Digitale Transformation, Südostasin

Digitale Plattformen wie GoJek oder gofood, wie hier in Indonesien, haben in den letzten Jahren die Lebens- und Arbeitswelt in Südostasien grundlegend verändert – mit nicht immer absehbaren Konsequenzen und Herausforderungen für Arbeiter*innen, Gewerkschaften und Umwelt © Hendra Pasuhuk

Thema: Digitale Transformation in Südostasien

Südostasien ist mit seiner vergleichsweise jungen und technikaffinen Bevölkerung längst einer der am schnellsten wachsenden Märkte für digitale Unternehmen. Singapur gilt weltweit als ein Vorreiter der Digitalisierung, insbesondere in der Anwendung moderner Technologien im Finanzsektor und in der öffentlichen Verwaltung, gleichzeitig aber auch bei der Kontrolle und Überwachung der eigenen Bürger*innen.

Andere Staaten und Unternehmen der Region entwickeln ebenfalls Strategien für eine digitale Transformation. Mit massiven Investitionen in die technische Infrastruktur und die Förderung von Unternehmen soll die Wettbewerbsfähigkeit gesichert werden. Mit Digitalisierung verbinden Regierungen die Hoffnung auf eine nachholende ‘Entwicklung’ und eine Neupositionierung auf dem Weltmarkt, den Übergang von Zulieferindustrien hin zu einer höheren Wertschöpfung im eigenen Land. So hat Indonesien 2018 die Initiative Making Indonesia 4.0 vorgestellt.  Das Land – einer der Mitgliedsstaaten der G20 – möchte seine Wettbewerbsfähigkeit steigern und seinen Platz unter den großen Wirtschaftsnationen festigen.  Bis zu 10 Millionen neue Arbeitsplätze verspricht sich die Regierung von dem Vorhaben. Andere Länder Südostasiens haben ähnliche Pläne entworfen.

Ob der erhoffte Wandel in der Region tatsächlich gelingen wird, ist keineswegs sicher. Die Wirtschaft vieler Länder Südostasiens wird von kleinen und mittleren Unternehmen getragen, die häufig nicht über das nötige Kapital verfügen, um ihre Produktion grundlegend zu modernisieren und an der digitalen Transformation teilzuhaben. Die Verfügbarkeit günstiger Arbeitskräfte schafft hierfür auch keine unmittelbare Notwendigkeit. Umgekehrt kann ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften zur Bedienung komplexer Produktionsanlagen als Hemmnis für eine grundlegende Modernisierung wirken. Ob die mit der Digitalisierung einhergehende Transformation letztendlich mehr Arbeitsplätze generieren wird, als durch Automatisierung und Effizienzsteigerung verloren gehen, ist ebenfalls nicht ausgemacht.

Unbestreitbar ist, dass die Region durch ihre Reserven an Rohstoffen wie zum Beispiel Nickel, eine zentrale Rolle im weltweiten Transformationsprozess einnehmen wird. Doch wie viel Wertschöpfung in ihren Ländern verbleibt und zu welchen sozialen und ökologischen Kosten diese Rohstoffe abgebaut werden, wird sich erst noch zeigen müssen.

Die Ausgangsbedingungen für eine digitale Transformation sind in den verschiedenen Ländern Südostasiens höchst unterschiedlich. Während in Brunei Darussalam über 95 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet haben, trifft dies in Laos gerade einmal für ein Viertel der Menschen zu. Nicht nur zwischen sondern auch innerhalb der Länder droht die Digitalisierung bestehende Ungleichheiten zu verschärfen, sowohl zwischen urbanen Zentren und ländlichem Raum, aber auch zwischen arm und reich. Dabei geht es längst nicht mehr nur um die Verfügbarkeit digitaler Dienstleistungen, wie die Angebote großer Plattformen wie Uber oder Grab. Diese bieten neben Transport und Lieferservice eine ganze Palette an Dienstleistungen an, die vorher häufig von kleinen Einzelunternehmen erbracht wurden, welche sich nun den Spielregeln und Arbeitsbedingungen der Plattformanbieter unterordnen müssen..

Der Zugang oder Nicht-Zugang zu digitalen Technologien und Medien hat auch einen immer größeren Einfluss darauf, wie Menschen an politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen partizipieren und ihren Forderungen Gehör verschaffen können. Offline wie online werden die Spielräume der Zivilgesellschaft enger. Dabei geht es um viel mehr als den Zugang zu digitalen Medien. Die kürzlich veröffentlichten Facebook Files sowie frühere Skandale der großen Social-Media-Unternehmen zeigen, dass Individuen, Gesellschaftsgruppen und Regierungen durch die gezielte Steuerung von Inhalten in sozialen Medien beeinflusst werden. In Zeiten autoritär geprägter Regime (siehe dazu auch südostasien Ausgabe 03/2019) und lückenhafter gesetzlicher Regulierung ist es entscheidend, welche Verantwortung große digitale Plattformen übernehmen, um eine freie und kritische Zivilgesellschaft zu gewährleisten.

Für die kommende Ausgabe der südostasien suchen wir Reportagen, Hintergrundberichte, Analysen, von Akteur*innen, Interviews oder auch Foto-Essays, die sich mit folgenden Fragen auseinandersetzen:

  • Wie wird sich die Position der südostasiatischen Länder in der weltweiten Konkurrenz infolge der Digitalisierung verändern? Wird den Ländern eine ‘nachholende Entwicklung’ gelingen oder werden sich im Gegenteil bestehende Ungleichheiten und Abhängigkeitsverhältnisse im globalen Kapitalismus weiter verfestigen? Welche Rolle kommt Südostasien dabei zukünftig als wichtigem Rohstofflieferant zu?
  • Welche Veränderungen bringt die digitale Transformation und die immer größere Präsenz von Plattformen wie Uber, Grab oder GoJek für die Arbeitswelt mit sich und welche Strategien verfolgen Arbeiter*innen und Gewerkschaften, um ihre Interessen durchzusetzen?
  • Welche weiteren Unternehmen/Unternehmer*innen gehören zu den treibenden Kräften im Digitalisierungssektor? In wessen Händen sind diese Unternehmen? Welche Interessensüberschneidungen gibt es – gerade bei Konzernen, die in diversen Geschäftsfeldern tätig sind – in Bezug auf weitere Wirtschaftsfelder und welcher politische Einfluss wird ausgeübt?
  • Was passiert mit Kleinunternehmen/Beschäftigten im informellen Sektor, die keinen Zugang zu den großen Plattformen haben und nicht über die gleichen technischen und logistischen Möglichkeiten verfügen wie große Unternehmen?
  • Social Media Plattformen verändern grundlegend die Formen sozialer Interaktion und die Art und Weise, wie in der Gesellschaft Debatten und Konflikte ausgetragen werden. Das birgt neue Möglichkeiten, um Unterstützer*innen zu mobilisieren und zivilgesellschaftlichen Forderungen Gehör zu verschaffen. Aber auch Regierungen sowie wirtschaftliche, kulturelle und religiöse Akteure nutzen neue Medien für ihre Interessen. Was bedeutet dies für die Zivilgesellschaft und welche Antworten gibt es darauf, um den negativen Auswirkungen (FakeNews, Hassnachrichten, Einschüchterung) zu begegnen?
  • Wie vorbereitet sind staatliche Institutionen auf den digitalen Wandel – auch um den Schutz der Daten ihrer Bürger*innen sicherzustellen?  Inwieweit sind die bestehenden Gesetze/rechtlichen Rahmenbedingungen ausreichend, um persönliche Informationen zu schützen und gegen Missbrauch zu sichern?
  • Welche Chancen bietet die Digitalisierung, abgesehen von den genannten Herausforderungen und Gefahren? Gab es, gerade vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie, positive Entwicklungen für zivilgesellschaftliche Akteur*innen?

Wir möchten diese Fragen in verschiedenen Formen aufgreifen – in Kommentaren, Hintergrundberichten, Foto-Essays, Porträts, Interviews und Rezensionen von Filmen, Büchern oder Musik zum Thema. Wir freuen uns auf eure Beiträge!

Selbstverständnis der südostasien:

südostasien versammelt Stimmen aus und über Südostasien zu aktuellen Entwicklungen in Politik, Ökonomie, Ökologie, Gesellschaft und Kultur. Zu vier Schwerpunkthemen im Jahr erscheinen Beiträge über die Region und die Länder Südostasiens sowie deren globale/internationale Beziehungen.

südostasien versteht sich als pluralistisches Forum eines herrschaftskritischen und solidarischen Dialogs, als Raum für Diskussionen zwischen Akteur*innen in Südostasien und Deutschland mit Nähe und Kenntnissen zu sozialen Bewegungen. südostasien beschäftigt sich mit Möglichkeiten transnationaler Solidaritätsarbeit angesichts ungleicher Machtverhältnisse zwischen dem globalen Norden und Süden. südostasien möchte Denkanstöße für das Handeln in Europa bzw. in Deutschland liefern.

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Deadline für Artikel (max. 10.000 Zeichen) ist der 15. August 2022 (in Einzelfällen und nach Absprache mit der Redaktion ist ggf. auch eine spätere Deadline möglich). Bitte vorab ein kurzes Abstract (max. 1000 Zeichen) an die Redaktion einreichen.

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