Berühmtes aus unserem Heimatland gewesen sein muss, denn er sah nicht ‚typisch deutsch’ aus und hieß José – wie einer meiner philippinischen Cousins – und den Erwachsenen war es wichtig, ein Foto mit der Bronzestatue zu machen.
Was hat man Dir über José Rizal erzählt und welchen Eindruck hast Du davon in Erinnerung behalten?
Erst im Grundschulalter nach mehreren Ausflügen nach Wilhelmsfeld mit Familie und Freunden fragte ich meine Eltern, wer José Rizal eigentlich war. Damals gab es noch kein Internet! Das Gespräch ist mir in Erinnerung geblieben, weil meine Eltern mir zum ersten Mal etwas mehr über unser Heimatland erzählt haben: dass die Philippinen über 300 Jahre lang spanische Kolonie waren, dass José Rizal nicht nur Schriftsteller und Arzt, sondern auch Freiheitskämpfer war und dafür exekutiert wurde – unser Nationalheld. Und dass er nicht nur die Welt bereist, sondern auch hier in Deutschland gelebt, gelernt und gearbeitet hat. Meine Eltern haben mir ihre deutsche Fassung des Buches Noli me tangere direkt in die Hand gedrückt. Sie schienen begeistert und zugleich stolz zu sein, über ihn zu erzählen. Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob das Rizal oder meinem Interesse galt. Vermutlich ein bisschen von beidem.
Du warst also mehrmals in Wilhelmsfeld bei Heidelberg, wo an Jose Rizal erinnert wird. Was hast Du dabei noch erlebt?
Tagesausflüge nach Wilhelmsfeld standen bei Besuchen von philippinischen Freunden und Familie (ob aus Deutschland, den Philippinen oder den USA) immer auf der Tagesordnung, da wir nur eine Stunde von Wilhelmsfeld entfernt wohnten. Einigen von ihnen war die Gedenkstätte Rizals in Deutschland bisher unbekannt, umso größer war die Begeisterung. Es wurde jedes ‚Monument‘ von Rizal fotografiert, ob Straßenschild, Gedenktafel, Gebäude oder Bronzestatue. Die Freude, sich für Fotos neben die Statue oder das Straßenschild zu stellen, hat mich immer amüsiert. Am meisten hat mir als Kind Spaß gemacht, mit den Erwachsenen und anderen Kindern die Haltung der Rizal Statue für Fotos nachzuahmen.
Welche Bedeutung haben Besuche an Rizal Gedenkstätten, zum Beipiel in Wilhelmsfeld oder in Berlin für die philippinische Diasporagemeinde in Deutschland?
Ich dachte früher, es ginge nur um ein schönes Erinnerungsfoto, aber meines Erachtens geht es auch darum, was Rizal symbolisiert: Freiheit, Unabhängigkeit und Erfolg – innerhalb sowie außerhalb des Heimatlandes. Rizal war der erste (und bisher einzige) Filipin@ dem als Anerkennung seiner Taten eine Straße, ein Park und ein Denkmal in Deutschland – im fremdsprachigen Ausland – gewidmet wurde (soweit mir bekannt ist). Gedenkt man Rizal, so gedenkt man vielleicht gleichzeitig der Philippinen und feiert seine eigene Herkunft. Meine Eltern haben noch heute eine sehr enge und innige Beziehung zu ihren Familien auf den Philippinen. Sie reisen, wenn möglich, regelmäßig ‚heim’. Die Gedenkstätte ist zugleich eine Erinnerung an die Philippinen, sozusagen ein Stück Heimat im Ausland oder ein Stück alte Heimat in der neuen.
Was ist in Deiner Wahrnehmung für die Diasporagemeinde das Besondere an der Person Rizals im Vergleich mit anderen bedeutenden historischen Persönlichkeiten?
Vielleicht könnte man Rizal als einen der ersten OFW (Overseas Filipino Worker) bezeichnen? Der philippinische Nationalheld teilt mit den Mitgliedern der deutschen Diasporagemeinde die Erfahrung, sich zwar ein neues Leben im Ausland aufzubauen und es zu bestreiten, aber dennoch eine enge Verbindung mit dem Herkunftsland zu pflegen.
Welche Bedeutung misst Du persönlich José Rizal inzwischen bei?
Persönlich habe ich zu Rizal eine ‚literaturwissenschaftliche’ Beziehung. Noli me tangere ist das erste Buch einer philippinischen Autor*in, das ich gelesen habe (auch wenn das Original in Spanisch verfasst wurde). Das Buch war ein Roman, der mir die Philippinen, ihre Geschichte und philippinische Charaktere näher gebracht hat. Da ich in Deutschland aufgewachsen bin, gehörten philippinische Texte nicht zu meiner Schul-Lektüre; daher war es besonders spannend für mich, die Philippinen auf diese Weise kennen zu lernen. Rizal folgten weitere philippinische / philippinisch-amerikanische Autor*innen, wie Bienvenido Santos, Marianne Villanueva, M. Evelina Galang und viele mehr. Ich habe daher – neben Kunstgeschichte – Amerikanistik und Romanistik (Schwerpunkt Spanisch) studiert und bei frei wählbaren Themen immer zu den Philippinen gearbeitet. Postkolonialismus, Interkulturalität und ethnic life writing waren Schwerpunkte meines Studiums. In meiner Magisterarbeit habe ich die (autobiographischen) Romane von Schriftsteller*innen aus der US-amerikanischen Diaspora, Carlos Bulosan und Jessica Hagedorn, diskutiert und analysiert. Selbst nach meinem Studium suche und lese ich noch Bücher von philippinischen Autoren, meist aus der Diaspora. Ich freue mich, wenn ich irgendwann vielleicht einen Roman von einer/einem deutsch-philippinschen Autor*in in Händen halte.
Hast Du Eurem Sohn von Rizal erzählt und war er auch schon in Wilhelmsfeld?
Meinen Sohn beschäftigt zurzeit eher der Klimawandel – neben LEGO, Videospielen, Comics, Star Wars und so weiter. Aber ein Ausflug nach Wilhelmsfeld wäre auf jeden Fall eine super Idee, ihm José Rizal vorzustellen und von ihm zu erzählen.
Der Filipino Dr. José Protacio Rizal, 1861 in Calamba in der Provinz Laguna geboren, stammte aus begütertem Haus und erhielt eine gediegene Ausbildung im In- wie Ausland. Er war Arzt und Schriftsteller und gehörte aufgrund seiner Herkunft und seiner Bildung zu den Ilustrados (den ‚Erleuchteten’). Diese sprachen fließend die Sprache der spanischen Kolonialherren, waren vertraut mit den Ideen der europäischen Aufklärung und den Idealen der Französischen Revolution. Gemäß der kolonialen Gesellschaftsordnung waren sie jedoch sozial geächtet und politisch ausgegrenzt, da sie weder in Spanien noch mit spanischer Abstammung in den Philippinen geboren waren, sondern zu den von den Spaniern abschätzig als „Indios“ bezeichneten Einheimischen gehörten.
Diese Diskriminierung auf friedlichem Wege zu beenden und die Philippinen angemessen in der spanischen Nationalversammlung, der Cortés, vertreten zu sehen, waren die Ideale, für die sich Rizal und die von ihm 1892 gegründete La Liga Filipina einsetzten.
Rizal unternahm ausgedehnte Reisen nach Hongkong, Japan, durch die USA und Europa und lebte einige Zeit in Deutschland. In Heidelberg praktizierte er Augenheilkunde und wohnte von Februar bis Juni 1886 im nahegelegenen Ort Wilhelmsfeld als Gast im Pfarrhaus.
Der kolonialen Herrschaft widersetzte sich Rizal als philippinischer Nationalist und scharfer Kritiker, der mit spitzer Feder, ätzender Kritik und eleganter Rhetorik in seinen beiden Hauptwerken Noli Me Tangere und El Filibusterismo die Willkürherrschaft der zivilen Kolonialbeamten und geistlichen Orden ins Visier nahm. In den Augen der Kolonialmacht wurde er so zum „gefährlichen Aufrührer“. Zunächst in den Süden der Philippinen verbannt, wurde er von den spanischen Behörden des Hochverrats angeklagt, für schuldig befunden und am 30. Dezember 1896 in Manila erschossen, wo heute der Stadtpark seinen Namen trägt.
Nach der Ablösung Spaniens durch die USA als neue Kolonialmacht der Philippinen (1901 bis 1946) gelangte José Rizal zu Ruhm und wird heute als philippinischer Nationalheld verehrt.
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